Berlin:Druck unterm Deckel

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Der Senat der Stadt will verbieten, Mieten zu erhöhen - für manche Vermieter der Anlass, genau das jetzt rasch noch zu tun.

Von Julian Erbersdobler

Der Countdown läuft, Tage, Stunden, Minuten, Sekunden. Auf der Homepage des Eigentümerverbandes Haus und Grund Berlin ist seit vergangenem Wochenende ein blaues Banner zu sehen, das polarisiert. "Erhöhen Sie unbedingt bis zum 17. Juni die Miete!", steht dort in weißer Schrift. Eine unmissverständliche Botschaft an Vermieter: "Nach dem 17. Juni 2019 werden Sie in Berlin womöglich Ihre Miete nicht mehr erhöhen können. Für lange Zeit!"

Hintergrund ist, dass Berlins rot-rot-grüner Senat einen Tag später, am 18. Juni, zusammenkommt, um über ein Eckpunktepapier zum sogenannten Mietendeckel zu entscheiden. Das könnte dann Grundlage für einen Gesetzentwurf werden. In dem Papier steht unter anderem, dass die Mieten fünf Jahre lang nicht erhöht werden sollen. Inkrafttreten soll das Gesetz erst 2020, Experten gehen aber davon aus, dass eine Verordnung rückwirkend zum Datum des Beschlusses gelten wird.

Nach Bekanntwerden der Pläne sackten die Aktienkurse von Immobilienunternehmen ab

Der Süddeutschen Zeitung liegen erste Mails vor, in denen sich Vermieter an Mieter wenden, um ihnen mitzuteilen, dass sie künftig mehr bezahlen müssen. In den Schreiben wird der geplante Mietendeckel in Berlin explizit als Grund für die Erhöhung genannt. Der Berliner Mieterverein hat bis zum Mittwoch aber noch kein ungewöhnlich hohes Aufkommen von Mieterhöhungen registriert. Das dauere in der Regel seine Zeit, sagt Geschäftsführer Reiner Wild. Berlins Bausenatorin Katrin Lompscher (Linke) kritisierte den Aufruf zur Mieterhöhung von Haus und Grund als ein "verheerendes Signal". "Mieterinnen und Mieter werden so zum Faustpfand der Immobilienlobby degradiert", sagte sie, "wer Mieterhöhungen gezielt einsetzt, um die Politik auf Kosten von Mieterinnen und Mietern unter Druck zu setzen, entlarvt sich selbst."

Haus und Grund verteidigt die Aktion. "Ich fordere alle Mitglieder und Eigentümer auf, die Mieten zu erhöhen", sagt der Vorsitzende Carsten Brückner. Es habe bereits Nachfragen von Vermietern gegeben, die ihre Mieten erhöhen wollten. Begründet wird der Aufruf auf der Homepage unter anderem mit dem Vorwurf, der Senat wolle Vermieter "bestrafen", "die in der Vergangenheit nicht alle Möglichkeiten der Mieterhöhung ausgeschöpft haben". Der Mietenstopp gelte schließlich für alle Mieten, egal wie hoch diese seien.

Reiner Wild vom Mieterverein äußert sich zurückhaltender als die Bausenatorin. Angesprochen auf die Aufrufe der Vermieterlobby, sagt er: "Natürlich wäre es schöner, wenn sie auf Erhöhungen verzichten würden." Aber es sei auch nicht frevelhaft, die Vermieter über mögliche gesetzliche Änderungen zu informieren. Normalerweise gebe es im Frühherbst eine Welle von Mieterhöhungen, als Reaktion auf die Veröffentlichung des Berliner Mietspiegels im Mai: "Ich kann mir gut vorstellen, dass diese Welle jetzt schon etwas früher kommt." Wild rät allen Mietern, genau zu prüfen, ob eine Erhöhung überhaupt zulässig sei.

Das Konzept, die Mieten für frei finanzierte Wohnungen einzufrieren, wird unter anderem auch in München, Frankfurt und Hamburg diskutiert, ist aber umstritten. Nach einem Gutachten für den Bundesverband Freier Wohnungsunternehmen (BFW) wäre ein solches Gesetz verfassungswidrig. Der BFW-Landesverband Berlin/Brandenburg geht davon aus, dass Berlin als Bundesland dafür gar nicht zuständig sei. Zudem werde das Eigentumsrecht unverhältnismäßig beschränkt, heißt es. Der CDU-Abgeordnete Christian Gräff erklärte, die Eckpunkte des Papiers erschienen unausgegoren und rechtlich angreifbar, "sodass sie in einem jahrelangen Streit vor dem Verfassungsgericht münden könnten". Denn es gibt auch andere Gutachten, die den Berliner Mietendeckel rechtlich sehr wohl für möglich halten.

Der Eigentümerverband klagt, das Vorhaben lasse jede Differenzierung zwischen unterschiedlichen Vermietern vermissen und verschlechtere das ohnehin investitionsfeindliche Klima in der Stadt. Die Aktienkurse von Immobilienkonzernen sackten nach Bekanntwerden der Deckel-Pläne ab. Besonders hart traf es das Immobilienunternehmen Deutsche Wohnen. Der Konzern ist mit 112 000 Wohnungen der größte private Vermieter in Berlin und hatte seinen Aktionären erst vor wenigen Wochen höhere Gewinne durch steigende Mieten vorausgesagt.

Kritik am Vorhaben des Senats kommt aber auch von den Genossenschaften. Wie die Zeitung Tagesspiegel berichtet, warnen die "Jungen Genossenschaften" und der Verein der "Wohnungsbaugenossenschaften Berlin" vor der Einführung des Mietendeckels. Sie investierten jährlich etwa 320 Millionen Euro in Bestand und Neubau, heißt es. Dennoch lägen die Genossenschaftsmitglieder mit ihren Nettokaltmieten bei durchschnittlich 5,60 Euro je Quadratmeter - dieser Wert sei nun gefährdet.

Berlin zählt zu den deutschen Städten, in denen die Mieten in den vergangenen Jahren besonders stark gestiegen sind. Im stadtweiten Mittel verlangen Vermieter bei Neuverträgen laut Zentralem Immobilien-Ausschuss mehr als zehn Euro kalt je Quadratmeter. Laut offiziellem Mietspiegel der Stadt, in den auch Bestandsverträge einfließen, liegt die durchschnittliche Nettokaltmiete bei 6,72 Euro.

© SZ vom 13.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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