Außenansicht:Vom Sparen zur Reform

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Alexander Kritikos, 53, ist Forschungsdirektor im Bereich Unternehmertum beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin und Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Potsdam. (Foto: Bettina Keller)

Griechenland hat den Staatshaushalt saniert - mit dramatischen Folgen für die Bevölkerung und viele Unternehmen. Nun muss das Land attraktiv für Investoren werden. Auch mithilfe der Gläubiger, die auf einen Teil ihrer Forderungen verzichten.

Von Alexander Kritikos

Am 20. August endet das dritte Hilfsprogramm für Griechenland - acht Jahre lang hat sich das Land mühselig von einem Programm zum nächsten geschleppt. Was wurde im Austausch für neue Kredittranchen nicht alles reformiert: Die Renten, die staatlichen Löhne und der private Mindestlohn wurden gesenkt, die Zahl der Staatsbediensteten reduziert, die Sozialleistungen gekürzt. Die Steuern wurden erhöht, dann kam eine Rentenkürzung und noch eine; die Steuern und Sozialabgaben wurden abermals erhöht. Für Januar 2019 ist noch eine Rentenkürzung vorgesehen.

Diese Schritte dienten der Sanierung des griechischen Staatshaushalts - angesichts der jüngst erzielten Primärüberschüsse durchaus ein Erfolg. Aber die Reformen blieben nicht ohne Nebenwirkungen. Sie führten zu massiven Einbrüchen in der Binnennachfrage, bis 2014 zu einem dramatischen Rückgang der Bruttowertschöpfung in den gewerblichen Unternehmen um 42 Prozent und in der Folge zu hoher Arbeitslosigkeit und Armut. Am stärksten traf es Kleinstunternehmen und, mit Ausnahme des Tourismus, den Low-Tech-Sektor. Erst jüngst hat eine leichte, kraftlose Erholung eingesetzt. Doch das Vorkrisenniveau bleibt in weiter Ferne.

Mit dem Ausstieg aus den Hilfsprogrammen will die griechische Regierung nun trotz negativer wirtschaftlicher Eckwerte ein Signal an Märkte und Investoren senden: Die Turbulenzen der vergangenen zehn Jahre stellten kein Wachstumshindernis mehr dar. Zugleich sprechen griechische Regierungsmitglieder viel von der "Wiederherstellung der nationalen Souveränität". Die Gläubiger Griechenlands unterstützen dies - auch aus eigenem Interesse - durch die Schaffung eines Liquiditätspuffers und einer Verschnaufpause bei der Tilgung der Staatsschulden bis zum Jahr 2032. Nur erwarten sie im Gegenzug von Athen sehr hohe Primärüberschüsse von jährlich 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts bis zum Jahr 2023 und 2,2 Prozent bis zum Jahr 2060. Man muss von einem vierten Hilfsprogramm sprechen.

Eine solche Haushaltsvorgabe ist ein deutliches Misstrauensvotum gegenüber dieser und künftigen griechischen Regierungen. Ob diese Vorgabe über einen so langen Zeitraum eingehalten werden kann, ist zweifelhaft - ebenso, ob sie ökonomisch sinnvoll ist. Denn sie schränkt die Instrumente griechischer Regierungen erheblich ein, durch öffentliche Investitionen Wachstum zu fördern und die Wirtschaft anzukurbeln. Von nationaler Souveränität ist Athen jedenfalls weit entfernt.

Aber es geht um mehr als diese vorläufige Stabilisierung des makroökonomischen Umfelds und die Beschränkung der Handlungsfähigkeit der Regierung. Griechenland braucht die richtigen Rahmenbedingungen für eine wettbewerbsfähige Wirtschaftsstruktur.

Viele haben sich von den Hilfsprogrammen erhofft, dass sich die Reformen auch auf die Entwicklung der griechischen Wirtschaft positiv auswirken. Die Rahmenbedingungen für Investitionen und unternehmerische Aktivitäten wurden aber nur punktuell verändert: So können Beschäftigungsangebot und -nachfrage jetzt besser aufeinander abgestimmt werden durch flexiblere Arbeitsverträge und Arbeitszeitmodelle; Anreize zur vorzeitigen Pensionierung wurden abgeschafft.

Die Gläubiger könnten ihre Forderungen mildern - wenn das Geld in Innovationen fließt

Viele andere Strukturreformen blieben in den acht Jahren aber liegen, obwohl sie Teil aller drei Rettungspakete waren. Produktmärkte bleiben überreguliert, der Staatsapparat ist ineffizient, die öffentliche Verwaltung funktioniert schlecht. Das Steuersystem ist unzuverlässig, die Bürokratie überbordend, zahllose sich widersprechende Vorschriften belasten den Alltag der Unternehmen. Das Justizsystem hat sich gar verschlechtert, es dauert mittlerweile durchschnittlich fast 4,5 Jahre, um vertragliche Ansprüche in erster Instanz gerichtlich durchzusetzen. Hinzugekommen sind Kapitalverkehrskontrollen, immer höhere Steuersätze und die Notsituation der Banken. Bei Letzteren ist knapp die Hälfte aller Kredite notleidend, was die Vergabe neuer Kredite an Unternehmen hemmt. Auch das Innovationssystem Griechenlands hat gelitten. Während griechische Forscherinnen und Forscher weiterhin gut publizieren, findet dieses Wissen zu selten einen Weg in die Wirtschaft.

Alle diese Rahmenbedingungen hätten verbessert werden müssen, um Griechenland attraktiver für Investoren zu machen. So könnten Start-ups auch nach ihrer Gründung in Griechenland bleiben, anstatt wie jetzt auszuwandern, und Unternehmen stärker wachsen, um von Griechenland aus internationale Märkte zu erschließen. So könnten sich die Arbeitsmarktreformen auch in Form von neuer und stabiler Beschäftigung für die Menschen auszahlen.

Das Land hat viel Potenzial, nicht nur im Tourismus, sondern auch in der Logistikbranche und vor allem in den wissensintensiven Dienstleistungen, etwa im IT-Bereich und mit geringerem Anteil auch im verarbeitenden Gewerbe.

Es gibt handfeste Gründe, warum diese Reformen nicht eingeleitet wurden: Die Unternehmen, die in stark regulierten Märkten tätig sind, fühlen sich darin durchaus wohl. Schließlich wird das Eindringen neuer Unternehmen erschwert, die für mehr Wachstum, aber auch für mehr Wettbewerb sorgen. Auf der anderen Seite sichern sich Politiker und Bürokraten mithilfe widersprüchlicher Verwaltungsvorschriften ihren Teil am Kuchen. Es gibt also eine implizite Vereinbarung zweier starker Interessengruppen, diesen Teil der Reformen außen vor zu lassen - zu Lasten Dritter.

Was fehlt, ist eine Regierung, die die Gesamtinteressen des Landes über Partikularinteressen stellt und den immer noch anstehenden Reformprozess strategisch neu ausrichtet - das hat immerhin auch der griechische Finanzminister kürzlich in einem Interview zugestanden. Unklar ist, inwieweit die aktuelle oder eine künftige Regierung eine solche Neuausrichtung nun eigenverantwortlich anstoßen wird.

Hier kommen wieder die Gläubiger ins Spiel. Die jüngste Vereinbarung ermöglicht es ihnen, ihre Forderungen nach Primärüberschüssen abzumildern, wenn diese Reformen doch noch angegangen und die frei werdenden Mittel von griechischer Seite für wichtige Projekte verwendet werden: staatliche Investitionen in das griechische Innovationssystem etwa, oder den Aufbau eines modernen sozialen Sicherheitsnetzes, das notwendig ist, um die negativen Folgen der Arbeitsmarktderegulierung abzufangen.

Griechenland braucht angebotsorientierte Reformen, damit es mehr private Investitionen gibt - nur so kann die Wirtschaft nachhaltig wachsen. Bleibt alles beim Alten, bleiben auch die Zukunftsperspektiven des Landes bescheiden.

© SZ vom 07.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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