Berlin:Ohne Fehler, aber mit Defiziten

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Die Polizei in Berlin hat die Versäumnisse nach dem Anschlag am Breitscheidplatz analysiert - und ist auf insgesamt 227 Handlungsempfehlungen gekommen.

Von Hannah Beitzer, Berlin

Fehler? Nein, von Fehlern will Berlins Polizeipräsidentin Barbara Slowik zweieinhalb Jahre nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz nicht sprechen. Es hätten sich aber in der Nachbereitung "Defizite" offenbart, sagte sie am Dienstag in Berlin.

Slowik stellte gemeinsam mit Siegfried-Peter Wulff, Leiter der Direktion Einsatz, den Bericht einer von Wulff geleiteten Arbeitsgruppe vor, welche die Ereignisse des 19. Dezember 2016 aufarbeiten sollte. 227 Handlungsempfehlungen sprach die Arbeitsgruppe aus, Grundlage war ein 2017 veröffentlichter Bericht des Sonderbeauftragten Bruno Jost, der Versäumnisse der Berliner Behörden aufgelistet hatte. Auch ein Untersuchungsausschuss im Bundestag und einer im Berliner Abgeordnetenhaus beschäftigen sich mit der Rolle der deutschen Sicherheitsbehörden.

Polizei und Geheimdienste hatten den Attentäter Anis Amri in den Monaten vor dem Anschlag bereits auf dem Schirm, er handelte mit Drogen und der Verfassungsschutz stufte ihn als islamistischen Gefährder ein. Trotzdem konnte der Tunesier den Anschlag vom 19. Dezember verüben. Nachdem Amri mit einem gestohlenen Lastwagen zwölf Besucher des Weihnachtsmarktes getötet und zahlreiche weitere verletzt hatte, gab es weitere Pannen. Kritiker beklagten eine schlechte Koordination des Polizeieinsatzes.

Die Polizei nahm etwa zunächst einen Unschuldigen fest und verpasste es anschließend, alle bekannten islamistischen Gefährder in Berlin aufzusuchen - wie es eigentlich bei islamistischen Terroranschlägen vorgesehen ist. Anis Amri konnte ins Ausland fliehen. Erst am Abend des 21. Dezember wurde er zur öffentlichen Fahndung ausgeschrieben und am 23. Dezember auf der Flucht von italienischen Polizisten erschossen.

Auch Angehörige der Opfer kritisierten die Sicherheitsbehörden. Das Bundeskriminalamt hatte nach dem Attentat eine Informationssperre verhängt, einige Angehörige waren tagelang auf der Suche nach vermissten Freunden und Verwandten durch die Krankenhäuser geirrt, andere von Polizisten mit der Bitte um aussagekräftiges DNA-Material überrumpelt worden, ohne etwas über das Warum zu erfahren. "Alle staatlichen Stellen waren nicht ausreichend vorbereitet", sagte Arbeitsgruppenleiter Wulff über den Umgang mit den Opfern.

Die "AG Anschlag" beschäftigte sich nun mit der Frage, wie die Berliner Polizei ähnliche Ereignisse in der Zukunft besser bewältigen kann. Die meisten ihrer insgesamt 227 Handlungsempfehlungen, so sagen es Slowik und Wulff, seien bereits umgesetzt. Es sei unter anderem eine Koordinierungsstelle für die psychosoziale Notfallversorgung von Opfern und Angehörigen eingerichtet worden. Außerdem gebe es bei der Berliner Polizei seit Februar 2018 eine sogenannte Führungsgruppe für Sofortlagen, die den Polizeifunk abhöre und bei möglichen Großlagen die Führung übernehme, zum Beispiel, wenn aus einer Straße in der Stadt Schüsse gemeldet würden. Dabei sei ein einheitliches taktisches Konzept wichtig, sagte Wulff.

Die Gruppe bestehe aus sechs Beamten. Sie habe bereits 176 besondere Einsatzlagen eingeschätzt und vorbereitet, von denen 34 tatsächlich ausgelöst wurden. Das bislang letzte Mal bereitete die Polizei bei der Notlandung einer Bundeswehrmaschine in Tegel im April eine besondere Lage vor.

© SZ vom 31.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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