Außenansicht:Killervirus fürs Hirn

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Nina Hauer, 50, leitet eine Integrierte Sekundarschule in Berlin mit 1000 Schülern. (Foto: oh)

"Denken ist wie googeln - nur krasser!" In Frankreich verbietet jetzt ein Gesetz Smartphones an Schulen - damit dort wieder mehr gedacht wird. Fürs Handyverbot im Schulalltag gibt es auch hierzulande viele gute Gründe.

Von Nina Hauer

Denken ist wie googeln - nur krasser!" Diesen Aufkleber haben Lehrer unserer Schule an ihre Tür gehängt. Frankreich hat das jetzt zum Gesetz gemacht: Es soll mehr gedacht und weniger gegoogelt werden. Das bedeutet keinen Verzicht auf digitale Bildung, aber auf das Handy. In Deutschland wird der Beschluss verhalten aufgenommen. Die Frage nach einer bundesweiten Regelung stellt sich nicht; zuständig sind die Länder. Das französische Gesetz ist aber ein guter Anlass, den Umgang mit Handys in der Schule zum Thema zu machen.

Eltern argumentieren oft, ihr Kind müsse immer erreichbar sein. Selbstredend müssen sie in Notsituationen Kontakt aufnehmen können - was jahrzehntelang über das Schulsekretariat möglich war, wird ja nicht unmöglich. Aber warum muss ein heranwachsendes Kind ständig "auf Empfang" sein? Manche Eltern nutzen die dauernde Erreichbarkeit zu unnötiger Einmischung in den Schulalltag: Warum fällt heute Mathe aus? Bei uns ist es sehr warm - machen die kein Hitzefrei? Eltern verursachen damit bei Kindern, was sie eigentlich vermeiden wollen: Stress.

Die Schule ist ein Ort des Lebens; sie hat einen Bildungs-, aber auch einen Erziehungsauftrag. Die Anforderungen an die Kinder und Jugendlichen sind hoch: Täglich haben sie Unterricht in mehreren Fächern mit unterschiedlichen Aufgaben, müssen den Raum wechseln und sich auf verschiedene Lerngruppen einstellen. Sie müssen kommunizieren und Kritik, Noten, persönliche Beziehungen und den eigenen Gemütszustand emotional bewältigen. Das Handy lenkt davon nur ab. Wer Nachrichten checkt, nimmt seine Umgebung nicht mehr wahr.

"Ich hab nur bei Whatsapp was geschrieben" - solches Mobbing macht den Schulalltag kaputt

Selbstverständlich ist es Aufgabe der Schule, den Umgang mit digitalen Medien zu thematisieren und zu reflektieren, im Netz dubiose Websites von seriösen unterscheiden zu lernen. Aber braucht dazu jede und jeder ein eigenes Handy? Die Ausstattung von Schulen wird häufig als so unzureichend wahrgenommen, dass es ein Vorteil sein könnte, die Geräte selber mitzubringen. Wer aber je mit einer weinenden 13-Jährigen im Klassenraum herumgekrochen ist, um das verlorene 500-Euro-Smartphone zu suchen, kennt schon den ersten Grund, Geräte dieser Preiskategorie nicht als reguläre Unterrichtsausstattung für Teenager zu sehen. Und wer glaubt, Schüler würden nicht nebenbei Nachrichten lesen, hat schon lange in keinem Klassenraum mehr gesessen.

Für Jugendliche ist ein Handy nicht Teil der Kommunikation, es ist das Kommunikationsmittel schlechthin. Jugendliche verstehen aber oft die Grenzen zwischen direkter und digitaler Kommunikation nicht. "Ich habe ihn nicht beleidigt, ich hab nur bei Whatsapp was geschrieben" - das ist eine Quelle ständigen Ärgers auf Schulhöfen. Ganz abgesehen von Fotos, die nicht hätten gemacht oder gar versendet werden dürfen, vom Mobbing in Gruppen sozialer Netzwerke. Diese Konflikte gibt es auch dann, wenn das Handy aus der Schule verbannt wird. Aber in der Schule überfrachten sie den Unterrichtsalltag. Das Smartphone technisiert das Miteinander - bevor der direkte menschliche Umgang überhaupt geübt werden konnte.

Auch die Wirkung von Computerspielen auf das Lernverhalten und die Aufnahmefähigkeit ist verheerend. Sie löschen die Aufnahme von Lerninhalten im Kopf wie ein falscher Knopfdruck die Festplatte im Computer. Allein die Struktur eines mehrgliedrigen Satzes fordert die Komplexität eines menschlichen Gehirns mehr als die Struktur vieler Computerspiele. In der Fünf-Minuten-Pause wirken solche Spiele wie Killerviren auf die Konzentrationsfähigkeit. Die Lehrkräfte haben in der nächsten Stunde damit umzugehen. Sie sind wahrscheinlich die Gruppe in der Schulgemeinde, die am bereitwilligsten das Handy verbannen würden - aus gutem Grund.

Nina Hauer , 50, leitet eine Integrierte Sekundarschule in Berlin mit 1000 Schülern.

© SZ vom 04.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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