Belgien:Armee rückt in Gefängnisse ein

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Nach zwei Wochen Streik der Gefängniswärter will die Regierung die Armee einsetzen, um Häftlinge zu bewachen und zu versorgen.

Von Thomas Kirchner, Brüssel

Nach fast zwei Wochen Streik der Gefängniswärter will Belgiens Regierung nun die Armee einsetzen, um wenigstens eine Grundversorgung der Häftlinge gewährleisten zu können. Wie Justizminister Koen Geens bekannt gab, sollen in drei Haftanstalten im betroffenen französischsprachigen Landesteil sowie in Brüssel insgesamt 180 Soldaten "zusätzliche humanitäre Unterstützung leisten". Sie sollen Polizisten und Mitarbeiter des Roten Kreuzes entlasten, die an die Stelle der Streikenden getreten sind.

Die Lage in den Gefängnissen ist laut belgischen Medien sehr angespannt. Die Häftlinge dürfen seit Beginn des Ausstands ihre Zellen nicht mehr verlassen und nicht mehr duschen; sie erhalten nur noch wenige Medikamente und können auch keinen Besuch mehr empfangen. In mehreren Gefängnissen äußerten Insassen ihren Unmut, indem sie Gegenstände in Brand setzten. Angehörige versuchten, mit ihnen über die Gefängnismauern in Kontakt zu treten. "Selbst in einem Tierheim bekommen die Hunde doch täglich ein wenig Ausgang", wurde ein Häftling zitiert. Ein Untersuchungsrichter in Lüttich erklärte, die Situation widerspreche inzwischen der menschlichen Würde; er ordnete deshalb an, einen wegen Drogendelikten Einsitzenden freizulassen. In Lüttich muss der Staat nun Dutzenden Häftlingen ein Ausgleichsgeld von täglich 300 Euro zahlen.

Die Gefängnisaufseher klagen über zu wenig Personal, schlechte Bezahlung und fordern auch Verbesserungen bei der Rente. Über das Wochenende hatten Gewerkschaften mit Minister Geens einen Kompromiss ausgehandelt, den die Angestellten in der Wallonie aber deutlich zurückwiesen. Mehr gebe sein Budget nicht her, argumentiert Geens. Der Minister wolle bloß den Streik brechen und auf Zeit spielen, entgegneten Gewerkschafter. Dass die Regierung nun Soldaten einrücken lasse, erinnere ihn an Nordkorea, sagte der Direktor der Haftanstalt von Andenne.

Die Zustände in Belgiens Gefängnissen werden seit Jahren kritisiert. Das Anti-Folter-Komitee des Europarats bemängelte 2013 in einem Bericht vor allem die übervollen Zellen. Mit 134 Häftlingen pro 100 Plätzen liege Belgien an viertletzter Stelle in Europa. Oft würden zwei Gefangene in einer Einzelzelle untergebracht. Darüber hinaus hapere es bei der psychischen, sozialen und medizinischen Betreuung. Im flämischen Merksplas, das nicht von dem Streik betroffen ist, revoltieren seit Samstag 170 Häftlinge gegen ebendiese Bedingungen. Sie haben 150 Zellen verwüstet. Auch die Zustände in Belgiens geschlossenen psychiatrischen Anstalten sind wiederholt kritisiert worden. Grund für die Misere ist, dass der Staat über Jahrzehnte zu wenig Geld in Unterhalt und Ausbau dieser Institutionen gesteckt hat.

Flämische Politiker fordern nun, eine garantierte Grundversorgung bei der Gefängnisaufsicht gesetzlich festzuschreiben, ähnlich wie bei der Polizei oder in Krankenhäusern. Dies hatte allerdings auch der Europarat 2013 schon angemahnt.

Belgiens Gewerkschaften haben für die kommenden Monate weitere Arbeitskämpfe angekündigt, unter anderem einen Generalstreik im Juni. Ein Ausstand der Fluglotsen hatte kürzlich die Wiederaufnahme des Flugbetriebs am Brüsseler Flughafen verhindert.

© SZ vom 10.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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