Außenansicht:Politische Justiz

Lesezeit: 3 min

Griechenlands ehemaligem obersten Statistiker droht das Gefängnis, weil er seinen Job gut gemacht hat. Das ist ein Skandal.

Von Thanos Catsambas

Es gibt in Griechenland eine bedenkliche Politisierung der Justiz, das zeigt der Fall des Andreas Georgiou. Georgiou war Präsident der griechischen Statistikbehörde (Elstat), und er muss sich in einem zweifelhaften Prozess verantworten, der nicht enden will. Ihm wird vorgeworfen, das Haushaltsdefizit Griechenlands aus dem Jahr 2009 künstlich aufgeblasen zu haben, um so die Sparpolitik und die Konjunkturprogramme des Internationalen Währungsfonds, der Regierungen der Euro-Zone und der Europäischen Zentralbank durchsetzen zu helfen. Unlängst entschied Griechenlands oberster Gerichtshof, dieses Verfahren noch einmal neu aufzurollen. Doch es geht dabei nicht um Recht und Gerechtigkeit. Die Strafverfolgung von Georgiou zeigt, wie sich in Griechenland die politischen Interessen des populistischen rechten Flügels und des radikalen linken Flügels annähern, wenn es gegen jene Fachleute geht, die versucht haben, Griechenland zu reformieren. Der Statistik-Experte soll zum Sündenbock für das Versagen der griechischen Regierungen bis 2009 gemacht werden.

Dabei hat Georgiou während seiner fünfjährigen Amtszeit als Präsident der Elstat die Qualität und Zuverlässigkeit der griechischen Daten deutlich verbessert. Internationale Organisationen nahmen zunehmend davon Abstand, den Begriff "griechische Statistiken" in abschätziger Weise zu verwenden. Sie gewährten dem Land umfangreiche Rettungskredite, weil sich zeigte, dass die griechischen Zahlen verlässlich waren und die Regierung die unabhängige Arbeit der Elstat unterstützte.

Und der Dank dafür? Seit 2011 laufen verschiedene Gerichtsverfahren wegen angeblicher Manipulation von Daten, der "Schädigung des griechischen Staates" sowie wegen Verleumdung. Die vier Regierungen, in deren Dienst er gestanden hatte, unterstützten ihn - unter dem Vorwand der "richterlichen Unabhängigkeit" - bestenfalls halbherzig. Am Ende des neuen Gerichtsprozesses, könnte ihm eine jahrelange Gefängnisstrafe drohen.

Während der Verhandlungen mit den griechischen Behörden bis Ende 2014 machte die damalige Troika (der IWF, die Länder des Euro-Raums, die Europäische Zentralbank) klar, dass jegliche Beeinträchtigung der Arbeit Georgious oder gar seine Entlassung die Fortschritte des gesamten Programms aufs Spiel setzen würden. Zähneknirschend akzeptierte die Koalition aus der konservativen Nea Dimokratia und der sozialdemokratischen Pasok die Tatsache, dass die von der Elstat gelieferten Daten Griechenland zugutekommen würden, da so die Glaubwürdigkeit des Landes innerhalb der internationalen Gemeinschaft gestärkt und folglich die Aussichten auf eine vorzeitige Rückkehr Griechenlands auf die Kapitalmärkte verbessert werden könnten - was dann im April 2014 tatsächlich der Fall war, wenn auch nur für kurze Zeit. Seit 2014 hat es in jedem Fall den Anschein, dass die Rechtssache gegen Georgiou im griechischen Justizsystem noch lange vor sich hin dümpeln würde. Bis Griechenlands oberster Gerichtshof schließlich entschied, den Fall neu aufzurollen.

Die Troika sollte nun klarmachen: Dieser Prozess muss beendet werden

Nun ist für die europäischen Institutionen der Zeitpunkt gekommen, dem ein Ende zu setzen. Tatsächlich ließen Ende August die EU-Sozial- und Beschäftigungskommissarin Marianne Thyssen, Euro-Kommissar Valdis Dombrovskis und Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici der griechischen Regierung ein gemeinsames Schreiben zukommen. Dort hieß es: "Für die Kommission und Eurostat steht eindeutig fest, dass die Daten zur Staatsverschuldung der griechischen Regierung für den Zeitraum 2010-2015 Eurostat uneingeschränkt zuverlässig und korrekt übermittelt wurden". Die griechischen Behörden sollten der Behauptung entgegentreten, Elstat habe Daten manipuliert - und "die Mitarbeiter vor solchen unbewiesenen Behauptungen schützen".

Auf dem Treffen der Euro-Gruppe am vergangenen Freitag entschieden sich die Länder der Euro-Zone klugerweise, die Angelegenheit nicht auf die offizielle Tagesordnung zu setzen - nach der Feststellung des stellvertretenden griechischen Finanzministers George Chouliarakis, die griechische Regierung stelle die Elstat-Statistiken nicht infrage. Das vermeidet den offenen Konflikt mit dem griechischen Partner und erlaubt es den Verantwortlichen in Griechenland, die Sache in Ruhe zu lösen.

Das ist ein Schritt in die richtige Richtung, doch er reicht noch nicht aus. Für die gegenwärtige Troika ist es an der Zeit, die Syriza-Regierung unmissverständlich darauf hinzuweisen, dass man einen unverzüglichen und fundierten Abschluss der Affäre Georgiou erwartet. Ein Einwand gegen diese Forderung liegt natürlich schnell auf der Hand: Würde nicht ein Versuch seitens der Regierung, diese Frage zu klären, eine Einmischung in die Unabhängigkeit der griechischen Justiz darstellen? Das wäre er allerdings - wenn das griechische Justizwesen tatsächlich unabhängig wäre.

Es ist dies allerdings nur auf dem Papier. Die derzeitige Präsidentin des obersten griechischen Gerichtshofs, die von der Syriza-Regierung ernannte Vasiliki Thanou-Christofilou, ist eine bekannte Gewerkschaftsaktivistin. Als Mitglied des obersten Gerichtshofs bezeichnete sie im September 2014 die damalige Regierung unter Premierminister Antonis Samaras als "totalitaristisch". Im Februar 2015 schickte sie ein Schreiben an EU-Präsident Jean-Claude Juncker, in dem sie ihn dazu aufforderte, gegenüber den Regierungen der Euro-Zone ein Machtwort zu sprechen, um so "die Würde des griechischen Volkes zu wahren".

Sollte Thanou-Christofilou als Juristin am obersten Gerichtshof Präsident Juncker tatsächlich darum gebeten haben, sich in die regulären Richtlinien und Verfahren der Europäischen Kommission einzumischen, so dürften die derzeitigen Kreditgeber Griechenlands keinerlei Vorbehalte, Befürchtungen oder Bedenken hinsichtlich einer Gefährdung ihres guten Rufes hegen, wenn sie nun ihrerseits die Syriza-Regierung dazu auffordern, diesem absurden Fall ein Ende zu setzen.

Es wird der Zeitpunkt kommen, an dem die griechische Justiz wirklich einmal unabhängig sein wird und Fälle wie die Verfolgung von Andreas Georgiou in ferne Erinnerung gerückt sein werden. Bis auf Weiteres aber sollten die derzeitigen Kreditgeber Griechenlands die griechische Regierung gemeinsam deutlich und unmissverständlich darauf hinweisen, dass die Strafverfolgung des ehemaligen Präsidenten der Elstat aufhören muss. Andernfalls müsste eine weitere Finanzierung des griechischen Haushalts auf Eis gelegt werden - und sämtliche Verhandlungen über einen Schuldenschnitt wären wieder vom Tisch.

© SZ vom 14.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: