Außenansicht:Was Versprechen wert sind

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Anna Beckers, 32, ist Assistenzprofessorin für Privatrecht und Rechtsmethodik an der Universität Maastricht. (Foto: Ausserhofer/Körber-Stiftung)

Der VW-Skandal zeigt: Freiwillige Verhaltenskodizes von Firmen sollten verbindlich werden.

Von Anna Beckers

Wenn es um den Abgas-Skandal bei Volkswagen geht, wird viel über die Höhe von Strafen diskutiert, über die Zahl der zurückzurufenden Autos und über die Rechte geschädigter Kunden. Es sollte bei all dem aber auch ein Thema sein, dass Volkswagen gegen seine selbstentwickelten Verhaltensgrundsätze für gesellschaftlich verantwortliches Unternehmertum verstoßen hat. Wie viele andere Konzerne hat Volkswagen einen Kodex erarbeitet, den es öffentlichkeitswirksam als Grundlage für das globale Geschäft präsentiert. Dieser Verhaltenskodex dient als interne Richtschnur für die Mitarbeiter, er ist aber auch ein Versprechen an die Öffentlichkeit, sozial verantwortlich zu handeln. Der Bruch dieses Versprechens in der Abgas-Affäre sollte auch rechtlich nicht folgenlos bleiben.

Sind Verhaltenskodizes von Unternehmen tatsächlich Versprechen an die Öffentlichkeit und kann, bezogen auf den Fall VW, die Manipulation von Abgaswerten, als Bruch dieses Versprechens qualifiziert werden? Das Problem: Die in den Kodizes enthaltenen Grundsätze sind häufig sehr vage formuliert. Es finden sich Schlagworte wie die Förderung der "sozialen und ökologisch nachhaltigen positiven Entwicklung" oder die Entwicklung "umwelteffizienter Technologien".

Doch solch abstrakt gehaltene Grundsätze lassen sich häufig durch in den Kodizes selbst erwähnte internationale Leitprinzipien spezifizieren, wie etwa die Leitsätze der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) für multinationale Unternehmen oder die Prinzipien des Global Compact für eine sozialere und ökologischere Globalisierung. Zudem ist klar: So diffus die Grundsätze auch gefasst sind, eindeutige Verletzungen lassen sich häufig identifizieren. Die Manipulationstechnik im Fall von VW bleibt in jedem Fall ein klarer Verstoß gegen den unternehmenseigenen Grundsatz, "Verantwortung für die kontinuierliche Verbesserung der Umweltverträglichkeit unserer Produkte" zu tragen.

Warum aber kann der Bruch eines Versprechens an die Öffentlichkeit rechtliche Konsequenzen haben? Intuitiv scheint es dem Grundsatz im deutschen Privatrecht zu widersprechen, dass private Handelnde Rechtspflichten durch gegenseitige Verträge schaffen, eine einseitige Erklärung aber ein Fall von nur sozialer oder moralischer Bindung des Betroffenen bleibt.

Kodizes sind jedoch auch kein rein altruistisches Versprechen, wie es das Privat-recht vor Augen hat. Sie sind eine strategische Form der Unternehmenskommunikation, mit denen Unternehmen Überzeugungsarbeit gegenüber der Öffentlichkeit leisten wollen, und dies durchaus nicht aus rein philanthropischem Antrieb.

Die jüngst geänderte Richtlinie der EU-Kommission zur Rechnungslegung enthält zum Beispiel eine Verpflichtung für große Unternehmen, in ihrem Lagebericht eine "nicht-finanzielle Erklärung" zu Umwelt- und Sozialengagement abzugeben. Zudem nutzen Unternehmen Verhaltenskodizes werbewirksam, um strategische Vorteile auf dem Markt zu erlangen. Und letztlich sind sie auch eine Erklärung an die Politik, mit der Unternehmen unterstreichen wollen, dass die zusätzliche Regulierung durch Gesetze angesichts effektiver Selbstverpflichtungen unnötig sei.

Im VW-Abgas-Skandal wäre das Ziel, Umweltschäden zu kompensieren

Welche Rechtsfolgen könnte die Verletzung eines Kodex haben? Und wer könnte sie einklagen? Die Funktion des Kodex ist hier entscheidend. Es handelt sich um Versprechen von Unternehmen, gesamtgesellschaftliche Interessen wie Umweltschutz, Arbeitnehmerstandards oder Menschenrechte zu beachten und die Einhaltung selbst zu kontrollieren. Daher muss es zum einen darum gehen, die durch die Verletzung dieser Interessen entstandenen Schäden zu kompensieren. Zum anderen sollte es mit Blick auf die Zukunft darum gehen, Unternehmen auf die Einhaltung der eigenen Grundsätze im gesellschaftlichen Interesse zu verpflichten.

Im Fall von Volkswagen wäre also das Ziel, konkret Umweltschäden zu kompensieren oder Gewinne abzuschöpfen, die VW auf Kosten der Umwelt erzielt hat. Da-neben müssten das Unternehmen und seine Organe auf die künftige Einhaltung des Verhaltenskodex' verpflichtet werden.

Nach geltendem Recht ist dies schwer zu realisieren. Schäden an Allgemeingütern wie der Umwelt lassen sich nicht einfach beziffern, und Klagerechte ohne individuelle Rechtsverletzung gibt es im deutschen Recht bisher kaum. Aus diesen Gründen sollte man als Konsequenz aus dem VW-Skandal auch prüfen, ob und wie Klagerechte erweitert werden müssten, um zu gewährleisten, dass Unternehmen ihre Versprechen auch einhalten. Bestehende Kollektivklagerechte im Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb könnten als erste Vorlage dienen. Bereits heute können Verbraucherverbände danach bei Verletzung eines Verhaltenskodex' wegen irreführender geschäftlicher Handlung und unter Umständen auch auf Gewinnabschöpfung klagen.

Gegen diese Überlegungen gibt es zwei Einwände. Der erste lautet: Die Interpretation von Verhaltenskodizes als Rechtspflichten könnte zu einer Überregulierung führen. Tatsächlich jedoch würde die Verrechtlichung von Verhaltenskodizes gerade keine neue Regulierung schaffen. Es ginge im Kern vielmehr darum, das Vertrauen in die Institution der Selbstregulierung mit den Mitteln des Rechts zu stärken. Dies liegt letztlich auch im Interesse der Wirtschaft.

Zumindest jenen Unternehmen, die effektive Verhaltenskodizes zu etablieren versuchen, sollte daran gelegen sein, dass nicht andere die Glaubwürdigkeit der Selbstregulierung als solche gefährden. Sie müssten es begrüßen, wenn Fehlverhalten sanktioniert wird. Zudem wäre die Rechtsdurchsetzung als letztes Mittel zu konzipieren, das nur greift, wenn die internen Kontrollen versagt haben oder eine bestimmte Schadensschwelle überschritten wurde.

Der zweite Einwand lautet: Durch die Verrechtlichung werden Unternehmen entmutigt, Verhaltenskodizes zu verabschieden. Nun ist die hier vorgeschlagene Rechtsdurchsetzung aber darauf ausgelegt, Unternehmen auf die Einhaltung ihrer eigenen Grundsätze zu verpflichten. Sie soll also Unternehmen dazu anhalten, Grundsätze zu entwickeln, bei deren Einhaltung und effektiver interner Kontrolle sie keine juristischen Konsequenzen zu befürchten haben. Wenn nun schon allein eine Rechtspflicht zur Einhaltung der eigenen Grundsätze Unternehmen davon abhalten würde, sich solche zu geben, sollte wohl eher die Verlässlichkeit dieser Form der Selbstregulierung im Ganzen überdacht werden als die Frage nach der Rechtsdurchsetzung.

© SZ vom 21.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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