Bayern:Ein Test für alle

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Im Landkreis Freising gibt es besonders viele Ansteckungen. Die Mitarbeiter des Gesundheitsamtes kommen an ihre Grenzen.

Von Edeltraud Rattenhuber, Freising

"Das Wichtigste ist: Keine Panik aufkommen lassen": Touristen flanieren mit Atemschutzmaske und Sonnenbrille über den Wochenmarkt in der Freisinger Innenstadt. (Foto: Marco Einfeldt)

Der ältere Herr mit dem schlohweißen Haar ist ganz bescheiden. Er trommelt weder an die Fenster, noch klingelt er Sturm am Gesundheitsamt Freising, wie es derzeit immer wieder geschieht. Er möchte nur eines: getestet werden. Doch kommt er damit beim Gegenüber mit der Atemschutzmaske nicht durch. Der baumlange Mann in der dunkelblauen Sweatjacke, Aufschrift "Sicherheits- und Detektivbüro", hat strikte Anweisung, niemanden durchzulassen. Auch wenn er berechtigte Sorge habe, sich in einer Arztpraxis mit dem Corona-Virus angesteckt zu haben - hier könne er sich nicht testen lassen, informiert er den alten Mann. Kaum tritt dieser den Rückzug an, kommt schon der Nächste, zögernden Schritts, suchenden Blicks. Doch der Sicherheitsdienst ist zur Stelle.

Das Gesundheitsamt der oberbayerischen Stadt Freising ist sonst nicht so stark frequentiert, und speziell geschützt werden musste es auch noch nie. Es liegt ein wenig versteckt am Flüsschen Moosach, Enten gründeln in der Uferzone, die Forsythien blühen. Doch die Idylle trügt. Seit dem 29. Februar herrscht in dem lang gestreckten Gebäude unter Bäumen der Ausnahmezustand. An jenem Samstag wurde in Freising der erste Coronavirus-Fall Bayerns nach den Infektionen der Webasto-Mitarbeiter bestätigt. Seitdem arbeitet das Gesundheitsamt laut Landrat Josef Hauner (CSU) "vollkommen am Limit, über die normalen Arbeitszeiten hinaus und auch am Wochenende" - und mittlerweile unter weitestmöglicher Abschottung. Denn die Aggressivität der Leute hat zugenommen, Mitarbeiter des Gesundheitsamtes seien vor dem Gebäude abgefangen und bedrängt worden, teilte das Landratsamt mit. Der Sicherheitsdienst soll für geordnete Verhältnisse sorgen, damit sich die Mitarbeiter im Amt auf jene konzentrieren könnten, die einen Termin haben. "Es geht hier nicht um das Recht des Stärkeren", betont der Landrat.

Die Kontaktaufnahme zu möglichen Infizierten erfolgt nach einem strengen Plan

Für Interviews hat derzeit keiner der 24 Mitarbeiter Zeit. Dabei gehört das Kommunizieren gerade jetzt zu ihrem täglichen Brot. Rund um die Uhr sind sie beschäftigt mit dem Abtelefonieren von Verdachtsfällen und deren Kontaktpersonen. Und mit Tests. Die Fallzahlen steigen kontinuierlich, wie die Leiterin des Amtes, Christine Setzepfandt, sagt. Damit erhöhe sich auch der Aufwand für das Gesundheitsamt, die jeweiligen Kontaktpersonen zu ermitteln. In keinem anderen Landkreis Bayerns außer der Großstadt und dem Landkreis München ist die Zahl der mit dem Corona-Virus Infizierten so hoch wie in Freising. Am Donnerstag, Stand 12.30 Uhr, waren es 145. Zwei Menschen sind bisher gestorben.

Die Kontaktaufnahme zu möglichen Infizierten und ihren Angehörigen, Nachbarn, Freunden, Arbeitskollegen, erfolgt nach einem strengen Plan, der abgearbeitet werden muss. Die Pressesprecherin des Landkreises berichtet von Gesundheitsamtsmitarbeitern, die an manchen Tagen mit zwei, drei Stunden Schlaf auskommen mussten. "Langsam geht es an die Substanz", erzählt Setzepfandt. Dass Verdachtsfälle um drei Uhr morgens angerufen werden, damit sie sich für einen Test auf das Covid-19-Virus bereithalten, ist keine Seltenheit. Andrea Schmid ist das passiert. Die Freisingerin, die eigentlich anders heißt, war mit ihrem Lebensgefährten im Urlaub und kam mit Fieber, Husten, Schnupfen zurück. Als sie bei der Hotline des Gesundheitsamtes durchkam, versprach man ihr, sie zu kontaktieren. Doch erst nach einer Woche wurde sie angerufen, sie solle sich um drei Uhr früh bereithalten zum Abstrich. Wieder eine Woche später bekam sie das Ergebnis: negativ. Schmid kann es immer noch nicht fassen, wie lange das alles gedauert hat.

Die Angst und Frustration der Menschen sei verständlich, sagt Uwe Lübking, Rechts- und Sicherheitsexperte beim Deutschen Städte- und Gemeindebund. "So eine Krise stellt alle unter eine Belastungsprobe." Insgesamt sieht Lübking die örtlichen Zuständigkeiten aber gut aufgestellt - bei aller Kritik, die es im Einzelfall geben könne. Die Gesundheitsämter täten ihr Bestes, mit den jetzigen Kapazitäten und Mitteln. Allerdings wisse man, dass schon vor der Corona-Krise einige Gesundheitsämter Personalprobleme gehabt hätten, sagt er. Daher dürfe man danach nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, sondern müsse fragen: Wie stärken wir die Gesundheitsämter, wie kann man Ärzte für sie gewinnen? Tatsächlich bringt die Krise an den Tag, welche Folgen Personalmangel hier haben kann. Der Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes warnt schon lange, dass viele Gesundheitsämter wegen Ärztemangels und fehlender Ausstattung auch in Nicht-Krisenzeiten kaum mehr in der Lage seien, ihre Aufgaben zu erfüllen. Erste Gesundheitsämter müssten gar ganz ohne Ärzte auskommen, heißt es.

Auch weil Ärzte dort einfach zu wenig verdienen. Auch im Freisinger Amt herrscht laut Auskunft von Landrat Hauner "chronische Unterbesetzung". Statt fünf, arbeiten dort derzeit nur drei Ärzte. Die Dynamik der Lage in den vergangenen Wochen erforderte die Entbindung der Mitarbeiter von ihren sonstigen Aufgaben, daher ist Freising unfreiwillig so etwas geworden wie der Vorreiter in Bayern bei der Umorganisation und Bündelung von Aufgaben. Wo es geht, wird Landkreis-Personal verpflichtet zur Hilfe. Am Donnerstag wurde eine Drive-through Teststelle außerhalb von Freising eingerichtet, dort werden Experten eines Labors Abstriche nehmen, um das Gesundheitsamt zu entlasten. Außerdem wurde mit der Führungsgruppe Katastrophenschutz (FüGK) und weiteren Fachberatern eine Koordinierungsgruppe ins Leben gerufen. Die FüGK beschafft nun zum Beispiel die erforderliche Schutzausrüstung. Kollegen aus anderen Bereichen des Landratsamtes übernehmen das Beratungstelefon. Auch die Polizei stellt dafür Kräfte ab. Ärzte in Ruhestand melden sich. Alle sind sie im Moment ja irgendwie Gesundheitsamt. An diesem Donnerstag fahren Lena Weindl und Daniela Wiand mit Florian Brunnbauer durch Freising, um Atemschutzmasken, Schutzanzüge und Desinfektionsmittel auszuliefern. Weindl und Wiand sind eigentlich Jugendsozialarbeiter. Seit der flächendeckenden Schulschließung sind sie freigestellt und helfen gerne mit. Erst fahren sie ins Klinikum, hinter ihnen kurvt ein 7,5-Tonner der Freiwilligen Feuerwehr durch die autoleeren Straßen. In dem Lastwagen liegen, ziemlich überschaubar, ein paar Kisten und Kartons. Eigentlich hatte Brunnbauer, Sachbearbeiter für Brand- und Katastrophenschutz, mehr anbieten wollen, doch ist nicht die komplette Lieferung eingetroffen. Bei den Rettungsdiensten und dem Klinikum, die mit vollen Paletten gerechnet hatten, kommen daher nur wenige Pakete an. Beim Kreisärzteverband ist die Enttäuschung besonders groß. 20 Ärzte hätten angefragt, heißt es. Doch die Ausrüstung, die letztlich angekommen sei, reiche nicht aus. Noch während der Fahrt wird Brunnbauer erfahren, dass doch noch etwas eingetroffen ist. Sie werden also noch einmal rausfahren. An Mehrarbeit sind sie im Moment gewöhnt in Freising. Aber Brunnbauer hat die Ruhe weg. "Das Wichtigste ist: Keine Panik aufkommen lassen", sagt er.

© SZ vom 20.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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