Berliner Volksbühne:Weiche Ziele

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Ein Intendant, der von seinem Kultursenator der Demontage preisgegeben wird, Kuratoren, mit denen man nicht einmal mehr auf ein gemeinsames Abschlussbild will - die Volksbühne in Berlin und die Documenta in Kassel zeigen, was geschieht, wenn die Politik ihren Schutzauftrag gegenüber der Kunst aufgibt.

Von Sonja Zekri

Gemessen daran, wie Hausbesetzungen in Berlin sonst beendet werden, war das, was sich am Donnerstag in der Berliner Volksbühne abgespielt hat, von überwältigender Harmlosigkeit. Ein allerzartestes Aufeinandertreffen von Polizeigewalt und Besetzern, mehr ein Hinauskomplimentieren denn ein Fortschleifen. Hätten die durchglühten Gentrifizierungsgegner nicht ein Theater, sondern beispielsweise das Soho House gestürmt, einen provozierend exklusiven Luxusklub in einem ehemaligen SED- Gebäude, oder ein anderes gentrifizierungsverdächtiges Privat-Etablissement in Berlin - sie hätten es kaum über die Schwelle geschafft.

Theater aber sind weiche Ziele, sie werden - wie Museen, Opernhäuser, Konzertsäle - nicht mit Zäunen oder Bewaffneten vor Angreifern bewahrt. Ihr einziger Schutz ist der Konsens einer Gesellschaft, die sie als autonomen Organismus in ihrer Mitte achtet. Aber die Volksbühne genießt schon lange keinen Schutz mehr. Sie wurde von der Politik benutzt, verraten und dem freien Spiel von Kräften preisgegeben, die Theater nicht besuchen, sondern besitzen wollen. Dieses Missverständnis ist kein Berliner Phänomen. Auch im Streit um die Münchner Kammerspiele verblüfft der maßlose Eigentumsanspruch mancher enttäuschter Besucher.

Man kann einiges einwenden gegen die grobmotorische Art, mit der Berlins Kultursenator Tim Renner einst den Museumsmann Chris Dercon als Nachfolger von Frank Castorf berief. Aber wer nach einem Vierteljahrhundert einen Intendantenwechsel wirklich für verfrüht hält, der sollte eine Schenkung oder und die Intendanz auf Lebenszeit in Erwägung ziehen: der Vatikan am Rosa-Luxemburg-Platz. Und so begreiflich die Distanz zwischen dem Renner-Nachfolger Klaus Lederer von der Linkspartei und dem als neoliberal diffamierten Dercon ist, so wenig kann sie die Auslieferung Dercons an seine Gegner entschuldigen, der von Monat zu Monat mehr wie ein Mob auftrat - selbstverständlich zum Wohle der Kunst.

Wenn Lederer mit Dercon nicht leben will, kann er den Vertrag lösen. Das wird einiges kosten, aber dieser Preis scheint hinnehmbar, verglichen mit der öffentlichen Vernichtung eines Intendanten - noch bevor dieser richtig angefangen hat.

Das Ganze ist umso fataler, als sich in Kassel ein ähnlich trauriges Schauspiel zeigt. Die Documenta, die größte Schau zeitgenössischer Kunst, hat als Doppelausstellung in Kassel und Athen in diesem Jahr zwar einen Besucherrekord erlebt, aber - auch dies eine Folge der zwei Spielorte - auch ein Defizit in Höhe von mehr als fünf Millionen Euro. Die Beziehung der Stadt Kassel zu ihrem wichtigsten Standortfaktor war selten frei von Spannungen, aber dass sich die Politik in einem Maße von den Kuratoren und Künstlern distanziert wie in diesem Jahr, dass nicht mal das gemeinsame Abschlussfoto zustande kam, dass der Termin der nächsten Kunstschau ganz generell infrage steht, dieses Art von Lähmung gab es noch nie.

Politiker schmücken sich gern mit kühnen Berufungen, mit den Impulsen, die Künstler geben werden, den Experimenten, die man sich erhoffe, der Verstörung, die sicherlich befruchtend sein werde. (Und die Kunst wiegt sich dabei eitel in Sicherheit.) Berlin und Kassel führen eindrucksvoll vor, wie viel davon übrig bleibt, wenn die Politik ihren Schutzauftrag verrät. Das wäre in jedem Jahr ein schlechtes Signal. Aber in einer Zeit, in der die Feinde der freien Kunst im Namen des Volkes ihre Kräfte sammeln, ist es eine Katastrophe.

© SZ vom 30.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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