Balkanroute:Merkels Mäkeln

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Die Bundeskanzlerin bleibt bei ihrem Kurs: Sie hält die Schließung der Balkanroute für falsch; sie will Griechenland nicht allein lassen.

Von Nico Fried, Berlin

Man kann Angela Merkel nicht vorwerfen, dass sie aus wahltaktischen Gründen mal eben ihre Position verändern würde. Manch ein Zuhörer in Bad Neuenahr-Ahrweiler dürfte sich am Mittwochabend sogar gewundert haben, wie wenig Begeisterung die Kanzlerin im rheinland-pfälzischen Wahlkampf, wo am Ende für die CDU wirklich jede Stimme zählen könnte, für die gesunkenen Flüchtlingszahlen an der deutschen Grenze entwickelte. Stattdessen kritisierte sie erneut die Schließung der Balkanroute: "Das ist nicht die Lösung des Gesamtproblems", sagte die CDU-Chefin nach Agenturberichten.

Natürlich kämen nun weniger Asylbewerber nach Deutschland, so Merkel weiter. Dafür seien aber jeden Abend die Fernsehbilder gestrandeter Flüchtlinge an der griechisch-mazedonischen Grenze zu sehen. Das könne auf Dauer nicht gut gehen. "Wir können es uns nicht in 27 Ländern nett machen und ein Land alleine mit dem Problem lassen", so Merkel mit Blick auf die Haltung der EU-Staaten gegenüber den Schwierigkeiten der Regierung von Ministerpräsident Alexis Tsipras in Athen. Es gelte, einen europäischen Ausgleich zu finden. "Das wird eine große Aufgabe sein."

Es gibt - bis hinein in die Bundesregierung - zwei Lesarten zu den Ereignissen in Idomeni, wo Tausende Flüchtlinge festsitzen, notdürftig in Zelten untergebracht, nach tagelangem Regen umgeben von Wasser und Schlamm. Die eine Lesart gibt den Griechen die Hauptverantwortung für die Zustände an der Grenze, weil die Regierung in Athen über Monate hinweg den in der EU beschlossenen Aufbau einer Infrastruktur für Flüchtlinge - die sogenannten Hotspots - verschleppt habe. In Idomeni sieht man außerdem ein starkes Exempel, dessen schreckliche Begleiterscheinungen nun eben auszuhalten seien, damit die Bilder und Berichte weitere Flüchtlinge von der Reise nach Griechenland abhalten. Nicht schön, aber wirksam.

Merkel teilt diese Meinung nicht. Die Kanzlerin war zum einen gegen die Sperrung der Balkanroute, um Griechenland nicht alleinzulassen. Zum anderen glaubt sie, dass die Probleme eines weiteren, auf einige Wochen befristeten Zuzugs nach Norden sowohl für Österreich als auch für Deutschland besser zu verkraften und zu regeln gewesen wären, als es für die Griechen nun der humanitäre Notstand in Idomeni ist. Bei Flüchtlingszahlen, die dem Schnitt der letzten Wochen entsprochen hätten, wäre man nach Schätzungen in Berlin auf 1000 bis 2000 Menschen pro Tag gekommen, die bis zu einer endgültigen Verständigung mit der Türkei auf dem Europäischen Rat Ende nächster Woche aufzunehmen und zu versorgen gewesen wären. Nicht einfach, aber machbar.

Die Bundeskanzlerin will, dass für Syrer heimatnah anständige Lebensbedingungen entstehen

Kritiker von Merkels Kurs halten der Kanzlerin vor, es mache letztlich keinen Unterschied, ob der Flüchtlingsstrom in Griechenland oder in der Türkei aufgehalten werde. In beiden Fällen würden Menschen mit Zwangsmitteln davon abgehalten, ihren Weg nach Europa weiterzugehen. Merkel aber sieht da durchaus einen Unterschied: Zum einen hält sie es für besser, mit der Türkei zu einer Vereinbarung zu kommen, weil auch die Regierung in Ankara durch den Flüchtlingsstrom sowie damit verbundene mafiöse Strukturen und eine wachsende Schattenwirtschaft in immer größere Schwierigkeiten gerät. Die Folgen könnten auch für Europa unkalkulierbar sein, weshalb Merkel die Türkei lieber einbinden und entlasten will.

Um den Zuzug nach Europa zu steuern, hat die Kanzlerin zudem von Beginn an darauf gesetzt, insbesondere für die Syrer so nahe wie möglich an ihrer Heimat einigermaßen anständige Lebensbedingungen zu schaffen, also in der Türkei mithilfe finanzieller Unterstützung der EU, sowie - mit mehreren Milliarden Euro, die vor wenigen Wochen auf der Londoner Geberkonferenz zugesagt wurden -, in Jordanien und Libanon, wo ebenfalls Hunderttausende Flüchtlinge insbesondere aus Syrien leben. Damit soll vermieden werden, dass die Flüchtlinge Schleuser bezahlen, um illegal nach Europa zu kommen, und dabei das Risiko in Kauf nehmen, während der Überfahrt in der Ägäis zu ertrinken.

Tatsächlich reißt der Zustrom an Flüchtlingen auf den griechischen Inseln offenbar bislang nicht ab. Am Donnerstagmorgen kamen etwa 800 Migranten von den Inseln Lesbos und Chios in der Hafenstadt Piräus an. Am Abend wurde eine weitere Fähre mit etwa 300 Migranten an Bord erwartet. Fünf Menschen starben beim Kentern eines Bootes im Meer zwischen Griechenland und der Türkei, unter ihnen ein drei Monate altes Baby.

© SZ vom 11.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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