Balkan:Grenzwertige Pläne

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Symbol der Trennung: Die Brücke von Mitrovica in Nordkosovo, wo in den 90er-Jahren Kosovo-Albaner gegen ethnische Serben kämpften (Foto: AFP/Getty Images)

Serbien und Kosovo erwägen offenbar, entsprechende Gebiete entlang ethnischer Linien zu tauschen.

Von Thomas Kirchner, Brüssel

Der Auftritt am Wochenende ließ Balkan-Beobachter aufhorchen. Bei einem Politikforum im österreichischen Alpbach erklärten der serbische und der kosovarische Präsident, sie seien bereit für ein Abkommen der beiden Staaten, das eine "Grenzkorrektur" beinhalten könnte. Ein Jahr lang hatten Aleksandar Vučić und Hashim Thaçi zuvor unter Führung der EU miteinander geredet, waren aber keinen Schritt vorangekommen. Und nun dies: Im Raum steht ein Gebietstausch, wie ihn so ähnlich kürzlich der Belgrader Thinktank Zentrum für Euro-atlantische Studien vorschlug. Demnach erhielte Serbien einige überwiegend von Serben bewohnte Dörfer im Norden Kosovos, während Kosovo einen albanisch dominierten Zipfel im südserbischen Preševo-Tal bekäme.

Die Kosovo-Frage, die den jüngsten großen europäischen Krieg verursachte, ist nach wie vor heikelstes Problem auf dem Balkan. Vor zehn Jahren erklärte die frühere serbische Teilrepublik ihre Unabhängigkeit, doch noch immer schwelt der Konflikt; mehrere Dutzend Staaten, unter ihnen Russland, China und fünf EU-Staaten, verweigern Kosovo die Anerkennung. Eine fantastische Nachricht also?

Manche Balkan-Experten sind anderer Ansicht. Sie wittern eine Grenzänderung nach ethnischen Kriterien, die zu einem Präzedenzfall für andere ungelöste Minderheitenkonflikte auf dem Balkan werden könnten. "Wir erleben die Rückkehr der Idee, es sei einfach und für die Stabilität sogar förderlich, auf dem Balkan monoethnische Staaten zu schaffen. Doch das ist eine Illusion, wie die Vergangenheit gezeigt hat", sagte der schwedische Ex-Außenminister Carl Bildt, früherer EU-Sondergesandter für das ehemalige Jugoslawien, der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Die Idee, Menschen mit derselben Religion, Ethnie und Sprache abzugrenzen, möge gut klingen, sagte Gerald Knaus von der Europäischen Stabilitätsinitiative der bosnischen Zeitung Dnevni Avaz, sei aber sehr gefährlich. "Jeder regionale Politiker oder europäische Beamte, der diese Vorstellung wiederbelebt, würde extrem unverantwortlich handeln."

Ähnlich eindeutig hatte sich Mitte August Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gegen jegliche Grenzverschiebung ausgesprochen und die territoriale Integrität der Balkanstaaten für "unantastbar" erklärt. Nach einem Gespräch mit dem bosnischen Premier Denis Zvizdić bekräftigte sie: "Man muss das immer wieder sagen, weil es immer wieder Bestrebungen gibt, doch noch einmal über Grenzen zu reden. Das können wir nicht tun." Sie wiederholte damit die zwischen der EU und den USA in den 1990er-Jahren verabredete Linie, wonach die neuen Grenzen der Balkanstaaten den inneren Grenzen des früheren Jugoslawiens entsprechen sollten. Das hat Stabilität geschaffen, aber eben auch explosive Minderheitenprobleme. Auf einen Grenzverschiebungs-Deal in Kosovo könnten sich nun etwa Serben und Kroaten im Vielvölkerstaat Bosnien oder die Albaner in Mazedonien berufen.

In der EU fürchtet man, andere Balkanstaaten könnten so einem Modell folgen

Die Reaktion der EU-Kommission hingegen fiel positiver aus. "Wir sollten es ihnen (Serben und Kosovaren) überlassen", sagte Erweiterungskommissar Johannes Hahn in Alpbach. "Wir unterstützen das Finden einer Lösung, wenn die Umstände insgesamt stimmen." Hahn ist eigentlich nicht zuständig, die offiziellen Gespräche laufen unter Führung der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini. Aber deren Ergebnis war mager, und Hahn habe einen guten Draht zu den beiden Protagonisten, ist in der Kommission zu hören. Der Österreicher Hahn war auch zugegen bei einem Treffen der beiden in Wien mit Kanzler Sebastian Kurz, der sich als "Brückenbauer" in der EU beweisen möchte.

Die Kritik der Experten hält man in der Kommission für voreilig. Eine Vereinbarung stehe nicht einmal im Ansatz. Es sei doch zu begrüßen, dass sich etwas bewege in dem Streit und dass vor allem der Kosovare Thaçi einen Schritt nach vorn mache. Zudem habe Hahn sehr klare Bedingungen genannt: Demnach muss es sich um eine speziell auf Kosovo zugeschnittene Lösung handeln, die "keinesfalls zum Präzedenzfall werden" dürfe. Die ganze Region müsse einbezogen werden, und es dürfe "keine Trennung entlang ethnischer Linien" geben.

Doch das scheinen die Nationalisten Vučić und Thaçi im Sinn zu haben. Serbien will auch der EU beitreten, die Lösung des Kosovo-Problems wäre ein Fortschritt. Ein Vertrag würde zudem implizit die Anerkennung des Nachbarn bedeuten. Was Thaçi bewegt, ist unklar. Laut der österreichischen Zeitung Standard lehnen Premier Ramush Haradinaj wie auch die Opposition eine Gebietsveränderung ab. Beide Präsidenten reisen kommende Woche nach Brüssel, um Mogherini ihre konkreten Ideen darzulegen.

© SZ vom 30.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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