Außenansicht:Wir gehören der Erde

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Warum eine Allgemeine Erklärung der Menschheitsrechte jetzt notwendig ist.

Von Yves Charles Zarka

Im vergangenen Jahr bat der französische Präsident François Hollande die frühere Umweltministerin des Landes, Corinne Lepage, eine "Allgemeine Erklärung der Menschheitsrechte" vorzubereiten. Ziel dieses Projektes sollte es sein, die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte zu ergänzen, so wie sie 1948 von den Vereinten Nationen verabschiedet wurde. Geplant ist, die neue Erklärung während der großen Klimakonferenz der Vereinten Nationen Ende des Jahres in Paris zu diskutieren und anzunehmen.

Warum ist so eine Erklärung wichtig? Sie ist erstens wichtig, weil sie universell sein muss. Sie würde ja tatsächlich gemeinsame Prinzipien der gesamten Menschheit definieren, jenseits aller Unterschiede von Kultur, Gebräuchen, Lebensstil und Religion. Sie müsste dies tun, ohne dabei diese Unterschiede zu negieren.

Erstens ginge es darum zu zeigen, dass es möglich ist, unabhängig von der Relativität der Werte und Standpunkte, etwas Gemeinsames für die gesamte Welt zu entwickeln, das die Idee der "Menschheit" positiv ausfüllt.

Zweitens würde so eine Erklärung unmissverständlich klarmachen, dass es Themen gibt, die nicht nur dieses oder jenes Land, diese oder jene Region, dieses oder jenes Volk betreffen, sondern die Menschheit als Ganzes. Die Menschheit ist als Ganzes involviert, weil sie ein gemeinsames Schicksal teilt, ein Schicksal, das durch die unauflösliche Bindung des Menschen an die Erde besiegelt ist. Die Erde ist ja nicht nur der Planet dieses Namens, es ist auch und vor allem die von Menschen bewohnbare Welt. Die Menschheit existiert nicht im abstrakten Raum, die Erde ist die Voraussetzung unserer Existenz in jederlei Hinsicht, von den einfachsten Bedürfnissen bis zu den höchsten Funktionen des Denkens, der Vorstellungskraft, den Leidenschaften, der Hoffnung. Umgekehrt ist die Erde nicht einfach ein indifferenter Ort oder eine biologisch-physikalische, chemische Realität ohne Gedächtnis. Sie trägt in sich das lebendige Archiv der Menschheitsgeschichte und das aller anderen Lebewesen,

Drittens zwingt eine Erklärung der Menschheitsrechte alle Beteiligten dazu, klarzustellen, was man eigentlich unter "Menschheit" versteht. "Menschheit" ist keine Abstraktion, es ist das Prinzip, dass jedes menschliche Wesen identisch ist mit jedem anderen. Dieser Satz muss allerdings richtig verstanden werden. Der große Essayist Michel de Montaigne sagte, dass jeder Mensch "die ganze Form der menschlichen Kondition in sich trägt". Diese Form ist jedoch singulär, was bedeutet, dass die Verschiedenartigkeit zentraler Bestandteil der menschlichen Identität ist. Die Identität der Identität ist nicht Identität, sondern Differenz. Es gibt Tausende, Millionen, sogar Milliarden Wege, ein Mensch zu sein. Das Konzept der Menschheit bekommt seine Bedeutung gerade durch die Unterschiedlichkeit, nicht trotz ihr.

Wenn Universalität, Erde und Menschheit auf diese Weise philosophisch definiert werden, dann würde eine Erklärung der Rechte der Menschheit auf internationaler Ebene politisch das gemeinschaftliche Schicksal formulieren, das alle menschlichen Gesellschaften teilen. Dies wäre eine Dimension, die über die Politik hinausgeht und daher metapolitisch oder auch kosmopolitisch wäre. Die gemeinsamen Risiken für die gesamte Menschheit sind so groß geworden, dass Politik verpflichtet ist, lokale, regionale oder nationale Perspektiven zu überwinden, sodass sie auf einer breiten Ebene eine kosmopolitische Dimension erreicht. Damit wird die politische Dimension nicht negiert. Es wird einfach eine Dimension darübergelegt.

Alles Eigentum ist provisorisch, prekär, sekundär oder nachrangig

So gesehen sollte eine Deklaration der Menschheitsrechte in die Präambel nationaler Verfassungen eingehen, so wie es heute einige Demokratien mit der Erklärung der Menschenrechte halten. Die Erklärung der Menschenrechte legitimierte den Widerstand gegen die Unterdrückung von Individuen und ganzen Völkern. Die Erklärung der Menschheitsrechte würde nicht nur den Kampf gegen Unterdrückung begründen, sondern auch den Widerstand gegen die unbegrenzte und zerstörerische Übernutzung der Erde. Sie hätte als Ziel den Kampf nicht nur gegen Unterdrückung, gegen Armut, Ausbeutung des Menschen und die Beherrschung eines Teils unseres Planeten durch einen anderen. Es ginge auch darum, die Erde selbst und die Zukunft der ganze Menschheit zu sichern.

Ich habe versucht, fundamentale kosmopolitische Prinzipien zu definieren, auf die eine Erklärung der Menschheitsrechte gegründet werden müsste. Diese Prinzipien sind die Nicht-Zurechenbarkeit der Erde und die Verantwortung für die gesamte Menschheit. Die Idee der Nicht-Zurechenbarkeit stellt die ebenso religiöse wie auch rechtliche Idee infrage, die besonders (aber nicht nur) das westliche Denken prägt, wonach die Erde dem Menschen gehört, der sie nach seinem Belieben nutzen kann.

Der Zweck ist nicht, individuelles oder kollektives Eigentum zu unterminieren, sondern es radikal zu begrenzen: Die Erde gehört nicht den gegenwärtigen Generationen, sie ist nicht deren Eigentum. Das bedeutet: Alles Eigentum ist provisorisch, prekär, sekundär oder nachrangig. Niemand, weder Individuen noch Kollektive, haben ein absolutes Recht auf Teile der Erde; solche Rechte können nur limitiert sein, also einem fundamentaleren Prinzip nachgeordnet: der Sicherung der Basis für die heutige und die künftige Existenz der Menschheit. Der Erde gehört uns nicht, wir gehören ihr.

Mit der Erkenntnis, dass man die Erde niemandem zurechnen kann, hängt die Verantwortung für die Menschheit zusammen. Das ist eine supplementäre, indirekte Verantwortung für unsere individuellen, kollektiven, privaten und öffentlichen Handlungen. Das bedeutet, dass wir, in dem wir handeln, dies nicht nur als Bürger mit Bezug auf spezifische Kollektive tun, sondern auch als Bürger der Welt mit Blick auf die gesamte Menschheit. Diese Verantwortlichkeit ist kosmopolitisch, sie ist nicht nur moralisch, sondern auch quasi-rechtlich und sollte daher seinen Ausdruck in Verfassungen finden. Es sind kosmopolitische (und damit universelle) Rechte und Pflichten, die gegründet werden auf die Zugehörigkeit und die Solidarität mit der lebenden Welt.

Es sind diese beiden Prinzipien, die Nichtzurechenbarkeit der Erde und die Verantwortlichkeit für die Menschheit, die es möglich machen, eine Allgemeine Erklärung der Rechte und Pflichten der Menschheit mit Inhalt zu füllen.

© SZ vom 27.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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