Berlin:Ehrlich vor sich selbst

Die Berliner SPD hat ihre Wahlniederlage analysiert - schonungslos.

Von Jan Heidtmann

Angesichts einer Niederlage werden manchmal selbst ausgebuffte Politikprofis weich. Sie versprechen dann, dass die dramatischen Verluste, die sie bei einer Wahl eingefahren haben, aufgearbeitet werden. Das war bei den Grünen nach der vergangenen Bundestagswahl so oder in der CDU nach den jüngsten Landtagswahlen. Doch es geschah wenig. Anders bei der SPD in Berlin, die kürzlich bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus relativ weniger Stimmen bekam als je zuvor. Sie hat diese Niederlage ehrlich analysieren lassen - allein das ist ein Verdienst.

Interessant ist das Ergebnis dieser Selbstbeschau aber vor allem, weil es so schonungslos ist. Die Autoren dokumentieren auf 16 Seiten sehr klar, woran die SPD gescheitert ist. Zum Beispiel daran, dass sie die marode Verwaltung der Stadt nicht in den Griff bekommen hat, Berlin wird von vielen Bewohnern als "Failed City" wahrgenommen; dass es ausgerechnet den Sozialdemokraten nicht gelungen sei, sich der Armut in der Stadt anzunehmen; dass Bürgermeister Michael Müller weder als glamourös noch als Problemlöser wahrgenommen werde.

Für die SPD und noch mehr für Berlin ist es deshalb wichtig, dass Müller die neue Koalition nicht für ein Weiter-so vergeudet. Ein rot-rot-grünes Bündnis könnte ein Projekt werden, das Berliner Politik neu definiert. Dafür bedarf es des Muts. Dass Müller den besitzt, hat er mit der Analyse der Wahlniederlage bewiesen.

© SZ vom 13.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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