Benedikt XVI. in der Türkei:Große Wunden, kleine Wunder

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Vom Attentat bis zur Großdemonstration war fast alles befürchtet worden - nun staunen die Türken über ihre eigenen Sympathien für diesen Papst.

Kai Strittmatter

"Denn was der Mensch sät, das wird er ernten." (Paulus im Brief an die Galater)

Papst Benedikt XVI. und Bartholomäus I. (Foto: Foto: dpa)

Am Schluss steht der Papst unter der mächtigen Kuppel der Hagia Sophia, und alles ist gut. Hagia Sophia, Göttliche Weisheit: Die größte Kirche des Christentums war dies einst, über neun Jahrhunderte. Später dann eine Moschee. Heute ist sie ein Museum. Über Wochen hinweg hatte die türkische Presse auf diesen Moment hingefiebert, ihn als "heikelsten" Teil des Besuches beschrieben. Nun steht Benedikt hier, wo einst das Herz des byzantinischen Reiches schlug, und sie verfolgen jede seiner Bewegungen: "Sehr interessant", sagt der Kommentator von CNN-Türk, "er hat zweimal kurz seine Hände gehoben und gefaltet."

Würde Benedikt es tatsächlich wagen? Würde er hier beten? Und - so die Unterstellung - diesen Ort symbolisch wieder fürs Christentum in Besitz nehmen? Aufatmen. Der Papst betet nicht. "An diesem Ort", sagt der Kommentator "erkennen Christen und Muslime ihre Gemeinsamkeiten."

Am Ende ist alles gut. "Ich liebe diesen Papst", hatte am Donnerstagmorgen ein Leitartikler geschrieben. Wer hätte das gedacht?

Am Anfang waren die Worte von Regensburg. Menschen, die den Menschen Joseph Ratzinger kennen, sagen, so sei er halt: Ich boxe dir in die Rippen, du boxt mir in die Rippen, dann setzen wir uns hin und sprechen darüber, was uns aneinander nicht gefällt. "Klarheit durch Polarisierung", das möge er.

Mit den Protestanten in Deutschland hat er das als Kardinal so gehalten, mit Aufmüpfigen in den eigenen Reihen ebenso, und auch wenn die Diskutanten verbal heftig fochten, musste man doch nie befürchten, dass sie einander an die Gurgel gehen. Dann wurde Ratzinger Papst, es kam der September 2006, und er probierte es mal mit einem Stoß in Richtung muslimische Welt.

Tausende statt Millionen

Und mit einem Mal war alles anders. Im fernen Iskenderun, wo der große Alexander einst die Perser schlug, saß Luigi Padovese, Bischof von Anatolien, sah die Rede und dachte: "Mein Gott!" Padovese kann seinen Schreck bis heute nachfühlen. Er hebt beide Hände an die Ohren und sagt: "Ich wusste: Jetzt sind wir hier Zielscheibe des Streits. Sofort. Nicht eine Minute später."

In den Städten tauchten Aufkleber auf: "Gott verfluche den Papst". Demonstranten riefen: "Bleib zu Hause, Papa!" In Ankara kündigte der Ministerpräsident an, er werde am Tag der Ankunft des Papstes zum Nato-Gipfel nach Riga fliegen: "Soll ich etwa wegen einem Papst meine Termine ändern?" Auch den Ministern für Äußeres und für Religion sowie dem Bürgermeister von Istanbul fielen plötzlich Verpflichtungen im Ausland ein. "Hat der Papst die Pest?", fragte die Zeitung Sabah.

Felix Körner ist Jesuitenpater, einer von drei katholischen Priestern in der Vier-Millionenstadt Ankara. Gemeinsam leben sie in der Kirche der Heiligen Therese, der einzig öffentlich zugänglichen Kirche der Hauptstadt. Körners Auftrag ist der Dialog mit den Muslimen. Er hält Vorlesungen an der theologischen Fakultät in Ankara. Seinem Dekan schlug er vor, vor dem Besuch Benedikts XVI. einen Vortrag des Titels "The pope and the prophet" zu halten. Das sei im Moment nicht so klug, meinte der Dekan: "Die Stimmung ist nicht entspannt."

Auf dem Weg zu seiner Kirche kam Felix Körner an einer Werkstatt für Wachsmalstifte vorbei. Einer der Arbeiter rief ihn: "Wenn Euer Papst kommt, dann verüben wir ein Attentat auf ihn", sagte er. "Das habt ihr doch schon einmal probiert und habt es nicht geschafft", erwiderte Felix Körner. Beide grinsten und klatschten einander mit den Handflächen ihrer rechten Hand ab.

Zwei Tage, bevor der Papst kam, raunten die Verschwörungstheoretiker: "Was wenn der Papst hierher kommt, um sich mit Absicht umbringen zu lassen?", fragte ein Kolumnist der regierungsnahen Yeni Safak. Papst-Attentäter Mehmet Ali Agca meldete sich aus dem Gefängnis mit der Mitteilung, er sei der neue Messias und der Papst tue gut daran, an die Bibel zu glauben, die er, Agca, geschrieben habe.

Auf dem Caglayan-Platz in einem unwirtlichen Eck Istanbuls versammelten sich die Anhänger der islamistischen "Partei der Glückseligkeit". "Istanbul ist Istanbul und nicht Konstantinopel", riefen sie. "Der Papst streckt uns die Zunge heraus", sagte ein Demonstrant. Und ein anderer: "Der katholische Papst und der orthodoxe Patriarch wollen eine Allianz der Kreuzritter bilden. Gegen uns Muslime. Es wird Blut und Tränen geben."

Tausende statt einer Million

Ursprünglich sollte der Titel der Demonstration lauten: "Nein zum hinterhältigen und analphabetischen Papst". Die Behörden haben das dann verboten, eine Entscheidung vielleicht zum Besten der Demonstranten, die ihre Wut auch so buchstabierten: "Wir wollen hier keinen Vatikan." Tausende riefen die Parolen - geträumt aber hatten die Veranstalter von einer Million. Die säkulare Presse wird am Tag danach spotten über den "Flop".

"Wird doch noch alles gut?", wagten einige erstmals zu hoffen. "Die Türkei ist eine Demokratie, deren Bremsen funktionieren", schrieb Radikal. Über die Versammlung der Islamisten ragte eine Videoleinwand in den Himmel. Archivbilder liefen, auch von Papst Benedikt. Der schönste Moment war dieser: Der Papst erscheint in Nahaufnahme auf dem Bildschirm, er schwebt über der Menge und segnet sie. So eifrig riefen unten die Demonstranten ihre Parolen, dass sie den päpstlichen Segen erst viel zu spät bemerkten. Ihre Pfiffe verhallten in einem grauen Istanbuler Herbsttag.

Zwei Tage später landet der Papst in der Türkei. Ankara ist eine neue Stadt mit einer langen Vergangenheit. Einst lebte hier ein Keltenvolk, die Galater, denen schrieb der Apostel Paulus einen mahnenden Brief. "Ein jeder aber prüfe sein eigenes Werk", heißt es da. "Denn ein jeder wird seine eigene Last tragen."

Papst Benedikt XVI. im Flugzeug (Foto: Foto: Reuters)

Papst Benedikt XVI. steigt aus dem Flugzeug. Bange Sekunden. Dann die erste Überraschung: Premier Tayyip Erdogan ist da, unten an der Flugzeugtreppe. Für ein Lächeln ist es noch zu früh. Die türkischen Medien vermerken wohlwollend, dass der Papst kein Kreuz trägt über dem langen, weißen Mantel. Kurze Zeit später: Der Premier verkündet, Papst Benedikt habe ihm versichert, er wünsche sich den EU-Beitritt der Türkei. Jetzt lächelt Erdogan. "Das haben wir im Protokoll", fügt er an. Ungläubiges Staunen in den TV-Studios, vor den Bildschirmen. Kann das sein? Ist es das, das Wunder von Ankara?

"Naja, er ist halt Deutscher"

Die Kolonne des Papstes fährt los. Kein Papamobil, keine jubelnden Massen. Fast menschenleere Umgehungsstraßen, Scharfschützen auf den Dächern. Die Polizei von Ankara meldet, man habe so viele Beamte zur Sicherheit des Papstes abgestellt, dass man für die Zeit seines Besuches leider weder Führer- noch Waffenscheine ausstellen könne.

"Wir haben nicht vergessen, dass es ein Türke war, der auf Papst Johannes Paul II. geschossen hat", sagt Außenminister Abdullah Gül. Überhaupt: Der Vorgänger. In einer Endlosschleife zeigt das Fernsehen wie Johannes Paul II. 1979 türkischen Boden küsst. Islamischen Boden. Und du, Benedikt?, fragen die Bilder.

Der gibt sich alle Mühe. Schreitet hinauf die Stufen zum Mausoleum des Mustafa Kemal Atatürk. Atatürk hat den Türken eine säkularen Republik geschenkt, sie danken es ihm mit fast religiöser Verehrung. Benedikt legt einen Kranz nieder, verharrt in Andacht und trägt sich ein ins Gästebuch - mit einem Zitat des "Vaters der Türken": "Friede zu Hause, Friede in der Welt".

Klein ist der Papst, er verschwindet oft völlig hinter dem Ring der Leibwächter, so dass den Kameras nichts übrigbleibt, als minutenlang auf Benedikts Ohr zu verweilen, das hinter einem Polizistenarm hervorspitzt. Im Studio von CNN-Türk interpretieren sie erstmals die Regensburger Islam-Kritik des Benedikt versöhnlich: "Naja, er ist halt Deutscher, die sagen immer gleich, was sie denken", meint ein Talk-Gast.

Da hat der Papst gerade erst losgelegt. Wo er geht und steht, lobt er von nun an das "edle Land", das "kreative Volk" und die "erstaunliche islamische Zivilisation" der Türken. Entgegen dem Rat mancher seiner Diplomaten, die einen "Gang nach Canossa" fürchteten, stattet er Ali Bardakoglu einen Besuch ab, dem vom Staat bestallten Herrn über die türkischen Muslime und bietet einen "authentischen Dialog" mit dem Islam an. Er richtet bei einer Messe das Wort auf Türkisch an seine "lieben Brüder und Schwestern". Er kündigt an, er werde in Istanbul die Blaue Moschee besuchen.

"Ich mag diesen Papst"

Und als er sich am Mittwoch von einem Pilger eine türkische Fahne schnappt und vor den Kameras schwenkt, da sind die Dämme endgültig gebrochen. "Der Besuch könnte ein Wendepunkt in der Karriere des Papstes sein", kommentiert das regierungsnahe Blatt Yeni Safak, "er könnte zu einem Durchbruch in den Beziehungen zwischen Muslimen und Christen führen."

Der Leitartikler des islamisch gefärbten Blattes ließ sich mitreißen: "Ich mag diesen Papst", schrieb er: "Willkommen, Bruder!" Die Stimmung in Ankara war derart, dass der Übersetzer des Staatsfernsehens bei dem Bibelzitat "Love is patient" (Liebe ist langmütig), nicht "patient" verstand, sondern "passion" - Leidenschaft passte mehr zu dieser Stunde.

Nun ist es kein Geheimnis, dass das Charisma dieses Papstes von eher nüchterner Natur ist, zumal verglichen mit seinen Vorgängern. Einmal zitierte Benedikt den oft als "Türkenfreund" titulierten Johannes XXIII.: "Ich mag die Türken, ich liebe die Türken", um selbst etwas umständlich hinzuzufügen: "Ich meinerseits möchte ebenfalls die Qualitäten des türkischen Volkes betonen." Hat die Türken das Unbeholfene, auf den ersten Blick Schüchterne dieses Mannes berührt, dem man oft ansah, dass er so gar nicht wusste wohin mit den Händen?

"Was er zuvor gesagt hat, ist nicht mehr so wichtig. Seine Friedensbotschaft, sein Fahnenschwenken haben uns alles vergessen lassen", meint die Istanbuler Studentin Ceren Sati, um dann im Überschwang hinzuzufügen: "Es würde mich nicht wundern, wenn dieser Papst als zweiter ,Türkenpapst' in die Geschichte eingehen würde." Der liberale Politologe und Kolumnist Sahin Alpay hatte noch vor einem Monat Benedikt als "fürchterliche Wahl" bezeichnet.

Der neue Verbündete

Nun sitzt er in seinem Büro am Bosporus, lacht vergnügt, spricht vom "erstaunlichen Pragmatismus" des Papstes und vom "riesigen PR-Erfolg" für die Türkei. "Danke, Papst!", sagt er. "Wir haben das Klischee von einer Türkei voller Extremisten widerlegt. Wir haben der Welt gezeigt, dass wir viel zivilisierter sind."

So erleichtert die Menschen sind, so verblüfft sind sie. Noch reiben sich alle die Augen. Was ist hier geschehen? Wie kam es, dass "der als ,Türkenfeind' verrufene Papst sich offenbar in die Türkei verliebt hat" ( Radikal)? Wie kam es, dass sich am Ende Tayyip Erdogan über diesen Besuch mehr freuen kann als Edmund Stoiber? Wie kam es, dass aus einem der schärfsten Gegner eines türkischen EU-Beitritts über Nacht ein Verbündeter der Türken wurde?

Bis heute rätseln Beobachter, ob Erdogan den Papst wirklich korrekt zitiert hat mit dessen EU-Schützenhilfe. Aber bis heute hat der Vatikan nicht wirklich dementiert. Und wo, wenn nicht auf diesem Boden voll von biblischer Geschichte, soll man kleine Wunder erwarten? Wurde nicht in diesem Land Saulus zu Paulus? EU hin oder her - hier war eine Verwandlung zu beobachten: Aus dem Theologen wurde ein Diplomat; aus dem einsamen Bücherwurm ein fahnenschwenkender Menschenfischer.

"Benedikt", sagt Jesuitenpater Felix Körner, "hatte schon als Professor eine tolle Fähigkeit: Er kann zuhören. Er lässt sich überraschen. Er lernt." Tatsächlich lernt der Papst mit solchem Eifer, dass mancher ihm schon zurufen möchte: Jetzt ist aber auch genug. "Regensburg war peinlich unreflektiert", sagt ein Kirchenmann. "Jetzt aber wird's allmählich peinlich warmluftig."

Man kann dem Papst nicht vorwerfen, er habe auf Kritik verzichtet. Benedikt mahnte auf türkischem Boden die Freiheit der Religionen ebenso an wie er vor Gewalt im Glauben warnte. Aber er tat es informierter. Und geschickter. Benedikt ist der Letzte, der Unterschiede mit süßer Harmonie zukleistern würde. Aber hier befreit er sich von dem Verdacht des blinden Vorurteils und der Hochmut. Es gibt kritische Stimmen, auch unter den Mitreisenden. Otmar Oehring etwa, der Menschenrechtsbeauftragte des katholischen Missionswerkes Missio, sagt, er wage zu bezweifeln, dass der Besuch den Christen im Land geholfen habe: "Es ist nichts Substanzielles herüber gekommen, das über den Tag der Abreise des Papstes hinaus Bestand haben würde."

Schweres im Gepäck

Und doch ist auch der Papst ein Gewinner, darf er sich bei den islamischen Brüdern bedanken: Auf einmal, für ein paar Tage, ist Religion wieder wichtig. Auf einmal hört die Welt ihm zu. Hat die Sache mit dem gegenseitigen Rippenstoß also doch funktioniert? Auf jeden Fall ist er so in dieses Land gestolpert und geschubst worden. Der Papst lernte die Welt kennen und die ihn.

Ursprünglich wollte Benedikt ja bloß nach Konstantinopel, nicht in die Türkei. Da kam er dann auch noch hin. Er traf in Istanbul den Ökumenischen Patriarchen Bartholomäus I., das nominelle Oberhaupt der orthodoxen Weltkirche. Beide erträumen sich die Einheit von Ost- und Westkirche. Benedikt hatte ganz schön schwer gepackt: Es ging in diesen vier Tagen um nichts weniger als darum, den Dialog mit den Muslimen wieder anzustoßen und das 1000-jährige Schisma der eigenen Kirche zu überwinden.

Aber schließlich ist dies der Mann, dem das Kunststück von Ankara gelang, der in nur wenigen Stunden die ihm feindseligen und für gewöhnlich äußerst sturen Lager der Türkei - gläubige Muslime, säkulare Kemalisten, Nationalisten - besänftigt hat. In einer feierlichen Erklärung riefen die beiden Kirchenführer am Donnerstag den Heiligen Geist an, ihnen bei der "Wiederherstellung der vollkommenen Einheit" zu helfen. Die Kirchen rücken zusammen, beide fühlen sich bedrängt, nicht nur von der muslimischen Welt, sondern auch von "Säkularismus, Relativimus und Nihilismus in der westlichen Welt".

Wahrscheinlich lag dem Papst auch deshalb am Besuch der Hagia Sophia. Das Zentrum Byzanz' war sie einst, größte Kirche des Christentums für mehr als 900 Jahre, Herz eines auf das Christentum gegründeten Reiches. "Das zieht Benedikt an", glaubt Jesuit Felix Körner: "Ist doch seine Vision für Europa auch ein vom Glauben geprägtes Regieren." Es war ein letzter heikler Schritt durch das Minenfeld der Empfindlichkeiten: Eine Demonstration war für die Altstadt angemeldet. 20 Fernsehkameras warteten, mehr als 50 Reporter, 10 Busse mit Bereitschaftspolizei, Wasserwerfer. Demonstranten kamen schließlich auch. "Die Hagia Sophia ist türkisch und wird türkisch bleiben", riefen sie. Es waren keine 20 Leute.

© SZ vom 1.12.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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