Bayern:Razzia in 39 Fleischbetrieben

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In einer landesweiten Razzia hat das bayerische Verbraucherministerium gestern 39 Betriebe durchsuchen lassen.

Von Karin Seibold, Christian Schneider, Ursula Quass, Mike Szymanski und Martin Zips

Dabei handelt es sich um Firmen, die im Freistaat als Zwischenbehandlungsbetriebe für die Verarbeitung von Fleischabfällen für Tierfutter zugelassen sind. Neben den bereits bekannten Fällen in den mittlerweile gesperrten Kühlhäusern in Deggendorf und Illertissen tauchten auch bei einem Betrieb in Simbach am Inn Unregelmäßigkeiten auf. In einer deutschlandweiten Rückrufaktion will Bayern Lebensmittel, in denen für den Verzehr nicht freigegebene Tierreste vermutet werden, aus den Supermarktregalen entfernen lassen.

Zwischen 400 und 600 Tonnen Schweineschwarten und 1400 Tonnen Geflügelgerippe sollen allein in Deggendorf und Illertissen in den vergangenen 24 Monaten vom Tierfutter zum Lebensmittel umdeklariert und an weiterverarbeitende Betriebe im In- und Ausland verkauft worden sein. "Das sind ganz sicher keine Einzelfälle", sagt auch Leonhard Bierl, Sprecher des Kölner Zollkriminalamts. Die Ermittlungen der Behörden seien noch lange nicht beendet. Die Deggendorfer Frost GmbH, Tochter der Illertissener Kollmer Fleisch GmbH, soll nun auf Dauer geschlossen bleiben, fordert Minister Schnappauf. Nach Angaben des zuständigen Landratsamts war sie bereits im August vom Veterinäramt wegen "hygienischer und baulicher Mängel" für fünf Tage geschlossen worden. Insgesamt acht Mal hatten Beamte das Unternehmen, das seit November 2003 als "Zwischenbehandlungsbetrieb für Material der Kategorie 3" zugelassen ist, in diesem Jahr schon überprüft. "Die sind oft aufgefallen", sagte Schnappauf. Ein Anfangsverdacht gegen die Firma habe sich jetzt "auf jeden Fall erhärtet". Der Geschäftsführer in Illertissen habe dargelegt, dass der Geschäftsführer des Deggendorfer Betriebes tatsächlich "untaugliches Material eingekauft und als zum Verzehr geeignet verkauft" habe.

Nach ersten Medienberichten über die staatsanwaltlichen Ermittlungen hatte das Landratsamt am Mittwochabend erneut Kontrolleure zur Frost GmbH geschickt. Die Mitarbeiter des Veterinäramts legten dem Geschäftsführer, Rolf Hermann K., nahe, in seinem eigenen Interesse den Betrieb vorübergehend zu schließen. K. sei sich aber "keiner Schuld bewusst" gewesen. Nach Erkenntnissen des Magazins Stern war K. bereits im Oktober 2003 wegen "Fleischbetrügereien" zu zwei Jahren Haft auf Bewährung und 36.000 Euro Geldstrafe verurteilt worden. Laut rechtskräftigem Urteil des Landgerichts Augsburg habe er in den 90er Jahren versucht, durch Urkundenfälschung und Steuerhinterziehung bei Fleischim- und -export Zusatzgeschäfte zu machen und dabei auch zwei Zollbeamte bestochen. Einer der vom Dienst suspendierten Beamten sei nun bei dem Betrieb angestellt, so der Stern.

"Größere Dimensionen"

Verbraucherminister Schnappauf hatte die Öffentlichkeit gestern über die Razzien in 39 der 53 fleischverarbeitenden Betriebe in Bayern informiert. Da nun auch bei einer weiteren Firma in Simbach am Inn Unregelmäßigkeiten entdeckt worden seien, habe das Thema "größere Dimensionen". Schnappauf sprach von "Ekel erregendem Dreckszeug", von dem allerdings keine Gesundheitsgefährdung ausgehe, da die in Lebensmittel gelangten Abfälle hoch erhitzt verarbeitet worden seien. Die Schlachtreste hätten nur zu Haus- oder Zootierfutter verarbeitet werden dürfen, nicht zu Lebensmitteln wie etwa Tortellini, Wurst oder Pizza. Bayern plant eine deutschlandweite Rückholaktion betroffener Lebensmittel aus dem Handel. "Wir wollen ein Exempel statuieren."

Ob die Lebensmittelhersteller von Umdeklarierungen wussten, ist noch nicht bekannt. "Dass die das nicht gemerkt haben, kann ich mir nicht vorstellen", sagt dazu Bernd Adlett, Geschäftsführer des Landesverbandes der bayerischen Geflügelwirtschaft. "Was genußtauglich ist und was nicht, erkennt jeder normale Arbeiter", sagt auch Philipp Reiners, Geschäftsführer des Verbands der bayerischen Fleischwarenindustrie. Die 16größten fleischverarbeitenden Betriebe im Freistaat gehören zum Verband. "Für meine Mitglieder kann ich ausschließen, dass sie nicht freigegebenes Fleisch weiterverarbeitet haben."

SPD und Grüne wollen die Angelegenheit im Landtag behandeln. Schnappauf sagte, man prüfe, ob es sich hier um einen Fall organisierter Kriminalität über eine ganze Kette aus dem In- und Ausland handelt. Für die Zukunft kündigte er ein engmaschiges Kontrollsystem an.

© SZ vom 14.10.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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