Außenansicht:Reformer brauchen Hilfe

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Ein Atom-Abkommen mit Teheran ist noch keine Garantie für eine gute Entwicklung Irans.

Von Volker Perthes

Wahrscheinlich wird Ende Juni oder auch etwas später ein Nuklearabkommen mit Iran vereinbart werden. Auf ein paar Tage mehr oder weniger kommt es nach zwölf mühsamen Verhandlungsjahren nicht an. Die Konturen dieses Abkommens sind klar: Iran wird, mit internationaler Zustimmung, ein eigenes Programm zur friedlichen Nutzung der Atomenergie aufrechterhalten können, wird dieses aber einschränken müssen und zu einer gewissen Transparenz verpflichtet werden, um eine militärische Nutzung zu verhindern oder zumindest frühzeitig erkennbar zu machen. Die wegen des Atomprogramms vom UN-Sicherheitsrat, von den USA und von der EU verhängten Sanktionen werden suspendiert oder beendet werden.

Mit einem solchen Abkommen wird die Gefahr einer Proliferation von Nuklearwaffen im Nahen und Mittleren Osten deutlich reduziert. Eine Normalisierung der Beziehungen Irans mit den westlichen Staaten wird möglich. Trotz aller Kritik, die im US-Kongress, im iranischen Parlament, in Israel, in Saudi-Arabien und anderswo schon vorweg laut geworden ist, wäre dies ein enormer diplomatischer Erfolg.

Gleichzeitig ist es in der Diplomatie wie beim Bergwandern: Hinter der Kuppe, die man gerade erklimmt, erscheint, wenn man sie endlich erreicht hat, die nächste. Während also die Verhandlungen zwischen den USA, den anderen Mitgliedern des Sicherheitsrats und Deutschland auf der einen und Iran auf der anderen Seite in die vermutlich allerletzte Runde gehen, müssen politische Entscheidungsträger sich bereits über die Wirkungen des erwarteten Deals Gedanken machen.

Tatsächlich dürfte ein Nuklearabkommen nämlich das regionale Kräftefeld in Schwingung versetzen: Iran wird durch das Abkommen kein anderer Staat werden, aber eine so wesentliche Veränderung in den internationalen Beziehungen des Landes wird innenpolitische Auswirkungen zeitigen und sich gleichzeitig auf die Position Irans in seiner Umgebung auswirken. In welcher Weise dies geschieht, lässt sich leider nicht vorhersagen. Die folgenden zwei Szenarien stecken aber den Raum plausibler Entwicklungsmöglichkeiten ab.

Das erste Szenario drückt im Kern die Hoffnungen der Staaten aus, die das Abkommen mit Iran verhandeln - und weitgehend auch das der heutigen iranischen Unterhändler. Das Nuklearabkommen wird demnach in Iran die Kräfte stärken, die auf regionalen und internationalen Ausgleich setzen. Iran wird seine Sprache den USA, Saudi-Arabien und allmählich auch Israel gegenüber verändern. Saudi-Arabien und die arabischen Staaten sind bereit, den guten Willen Irans zumindest zu testen und eine Einbeziehung Irans in Bemühungen um eine Verhandlungslösung des Syrien-Konflikts zu akzeptieren. Teheran nutzt in der Tat seinen Einfluss in Damaskus, ermöglicht einen Waffenstillstand zwischen der Regierungsarmee und den vom Saudi-Regime und anderen arabischen Staaten unterstützten Rebellenmilzen, den Rückzug Assads sowie die Bildung einer Übergangsregierung, die genügend Glaubwürdigkeit und Unterstützung hat, um wirksam gegen den sogenannten Islamischen Staat vorzugehen. Auch in Jemen können Iran und Saudi-Arabien gemeinsam den akuten Bürgerkrieg beenden. Innenpolitisch profitieren Irans Präsident Rohani und seine Regierung davon, dass wieder ausländische Investitionen ins Land kommen, die Wirtschaft Fahrt aufnimmt und neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Die Öffnung in Richtung Europa und, vorsichtig noch, auch USA stärkt innerhalb Irans die reformorientierten Mittelschichten. Der internationale Erfolg Rohanis erlaubt es ihm zudem, innere Reformen gegen den Widerstand konservativer Kräfte durchzusetzen. All dies verschafft dem Präsidentenlager bei den kommenden Wahlen eine deutliche Mehrheit; Iran bleibt auf einem Reform- und Entspannungskurs.

Die Europäer können die innere Entwicklung in Iran durch Handel beeinflussen

Allerdings ist auch ein ganz anderes Szenario vorstellbar, bei dem trotz des Atomabkommens die regionalen Spannungen zunehmen und Iran sich nicht öffnet. Hiernach wird innerhalb Irans bald deutlich, dass Präsident Rohani und Revolutionsführer Khamenei das Atomabkommen aus unterschiedlichen Gründen angestrebt haben: Rohani, um Iran wieder stärker in die internationale Gemeinschaft zu integrieren, Khamenei, um die Sanktionen loszuwerden und Iran auch als Regionalmacht zu stärken. Nationalisten und Hardliner in Iran verunsichern die Nachbarn, indem sie immer öfter betonen, dass selbst die USA mit dem Abkommen anerkannt hätten, dass Iran nun einmal die stärkste Regionalmacht sei. Saudi-Arabien, andere arabische Staaten und Israel fühlen sich in ihrer Skepsis gegenüber dem Abkommen bestätigt. Riad wird weiter versuchen, eine "sunnitische" Koalition gegen Iran zu bauen und echte oder vermutete iranische Marionetten militärisch zu bekämpfen. Angesichts der regionalen Spannungen bleibt der Effekt des Sanktionsabbaus sehr viel geringer als erwartet. Rohani wird im Innern dafür kritisiert, dass er dem Westen zu große Zugeständnisse gemacht habe.

Tatsächlich sind der Revolutionsführer und die Konservativen sich einig, dass Rohani mit dem Atom-Deal seine Schuldigkeit getan hat. Da er wenig wirtschaftliche Erfolge vorweisen kann, verliert Rohani zunächst die Parlaments- und 2017 auch die Präsidentschaftswahl. In Teheran herrschen wieder die Konservativen. Das passt insofern in die Landschaft, als sich auch in Saudi-Arabien, Ägypten und anderen arabischen Staaten jene Kräfte durchgesetzt haben, die auf eine Politik der militärischen Stärke nach außen und der autoritären Stabilisierung nach innen setzen.

Keines dieser beiden Szenarien wird sich in Reinform realisieren. Das zweite Szenario macht uns deutlich, dass auch politisch erwünschte Entwicklungen unerwünschte Ergebnisse nach sich ziehen können. Die EU und ihre Mitgliedstaaten können die inneren Entwicklungen in Iran ein wenig beeinflussen, indem sie sich sichtbar für einen raschen Ausbau wirtschaftlicher und kultureller Beziehungen nach dem Abschluss eines Abkommens einsetzen. Vor allem aber sollten europäische Staaten sich schon jetzt bemühen, Iran auf der einen und Saudi-Arabien sowie den arabischen Golfstaaten auf der anderen Seite dabei zu helfen, ihr gegenseitiges Misstrauen abzubauen. Denn ohne eine Entspannung zwischen Iran und Saudi-Arabien - so viel ist bei aller Unvorhersehbarkeit innenpolitischer und regionaler Dynamiken klar - wird die konfessionelle Polarisierung in der gesamten Region weiter angeheizt werden, eine politische Lösung in Syrien und Jemen, eine Stabilisierung des Irak oder ein effektives Vorgehen gegen den IS aber ausbleiben.

© SZ vom 18.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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