Baden-Württemberg:Unter Druck

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"Wenn das die grüne Antwort ist: sorry!" Der Parteitag der Grünen in Baden-Württemberg steht plötzlich ganz im Zeichen der Klimaproteste.

Von Claudia Henzler, Sindelfingen

Schon das Motto klang wie eine direkte Reaktion auf die Demonstrationen von Fridays for Future: "Mit Zukunft haben wir Erfahrung" hatte die Parteispitze groß über dem Rednerpult plakatieren lassen. Und tatsächlich stand der Parteitag der Grünen in Baden-Württemberg völlig unter dem Eindruck dieser jungen und kraftvollen gesellschaftlichen Bewegung, die erst am Freitag gezeigt hatte, dass sie Hunderttausende Menschen allein in Deutschland mobilisieren kann.

Die zweitägige Veranstaltung im Stuttgarter Vorort Sindelfingen hätte ein rauschendes Fest, zumindest ein fröhlicher Parteitag werden können. Hatte sich doch vor 40 Jahren genau an diesem Ort, in der Stadthalle von Sindelfingen, der erste Landesverband der Grünen gegründet. Heute sind die Grünen stärkste Kraft im Bundesland, haben in Winfried Kretschmann einen auch weit jenseits der eigenen Klientel beliebten Ministerpräsidenten, der für die nächste Wahl wieder als Kandidat zur Verfügung steht, und kommen in der neuesten Umfrage zur Wählergunst auf nie dagewesene 38 Prozent.

Ein 17-Jähriger redet der Partei ins Gewissen: "Wenn das die grüne Antwort ist: sorry!"

Doch es war ein Parteitag der gemischten Gefühle. Einerseits sehen viele Grüne die Proteste für mehr Klimaschutz als Chance, ihre politischen Ziele schneller umzusetzen. "Wir merken alle, dass jetzt nach kurzer Zeit Dinge gehen, die vorher wahrscheinlich nicht gegangen wären", sagte Kretschmann, als er am Samstagabend bei einer Podiumsdiskussion über die Entwicklung der Grünen nachdachte. Das habe sich auch auf seine Rede am Vormittag ausgewirkt. "Wahrscheinlich hätte ich so einen radikalen Sound ohne die Fridays for Future nicht gemacht", sagte er. Vorher, so Kretschmann, hätte er nämlich gedacht: "Das bringt doch nichts." Durch den Druck, den die Schülerproteste auf die Politik ausüben habe er nun aber die Hoffnung, "das Ding noch mal zu kippen", also den Klimawandel aufzuhalten.

Die Grünen wollen das mit einem großen Klimaschutzpaket auf Landesebene erreichen, das unter anderem mehr Investitionen in den öffentlichen Nahverkehr, mehr Ladesäulen, eine Solarpflicht für Neubauten und die energetische Sanierung aller landeseigenen Immobilien vorsieht. Bei der Diskussion über dieses ambitionierte Programm, das nicht ohne den Koalitionspartner CDU umsetzbar sein wird, zeigte sich, dass Fridays for Future die Partei auch gehörig vor sich her treibt. Schon am Samstag war kaum ein Redebeitrag ohne Verweis auf die jugendlichen Demonstranten ausgekommen. Nun rangen die Delegierten stundenlang um Details. Um wie viel Prozent müssen Autoverkehr und Emissionen bis zu welchem Jahr reduziert werden? Der Landesvorstand und auch die Regierungsmitglieder legten hier Wert auf realistische Ziele, um die Gesellschaft nicht zu überfordern. Baden-Württemberg soll ihrer Vorstellung nach bis 2040 klimaneutral sein.

Ein Ziel, das einer der jungen Aktivisten als völlig unzureichend bezeichnete. Der 17-jährige Schüler Adrian Lächele aus Tübingen durfte den Delegierten stellvertretend für Fridays for Future seine Meinung über das Klimaschutzpaket entgegenschleudern: "Wenn das die grüne Antwort auf die Klimakrise ist, sorry: Dann hat man Sie Ihrer viel beschworenen DNA beraubt." Tatsächlich wurde die Zahl 2040 schließlich aus dem Leitantrag genommen. Nun soll das Land "schnellstmöglich" klimaneutral werden.

© SZ vom 23.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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