Außenansicht:Sex muss erlaubt bleiben

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Die schwedischen Pläne für ein schärferes Strafrecht verstoßen gegen Unschuldsvermutung und Selbstbestimmungsrecht.

Von Monika Frommel

Opferschutz-Kampagnen leben von der permanenten Empörungsbereitschaft und sind nicht zu befriedigen. Sie geben sich nicht mit nur einer Änderung des Sexualstrafrechts zufrieden, etwa dem "Nein heißt Nein", sondern benötigen neue Kampagnen. Das schwedische Sexkaufverbot wurde beispielsweise nicht nur zivilrechtlich genutzt, sondern führte auch zu willkürlichen und sehr frühen polizeilichen Zugriffen beim entsprechenden "Verdacht". Eine Falschanzeige reicht dann, um den Ruf des Beschuldigten gründlich zu ruinieren. Nun soll das schwedische Sexualstrafrecht unter dem Eindruck der MeToo-Debatte verschärft werden. Sex soll nur noch nach ausdrücklicher Zustimmung aller Beteiligten erlaubt sein.

Offenbar benötigt eine mittlerweile ziemlich inhaltsleere Frauenpolitik immer wieder neue Anlässe, um eine empörungsbereite Öffentlichkeit zu mobilisieren. Eigentlich ist die Fixierung auf "männliche" Sexualität als Ursache für die strukturelle Unterdrückung aller Frauen altmodisch. Sie wurde 1975 behauptet, zunächst im Bestseller von Susan Brownmiller: Against Our Will: Men, Women and Rape (Gegen unseren Willen, 1978) - und dann in zahllosen Varianten nachgebetet. Brownmiller deutete die sexuelle Befreiung durch die Pille um in eine neue Gefahr. Nun seien alle Frauen (und Mädchen) Sexualobjekte.

Diese Phobie befremdet zwar nach mehr als vierzig Jahren, aber die Vorstellung, Frauen lebten in einem Klima des Sexismus, blieb dennoch hängen. Unterschwellig lauert demnach eine Gefahr. Sie geht nun nicht mehr nur vom gewaltbereiten Mann aus, sondern angeblich von jedem Mann. Wehren sich Beschuldigte gegen das Klima der Verdächtigung, riskieren sie eine Rufmord-Kampagne.

Nun wäre das Medienspektakel nur ärgerlich, käme es nicht als Forderung an das jeweilige Strafrecht daher. Ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren beginnt mit einer Anzeige, mit dem darin geäußerten Verdacht. Es steht dann Aussage gegen Aussage. Der Weg zu einer Pressemitteilung ist kurz. Durch schlichtes Schweigen riskiert der Beschuldigte dann, dass das Gericht der Anzeige glaubt. Die Unschuldsvermutung ist nichts mehr wert. Unnötig zu betonen, dass derart diffuse Vorwürfe auch nicht zu dem Gedanken passen, dass das Strafrecht nur als Ultima Ratio legitim und wirksam ist.

Manche Aktivistinnen wollen sich von dieser Idee befreien und Tatbestände so erweitern, dass die Aburteilung mehr oder weniger schematisch der Anzeige folgt. Dabei geht es diesen bevormundenden Feministinnen gar nicht mehr um mittlere oder schwere Straftaten, sondern um Verstöße gegen ihre maternalistische Moral. Sie schaffen Bagatelldelikte, die dann in der Öffentlichkeit massenhaft skandalisiert werden können (shitty-men-list). Um Freiheitsstrafen, schon gar um solche, die nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden können, geht es diesen Punitivistinnen also nicht mehr. Das überlassen sie der klassischen und der Neuen Rechten.

Tathandlung soll nach den schwedischen Plänen nun jede sexuelle Handlung sein, bei der nicht zuvor explizit eine Zustimmung eingeholt worden ist und vom Beschuldigten auch bewiesen werden kann. Wie aber soll ein als "Täter" Verdächtigter plausibel erklären, dass das vom Gesetz geforderte Einverständnis vorgelegen hat? Eigentlich bedeutet dies, dass man den In-dubio-pro-reo-Grundsatz (Im Zweifel für den Angeklagten) nicht nur nicht mehr beachtet, sondern in sein Gegenteil verkehrt. Dies geschieht in einer Subkultur, die jede sexuelle Handlung als tendenziellen Übergriff deutet. Hat ein derartig Beschuldigter Pech und die schwedische Kultur nimmt den neuen Akt der Volkspädagogik ernst, dann ist sein Ruf bereits durch ein der Öffentlichkeit bekannt gewordenes Ermittlungsverfahren ruiniert.

Frauen werden in die Rolle der Opfer gedrängt, Männer gelten als tendenziell übergriffig

Was will dieser Gesetzesentwurf eigentlich schützen? Das sexuelle Selbstbestimmungsrecht wird ja durch das Verbot spontaner sexueller Annäherung erheblich eingeschränkt, und zwar auch das von Frauen. Nach schwedischen Vorstellungen wird ja jeder spontane Sexualakt als "verdächtig" markiert. Gefestigt werden sollen offenbar harte geschlechtstypische Stereotype: Frauen werden in die Rolle der beschuldigenden Zeuginnen und Opfer gedrängt, Männer gelten als tendenziell "übergriffig". Schwedische Frauen sollen sich offenbar damit abfinden, dass sie sich in einer strukturellen, ihre Identität dauerhaft prägenden Situation befinden, die nur Staatsfeministinnen mildern können. Staatlicher Schutz vor spontaner Sexualität wird zur Staatsnotwendigkeit erklärt. Strafrecht würde - käme es zu dieser absurden Änderung - umgeformt in ein Instrument der symbolischen Bekräftigung einer für "richtig" gehaltenen sozialen Norm, wie einseitig sie auch sei.

Nach Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) hat jede Person ein Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und Korrespondenz. Die Behörden dürfen in dieses Recht nur eingreifen, soweit ein solcher Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für: die nationale oder öffentliche Sicherheit, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Aufrechterhaltung der Ordnung, die Verhütung von Straftaten, den Schutz der Gesundheit, der Moral oder der Rechte und Freiheiten anderer.

Wie wir unser Sexualleben gestalten, ist danach staatlicher Fürsorge und strafrechtlicher Repression entzogen. Beim "Nein heißt Nein" kann man noch - mit Mühe - zugestehen, dass dem Beschuldigten nach den sich bildenden Grundsätzen der Rechtsprechung zumindest nachgewiesen werden muss, dass er den "erkennbaren" entgegenstehenden Willen konkret kannte und bewusst übergehen wollte. Bedingter Vorsatz nach dem Motto, er hätte es ja erkennen können, was zunächst gefordert worden war, reicht nach dieser Auslegung nicht aus. Denn eine solche Doktrin würde gegen das Schuldprinzip verstoßen.

Sexuelle Handlungen sind grundsätzlich erlaubt, man muss sich also nicht nach besonderen Regeln pflichtgemäß erkundigen und haftet auch nicht für Sorglosigkeit. Nur wenn ein Kind entsteht, muss der Erzeuger Unterhalt bezahlen, aber bestraft werden darf er deswegen nicht. Mit der "Ja heißt Ja"-Lösung werden demgegenüber alle Grenzen überschritten. Strafverfahren münden in reine Verdachtsstrafen, die Beweislast wird dem Beschuldigten aufgebürdet, und jede Person, der ein nicht gewaltförmiges sexuelles Verhalten missfallen hat, kann andere nun hemmungslos falsch beschuldigen. Interessant, dass nicht nur am östlichen Rand Europas, sondern nun auch in Schweden, die EMRK und das Rechtsstaatsprinzip missachtet werden.

© SZ vom 29.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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