Außenansicht:Was Katalonien lehrt

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Vorsicht vor einer EU-Fiskalunion: Zu viel Zentralismus beim Geld fördert nur den Wunsch nach Austritt.

Von Friedrich Heinemann

Friedrich Heinemann, 52, arbeitet am Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim und lehrt Volkswirtschaftslehre an der Universität Heidelberg. (Foto: N/A)

Der zunehmend chaotische Konflikt um das Referendum zur Unabhängigkeit Kataloniens belastet den Zusammenhalt Spaniens als Staat schwer. Für den Wunsch vieler Katalanen nach Unabhängigkeit gibt es viele historische, kulturelle und politische Ursachen. Von besonderer Bedeutung ist dabei jedoch die fiskalische Dimension. Eine als zu weit gehend empfundene finanzielle Belastung und die geringe Haushaltsautonomie der Region haben die Unabhängigkeitsbewegung in den vergangenen Jahren beflügelt. Diese Erfahrung ist für Europa von hoher Relevanz. Für die EU und die Euro-Zone werden derzeit ambitionierte Reformen der Finanzverfassung diskutiert. Sie sollen zu einer stärkeren Zentralisierung der europäischen Finanzen führen. Wird dies umgesetzt, dann kann - wie in Spanien heute - der Austritt aus dem Föderalsystem für einige Mitgliedstaaten attraktiv erscheinen.

In den Finanzbeziehungen zwischen Katalonien und dem spanischen Gesamtstaat gibt es eine Unwucht. Zwischen den in der Region vom Zentralstaat vereinnahmten Steuern und den zurückfließenden öffentlichen Mitteln klafft eine erhebliche Lücke. Die Regierung in Madrid selber gibt an, dass die autonome Region jährlich in der Größenordnung von etwa zehn Milliarden Euro mehr an den Zentralstaat abliefert, als sie von dort bekommt. Dies entspricht fünf Prozent der katalanischen Wirtschaftsleistung. Berechnungen der Regierung Kataloniens weisen ein noch höheres Defizit in Höhe von 7,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus. Pro Kopf der Bevölkerung liegt die Belastung der Katalanen damit je nach Rechnung zwischen 1 300 und 1 900 Euro jährlich.

Die Dominanz des Zentralstaats und die geringe fiskalische Eigenverantwortung Kataloniens spiegeln sich auch in der Verteilung der staatlichen Schulden wider. Spaniens Staatsverschuldung hat über alle staatlichen Ebenen hinweg 1 150 Milliarden Euro und damit fast 100 Prozent des BIP erreicht. Diese Verschuldung besteht zu einem großen Teil aus direkten Verbindlichkeiten der spanischen Zentralregierung. Katalonien ist zwar auch im eigenen Namen verschuldet, allerdings nur mit 75 Milliarden Euro, das sind moderate 35 Prozent der Wirtschaftsleistung Kataloniens. Diese vergleichsweise geringe unmittelbare Haftung der Regionen für die spanische Staatsverschuldung ist brisant. Eine Sezession Kataloniens würde Spanien ein Fünftel seiner Wirtschaftskraft kosten, die Staatsschulden des Zentralstaats aber nur wenig verringern. Dies könnte das ohnehin stark verschuldete Land finanziell aus der Bahn werfen. Die Frage der Übernahme von Teilen der spanischen Staatsschuld durch ein unabhängiges Katalonien wäre damit ein zentraler Konfliktpunkt bei einer Verhandlung über die Unabhängigkeit Kataloniens, sollte es je einmal dazu kommen.

Finanzielle Solidarität hat nur dann eine Chance, wenn eine breite Mehrheit dahintersteht

Versuche, die fiskalische Autonomie Kataloniens zu stärken und die Nettobelastung zu deckeln, sind in den vergangenen Jahren gescheitert. Das 2006 nach komplizierten Verhandlungen vom spanischen Parlament verabschiedete neue Autonomiestatut Kataloniens hätte die fiskalische Eigenständigkeit der Region gestärkt und Obergrenzen für die finanzielle Belastung festgeschrieben. Diese Schutzrechte wurden im Jahr 2010 vom spanischen Verfassungsgericht kassiert. Das faktische Scheitern einer Dezentralisierung des spanischen Föderalismus hat der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung maßgeblich Auftrieb gegeben.

Diese innerspanischen Erfahrungen sind heute für Europas Reformdebatte extrem wichtig. Viele Vorschläge für eine mögliche europäische Fiskalunion sind im Endeffekt Vorschläge für eine fiskalische Zentralisierung in Richtung neuer europäischer Budgets, zentraler EU-Steuern und neuer gemeinsamer Verschuldungs- und Transferinstrumente. Immer wieder wird dabei auf die Erfahrungen existierender Föderalstaaten verwiesen, die angeblich deshalb so gut funktionieren, weil es einen ausgebauten Finanzausgleich, große zentrale Budgets und eine zentrale Staatsschuld gibt.

Der Katalonien-Konflikt lehrt heute das Gegenteil. Eine zu weit gehende fiskalische Zentralisierung kann den politischen Zusammenhalt einer Föderation bis hin zum staatlichen Zerfall untergraben. Die Erfahrung Spaniens zeigt, dass nicht einmal eine jahrhundertelange Geschichte der staatlichen Einheit deren Überleben garantiert. Diese Gefahr ist offenkundig in solchen Föderationen besonders ausgeprägt, in denen, wie in Spanien, starke regionale Identitäten mit eigenen Sprachen und Nationalgefühlen existieren. Genau diese Bedingungen kennzeichnen aber die EU und werden es auch künftig tun. Daher sind die Erfahrungen des spanischen Föderalsystems für Europa viel relevanter als die der Bundesrepublik Deutschland mit ihrer sprachlichen und kulturellen Homogenität. Dass umfangreiche Geldtransfers von Süd- nach Nord- und Ostdeutschland über Jahrzehnte keine Sezessionsbestrebungen ausgelöst haben, ist für ein europäisches Transfersystem ohne Aussagekraft. Nicht zuletzt der Brexit belegt, dass sich Nationalstaaten schon bei sehr geringen fiskalischen Lasten von der EU abwenden können. Hinzu kommt, dass ein Austrittsrecht in der EU-Verfassung festgeschrieben ist und mit dem Brexit ein Präzedenzfall geschaffen wurde. Die Strategie spanischer Politiker und Richter, spanischen Regionen ein Austrittsrecht abzusprechen, ist für die EU nicht verfügbar.

Die Katalonien-Krise liefert somit drei zentrale Erkenntnisse, die bei der Fortentwicklung des europäischen Fiskalsystems berücksichtigt werden sollten. Erstens sind ehrgeizige fiskalische Versicherungs- und Transfersysteme ein Risiko für die politische Akzeptanz und das Überleben der EU. Werden Mitgliedstaaten über längere Zeit einseitig belastet, begünstigt dies dort Austritts-Bewegungen. Zweitens ist eine europäische Zentralisierung von Staatsschulden ein Risikofaktor für den möglichen künftigen Austritt von Mitgliedstaaten, weil sich daraus unklare Haftungsregeln und somit das Risiko neuer Schuldenkrisen ergeben. Und drittens schließlich können die Urteile zentraler Verfassungsgerichte kaum die fehlende Akzeptanz für weit gehende Umverteilungssysteme ersetzen. Sowenig wie das Urteil des spanischen Verfassungsgerichts von 2010 die Lage beruhigen konnte, sowenig werden künftige europafreundliche Urteile des Europäischen Gerichtshofs für eine Legitimität fiskalischer Umverteilung sorgen können. Finanzielle Solidarität zwischen den Staaten Europas hat keine Zukunft, wenn sie nicht durch eine breite Zustimmung der Menschen in den belasteten Staaten getragen ist.

© SZ vom 06.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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