Außenminister auf neuen Wegen:Landpartie für den Mann von Welt

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Frank-Walter Steinmeier will Parteikarriere machen. Vielleicht sogar Kanzler werden. Dabei fehlt ihm die Nähe zur Basis. Das will er jetzt in Brandenburg nachholen, wo er einen Wahlkreis gefunden hat. Über erste Gehversuche auf unbekanntem Terrain.

Thorsten Denkler, Ziesar

Am "Durstlöschzug" auf dem Fest der SPD Ziesar ist der Außenminister hängen geblieben. Da steht er, Rücken zum Tresen, eine Schale Currywurst in der Hand, eingeklemmt von Fotografen und Bürgern der Stadt Ziesar ganz im Westen Brandenburgs.

Außenminister Steinmeier fährt Rad in Brandenburg. (Foto: Foto: ddp)

Es spielen im Wechsel die Burgmusikanten Ziesar (Schlager) und das örtliche Jugendorchester (Swing). Ein Mann überreicht Steinmeier ein Basecap mit dem Schriftzug "Freiwillige Feuerwehr Ziesar". Eine Frau wünscht sich ein Autogramm, wofür Frank-Walter Steinmeier bereitwillig die Currywurst zur Seite legt. Sie kann es noch gar nicht fassen, dass dieser Mann, den sie nur aus dem Fernsehen kennt, sie ab 2009 in Berlin vertreten soll.

Tags zuvor war er noch offiziell als Außenminister der Bundesrepublik Deutschland unterwegs. Jetzt darf er ganz den Wahlkampf proben. Vier Tage lang wird er jetzt lernen, was es heißt, einen eigenen Wahlkreis zu betreuen. Unterbrochen nur von der Kabinettsklausur in Meseberg.

Wird auch Zeit, sagen einige Genossen. Der Mann hat es in der SPD zum Außenminister gebracht, ohne ein einziges Plakat geklebt zu haben. Er hatte damals das Glück, dass der richtige Mann auf ihn aufmerksam wurde: Gerhard Schröder. Im Sog von Schröders Aufstieg zum Bundeskanzler war Steinmeier immer dabei. Erst als Schröders Büroleiter in Niedersachsen, zum Schluss als Chef des Bundeskanzleramtes. Schröder hat einmal gesagt, er vertraue außer seiner Frau nur zwei Menschen: seiner Büroleiterin und "dem Frank".

Spielwiese für den Alltagstest

Heute ist er Außenminister und er könnte noch mehr werden. Bundeskanzler zum Beispiel. Er ist der mit Abstand beliebteste Politiker der SPD. Ob er das Amt wollen würde, wenn man ihn fragen würde, sagt er nicht. Aber in der SPD wollen das viele. Sie sehen Beck und denken, lass es besser den Steinmeier machen.

Erstmal macht Kurt Beck ihn im Oktober auf dem SPD-Parteitag in Hamburg zu seinem stellvertretenden Parteivorsitzenden. Ist lange nicht vorgekommen, dass einer ohne Stallgeruch dahin kommt. Vielleicht deshalb hat er sich auf die Suche nach einem eigenen Wahlkreis gemacht - und den Wahlkreis 060 mit dem schönen Namen "Brandenburg an der Havel - Potsdam-Mittelmark I - Havelland III - Teltow-Fläming I" im Westen des Bundeslandes gefunden. Ein sicheres Pflaster für einen Sozialdemokraten, heißt es. Und eine gute Spielwiese, um seine Alltagstauglichkeit als Parteipolitiker unter Beweis zu stellen.

Noch gehört der Wahlkreis Margit Spielmann, einer gebürtigen Brandenburgerin. Die will aufhören. 2009 ist sie 66 Jahre alt. Sie holte hier 2005 über 40 Prozent der Stimmen. Keine schlechte Vorlage.

Ab und zu glotzen Kühe

Zu dem Wahlkreis gehören 50 Städte und Gemeinden. Eine ländliche Gegend. Dünn besiedelt. Bekannt für den Spargel aus Beelitz. Die Reise steht unter dem Motto "Begegnungen in Brandenburg". Aber wer hier Menschen treffen will, muss weite Strecken fahren. Heute macht Steinmeier mit seinem Tross 25 Kilometer mit dem Rad und dann nochmal 60 mit dem Bus.

In Lehnin beginnt die Reise. Steinmeier soll das Zisterzienserkloster sehen. Es ist vielleicht gar nicht so schlecht, die Reise in einer Klosterkirche zu beginnen. Die Ruhe tut gut. Der Tag wird lang werden. Über Steinmeier hängt Jesus am Holzkreuz. Der Kopf nach rechts gewandt. Zu den Ungläubigen, erklärt Stefan Beier, Leiter des Kloster-Museums: "Rechts die Hölle, links das Paradies." Symbolik wie für einen Sozialdemokraten gemacht.

Man fährt durch Dörfer, die Busendorf heißen oder Klaistow. Ab und zu glotzen Kühe dem Pulk nach.

Nur die Menschen sind nicht da, zumindest nicht da, wo Steinmeier ist. "Die arbeiten ja", entschuldigt eine Mitarbeiterin. Ein paar müsste es dennoch geben. In einigen Teilen von Steinmeiers künftigem Wahlkreis liegt die Arbeitslosenquote bei knapp 20 Prozent.

Die Abwesenheit der Menschen hat auch einen Vorteil für Steinmeier: Er muss nicht viel reden. Nur zuhören. Wie ihm der Leiter des Krankenhauses in Lehnin erklärt, was es bedeutet, ohne Chirurgie auskommen zu müssen. Wie ihm im Backofenmuseum Emstal erklärt wird, wie das Gerät funktioniert, mit dem die Bäcker früher Brötchenteig portionierten.

Wahlkampftraining

Als Maximilian, 4 Jahre, vor dem Lehmbackofen auf dem Dorfplatz von Emstal ein Autogramm will, geht der Minister neben ihm in die Knie. Lange genug, damit die Fotografen ihre Fotos machen können. Sogar noch ein wenig länger. Die Mama darf hinterher mit ihrem Sohnemann ein Fernsehinterview geben. Die Autogrammkarte hält sie dabei stolz in die Kamera. Besser konnte es nicht laufen.

Über das Brotbackmuseum Emstal und dem erstaunlich entvölkerten Erlebnisbauernhof Buschmann in Klaistow geht es mit dem Rad zur Zietenkaserne bei Beelitz. Eine Art Heimspiel für den Außenminister. Das Logistikbataillon hat ständig 320 Soldaten im Kosovo im Einsatz, Ende 2008 soll es nach Afghanistan gehen. Wenn der Bundestag das Mandat verlängert. Weltpolitik eben.

Heimspiel in der Kaserne

Hier redet Steinmeier. Nachdem er gesehen hat, wie Soldaten lernen, Sprengstoffe in Autos zu entdecken, stellt er sich den Fragen einer wenig fragefreudigen Gruppe junger Soldaten.

Einer fragt dann doch: Ob es überhaupt ein Szenario gäbe, wo gesagt werden müsse, jetzt haben wir nichts mehr zu suchen in Afghanistan, etwa wenn die Taliban dort wieder das Sagen hätten? Selbstverständlich genau dann, antwortet ihm Steinmeier. Und hat damit Gelegenheit über die Notwendigkeit zu reden, dass dort weiter für den Aufbau der staatlichen Verwaltung, einer afghanischen Armee zu sorgen sei. Es mache ebenso wenig Sinn, das Land kopflos zu verlassen wie kopflos dazubleiben.

Spannender ist, was er wohl am Abend sagen wird beim Fest der Orts-SPD im Hof der Burg Ziesar. Es gäbe durchaus etwas anzumerken. Vor der Burg stehen ein gutes Dutzend Schülerinnen, Schüler, Eltern und Lehrer. Dem örtlichen Gymnasium soll die elfte Klasse gestrichen werden. 60 Kinder hätten am letzten Schultag vor den großen Ferien angemeldet sein müssen, damit sicher 50 Kinder am ersten Schultag anfangen. Die 60 wurden nicht erreicht, die 50 wohl. Dennoch wird die Stufe gestrichen. Einige Kinder müssen jetzt bis zu drei Stunden zum nächsten Gymnasium fahren.

Brandenburg und der tote Mönch

Das ist nicht Welt-, nicht Innen-, das ist Lokalpolitik. Ein klassisches Wahlkreisproblem. Steinmeier kann es nicht lösen. Aber das Mädchen mit dem Plakat "Wir wollen Abitur in Ziesar machen" hätte gedacht, dass Steinmeier zumindest ein offenes Ohr hat. Hatte er nicht. Er geht stramm an der Gruppe vorbei. Dieter Sehm, der SPD-Bürgermeister von Ziesar spricht das Problem auf der Bühne nochmal an. Aber Steinmeier geht nicht darauf ein.

Er dankt seinen Mitarbeitern für die gute Organsiation der Reise, verweist auf das gute Wetter und erklärt noch kurz, wie schon mehrfach an diesem Tag, dass es nicht von ungefähr komme, wenn Wirtschaftsforscher in Brandenburg ein künftiges "Kraftzentrum" Deutschlands sähen. In 17 Jahren Regierungsarbeit hätten eben die SPD-Männer Manfred Stolpe und Matthias Platzeck das Land wieder aufgebaut.

Die Schülerinnen und Schüler vor dem Burgtor hat das nicht überzeugt. Aber Steinmeier muss wohl noch lernen. Brandenburg ist eben kein einfaches Land. Das haben schon die Mönche 1190 erfahren müssen. Frisch aus Thüringen im Kloster Lehnin angekommen, wurde ihr Abt Sibold im benachbarten Dorf Nahmitz erschlagen. Es soll ein anzügliches Missverständnis um die Frau des Fischers gegeben haben. Die Mönche flohen. Doch der Legende nach erschien ihnen die Jungfrau Maria und rief: "Redeatis! Nihil deerit vobis." Kehret um, es soll Euch an nichts mangeln. So blieben sie in Brandenburg. Umkehren kann auch Steinmeier jetzt nicht mehr.

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