Baden-Württemberg:"Satt und selbstzufrieden"

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Am Boden liegt ein Plakat der gescheiterten grünen Kandidatin Veronika Kienzle. Favorit bei Stuttgarts OB-Wahl ist nun der CDU-Mann Frank Nopper. (Foto: Arnulf Hettrich /imago)

Die Spitzenkandidatin der Grünen zieht sich überraschend aus der Wahl des Oberbürgermeisters in Stuttgart zurück. Das kommt in der Öko-Partei nicht bei allen gut an.

Von Claudia Henzler, Stuttgart

Das Rennen um die Oberbürgermeisterwahl in Stuttgart hat eine überraschende Wendung genommen, denn eines steht inzwischen fest: Die Grünen werden den Chefsessel im Rathaus verlieren. Veronika Kienzle, die Kandidatin der Partei, hat am Mittwoch ihren Rückzug erklärt, obwohl sie als Zweitplatzierte aus dem ersten Wahlgang hervorgegangen war. In Baden-Württemberg sieht das Kommunalwahlrecht keine Stichwahl vor. Insgesamt neun von ursprünglich 14 Bewerbern werden am 29. November noch einmal antreten. Dann genügt die relative Mehrheit zum Sieg.

Bei der Wahl am Sonntag lag der CDU-Bewerber Frank Nopper mit knapp 32 Prozent klar vor Kienzle, die nur auf gut 17 Prozent kam.

Während die Vorsitzenden der Stuttgarter Grünen am Mittwoch versicherten, dass sie "höchsten Respekt" für Kienzles Entscheidung empfänden, hat der ehemalige Grünen-Politiker Rezzo Schlauch, der in den Neunzigerjahren selbst zweimal in Stuttgart kandidiert hatte, heftige Kritik geäußert. Die Parteigremien hätten Professionalität vermissen lassen, sagte er in einem Interview mit der Stuttgarter Zeitung, und die Grünen seien zu "satt und selbstzufrieden" geworden, um "aus den bequemen Parlamentssesseln auch mal ins Risiko zu gehen". Seiner Ansicht nach hätte es "einen Wettbewerb der Besten unter den Grünen" um die Kandidatur geben müssen.

Kienzle haftete der Makel an, eine Verlegenheitskandidatin zu sein

Der Bundestagsabgeordnete Cem Özdemir und die Landtagspräsidentin Muhterem Aras waren als mögliche Nachfolger für den grünen Amtsinhaber Fritz Kuhn gehandelt worden, hatten jedoch kein Interesse. So haftete Kienzle der Makel an, dass sie als Verlegenheitskandidatin galt. Der Kommunalpolitikerin gelang es im Wahlkampf nicht, zumindest das eigene Lager von ihrer Eignung zu überzeugen. Und zu wenige prominente Grüne haben deutlich gemacht, dass sie ihr das Amt selbstverständlich zutrauen würden.

Nun überlässt die Kandidatin der Partei, die im Stuttgarter Gemeinderat die größte Fraktion stellt, den Wählern nicht das letzte Wort. Kienzles Begründung dafür ist mindestens eigenwillig. Sie erklärte, dass ihr ein persönlicher Sieg weniger wichtig sei als das Ziel, einen Oberbürgermeister von der CDU zu verhindern.

Kienzle hatte in den vergangenen Tagen versucht, ein Bündnis gegen den CDU-Kandidaten Frank Nopper zu schmieden. Mit der SPD, dem Einzelkandidaten Marian Schreier sowie Hannes Rockenbauch von der linksökologischen Gruppierung SÖS hatte sie darüber verhandelt, wer der aussichtsreichste Kandidat wäre, um so ein Bündnis anzuführen. Theoretisch wäre es sogar möglich gewesen - auch das eine Besonderheit des Bundeslands - doch noch Özdemir oder Aras ins Rennen zu schicken, was die SPD tatsächlich anregte. Letztlich war aber Schreier, und in der Folge auch Rockenbauch, nicht zum Verzicht bereit.

Der SPD-Kandidat sollte noch im Frühjahr aus der Partei ausgeschlossen werden

Die Wähler müssen nun entscheiden: Geben sie ihre Stimme dem CDU-Mann Nopper, der im Gemeinderat keine Mehrheit hat? Oder Rockenbauch, der fordert, dass der Bau des Projekts "Stuttgart 21" sofort eingestellt wird, obwohl die meisten Bürger die Fertigstellung längst als unvermeidlich akzeptieren? Oder entscheiden sie sich für Schreier, Bürgermeister der 4600-Einwohner-Stadt Tengen, der durch populistische Zuspitzungen auffällt und im ersten Wahlgang auf 15 Prozent kam?

Dass Schreier gute Erfolgschancen hat, kann als weiteres Kuriosum gelten. Im Frühjahr hatte die SPD vorübergehend ein Parteiausschlussverfahren wegen "unsolidarischen" Verhaltens gegen ihn geführt, weil der 30-Jährige dem offiziellen SPD-Kandidaten Konkurrenz machte, obwohl er selbst dem SPD-Landesvorstand angehört. Jetzt rufen die Jusos sogar ausdrücklich zu seiner Wahl auf.

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