Balkanstaaten:Raus aus Tirana, mit der Bundesagentur

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Abgelehnte Asylbewerber treten die Heimreise an. Für drei Balkanstaaten schuf die Bundesregierung bessere legale Einwanderungsmöglichkeiten. (Foto: Uwe Zucchi/dpa)

In Serbien, Albanien und im Kosovo haben staatliche Berater bereits 40 000 Arbeitsplätze gezielt vermittelt - es ist eine neue Form von Fluchtprävention.

Von Stefan Braun, Berlin

Der Kompromiss, der die Grünen fast gespalten hätte, ist inzwischen nahezu vergessen. Im Herbst 2014 hatte der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann gegen den Wunsch der Parteispitze im Bundesrat zugestimmt, dass drei Balkanstaaten als sichere Herkunftsländer eingestuft werden. Im Gegenzug schuf die Bundesregierung für diese Länder bessere legale Einwanderungsmöglichkeiten. Das klang grün, wurde beschlossen - und vergessen. Dabei könnte dieser Kompromiss den Umgang mit Wirtschaftsflüchtlingen revolutionieren.

Seither haben Tausende Menschen ihre Heimat auf dem Balkan verlassen, um in Deutschland ganz legal ihr Geld zu verdienen. Sie sind keine Asylbewerber, sondern Arbeitnehmer. Die wahrscheinlich wirkungsvollste Ursache dafür war allerdings nicht die Liberalisierung des Gesetzes. Entscheidend war, dass zwei staatliche Agenturen - die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und die Bundesagentur für Arbeit (BA) - seither gemeinsame Sache machen, um den Menschen in Kosovo, Serbien und Albanien die legalen Wege nach Deutschland aufzuzeigen. Sie gründeten in Pristina, Belgrad und Tirana sogenannte Migrationsberatungszentren und erklären den arbeitssuchenden Menschen dort, wie sie sich um einen ordentlichen Job in Deutschland bewerben können.

Thea Decker, in der Bundesagentur zuständig für die internationale Zusammenarbeit, berichtet, dass sie als Folge des politischen Kompromisses mit einer neuen Form von Fluchtprävention begonnen hätten. Und zwar "gerade dort, wo bislang vor allem Wirtschaftsflüchtlinge herkommen". Also riefen GIZ und BA Anwerbe-Büros ins Leben, die zwar niemand offiziell so nennen würde, die aber bislang durchaus so wirken. Decker spricht von einem "riesigen Bedarf". Sie meint damit nicht nur die Zahl der Bewerber, sondern auch die Zahl der interessierten Arbeitgeber in Deutschland. Insbesondere deren Interesse hat dazu geführt, dass Bewerber aus den drei Balkan-Ländern derzeit nicht einmal besondere Qualifikationen vorlegen müssen, um nach Deutschland zu kommen.

Melden sie sich in dem Büro und findet die Bundesagentur für Arbeit in Deutschland einen Arbeitgeber, der sie einstellen möchte, dann erhalten sie eine Arbeitsgenehmigung. Mit der Option auf Verlängerungen. Allerdings geht es nicht um irgendwelche Jobs. "Es werden nur sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze vermittelt", heißt es bei der BA. Laut Decker ist der Bedarf in den klassischen Mangelberufen in der Alten- und Krankenpflege besonders groß. Gesucht würden aber auch Elektriker und andere Handwerker. Knapp 40 000 Menschen sind so innerhalb von zwei Jahren als Arbeitskräfte aus Kosovo, Serbien und Albanien nach Deutschland gekommen. Die Tendenz ist steigend.

Für Decker heißt das vor allem eines: "Wir brauchen kein liberaleres, sondern ein transparenteres Einwanderungsrecht." Damit wird auch klar, was die Mitarbeiter in den Büros vor allem machen: Sie zeigen den Weg auf, wie Bewerber eine noch immer ziemlich komplizierte Verfahrensweise überwinden können. "Es gibt viele Regelungen, aber keiner weiß, welche auf ihn zutrifft", berichtet die Arbeitsmarktexpertin.

Zu ahnen ist, dass erst die Kooperation zwischen der international erfahrenen GIZ und der in Deutschland bestens vernetzten BA die Distanz zwischen Bewerbern und Arbeitgebern überwinden konnte. Zumal dann, wenn es künftig nicht mehr nur um Balkan-Staaten geht. Dann nämlich müssen Bewerber auch Sprachfähigkeiten und eine anerkannte Ausbildung nachweisen.

Glaubt man der BA, dann geht es nicht nur um unbesetzte Stellen in Deutschland. Es geht in den Infobüros auch darum, den Menschen klarzumachen, dass der Asylweg sie viel kosten würde und sie damit trotzdem keine Chance auf Erfolg hätten. Bildungsarbeit im umfassenden Sinne - das sei die Aufgabe, erklärt auch Ralf Sanftenberg, bei der GIZ zuständig für die Initiative. Seit Beginn investiert die GIZ gut 500 000 Euro im Jahr in jedes der vier Büros. Und sie bemüht sich dabei auch darum, dass Menschen, die einst als Flüchtlinge nach Europa kamen, bei der Rückkehr wieder schneller und erfolgreicher Wurzeln schlagen.

Auch in Nigeria, Ghana und im Senegal sind Beratungszentren geplant

Sanftenberg erzählt von einer vierköpfigen albanischen Familie, die sich 2015 nach Deutschland aufgemacht hatte, mittlerweile aber in die Heimat zurückgekehrt ist. Dank GIZ-Beratung in Tirana sind beide Kinder auch in Schulen untergebracht. Die Eltern haben eine Fortbildung begonnen, sie als Konditorin, er als Koch. "Es freut uns, dass die Menschen so wieder eine Perspektive vor Ort gefunden haben", sagt GIZ-Experte Ralf Sanftenberg. Viele nämlich wüssten gar nicht, welche Möglichkeiten sich ihnen in der Heimat überhaupt böten.

In Tunis haben GIZ und BA vor wenigen Monaten ein weiteres Infobüro eröffnet. Demnächst soll auch in der marokkanischen Hauptstadt Rabat eine solche Dependance eröffnet werden. Auch in Nigeria, Ghana und Senegal sind Beratungszentren geplant. Alle haben die gleichen Ziele: legale Jobs zu vermitteln und zugleich vor dem Flucht- und Asylweg übers Meer zu warnen. Den Ländern bei dem Aufbau einer eigenen Arbeitsverwaltung zu helfen. Und damit nicht zuletzt Hoffnung schaffen auf ein gutes Leben in der Heimat.

© SZ vom 04.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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