Außenansicht:Härte, Ausdauer und Hilfe

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Bei den Verhandlungen zum EU-Beitritt von Serbien muss die Union konsequent auf die Menschenrechte achten.

Von Markus Löning

Die beiden vergangenen Beitrittsrunden zur Europäischen Union haben gezeigt, wie wichtig es ist, EU-Beitrittskandidaten ausreichend Zeit und Unterstützung zu geben, um echte Rechtsstaatlichkeit aufzubauen. Immer noch haben wir mit den Folgen nicht wirklich durchgesetzter Justizreformen zu kämpfen.

Warum ist Rechtsstaatlichkeit so zentral? Der Wertekern der EU ist der Schutz der Menschenrechte. Wer in der Europäischen Union lebt, wird durch den Staat und seine Institutionen geschützt. Auch wenn dies nicht überall hundertprozentig funktioniert, ist unser Schutzniveau im globalen Vergleich doch sehr hoch. Der Rechtsstaat, ausgerichtet auf den Schutz des Einzelnen, ist die institutionelle Umsetzung dieses Schutzes der Freiheitsrechte. Dass derzeit so viele Menschen aus den Bürgerkriegsregionen des Nahen Ostens zu uns kommen, hat viel damit zu tun. Sie wissen, dass sie hier tatsächlichen Schutz finden werden.

Rechtsstaatlichkeit bedeutet aber mehr als Gesetze und unabhängige, funktionierende Institutionen. Die Kernideen der Rechtsstaatlichkeit - Unabhängigkeit der Justiz, Gleichheit vor dem Recht, konsistente Rechtsauslegung durch die Verwaltung, Schutz der Presse- und Meinungsfreiheit- müssen von den Gesellschaften auch getragen werden. Das Parlament muss diese Werte aus Überzeugung und parteiübergreifend schützen. Das ist einer der Gründe, warum es so wichtig ist, dass es in den Kandidatenländern eine breite öffentliche und politische Zustimmung zum Beitritt gibt.

Besonders wichtig ist in diesem Zusammenhang der Fall Serbien. Die EU sollte die Beitrittsverhandlungen mit Serbien eröffnen und mit den Kapiteln 23 und 24 zur Rechtsstaatlichkeit beginnen. Die EU-Kommission hat sich 2012, nach den Erfahrungen der letzten Beitritte in ihrer Erweiterungsstrategie auf so ein Vorgehen festgelegt. Serbien ist der erste Beitrittskandidat bei dem diese Strategie angewendet werden soll. Der Bundestag unterstützt dies in Bezug auf Serbien ausdrücklich.

Mit der Eröffnung der Kapitel werden die Reformziele festgelegt, Serbien bekommt die notwendige fachliche und finanzielle Hilfe bei der Umsetzung. Die Verhandlungen - auch über die anderen Kapitel - werden sich einige Jahre hinziehen. Die Rechtsstaatskapitel sollten bis zum Abschluss der Verhandlungen offenbleiben. Denn Serbien wird Zeit - und auch Druck - brauchen, um seine Justiz auf ein gutes Rechtsstaatsniveau zu bringen. Bei der Ratifikation eines Beitritts Serbiens werden die nationalen Parlamente und das EU-Parlament diesen Punkt besonders genau unter die Lupe nehmen.

Serbien hat einige Fortschritte gemacht und hofft bis zum Ende des Jahres die ersten Kapitel zu eröffnen. Aber die bisher vorgelegten Aktionspläne haben aus gutem Grund nicht die Zustimmung der Kommission gefunden. Serbien muss seine Anstrengungen deutlich verstärken und vor allem mehr Ernsthaftigkeit an den Tag legen. Viele Verfahren, die derzeit laufen, werfen Fragen nach der Unabhängigkeit der Justiz auf.

Ein vage formulierter Paragraf gegen Korruption lädt zum Missbrauch ein

Der erfolgreiche Kampf gegen Korruption in Justiz und Verwaltung ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für einen funktionierende Rechtsstaat. Eines der offenen Themen ist dabei der Artikel 234 des serbischen Strafgesetzbuches. Statt zu rechtsstaatlichen Verfahren zu führen, eröffnet die derzeitige vage Formulierung des "Missbrauchs einer Autoritätsposition" Willkür und politischer Einflussnahme Tür und Tor. Sie hat bisher zu mehr als 2000 Anklagen gegen gut 4000 Menschen geführt. Mehrfach hat die EU an Serbien appelliert, diesen Artikel präziser zu fassen.

Einer der spektakulärsten Fälle ist die Anklage gegen den umstrittenen Geschäftsmann Miroslav Mišković, Inhaber der größten serbischen Firma Delta, auf der Basis des Artikels 234. Ist die Verhältnismäßigkeit bei der langen Untersuchungshaft und dem Reiseverbot gewahrt? Warum wird der Richter, der Mišković seinen Reisepass vorübergehend wieder zurückgegeben hat, plötzlich versetzt? Warum wird ein einzelner herausgegriffen, ohne dass systematisch auch gegen andere ermittelt wird? Welche Rolle spielt die Politik im Hinblick auf einen Fall der sich wegen seiner Prominenz als Vorzeigemodell eignet?

Ein weiteres Beispiel für den zweifelhaften Umgang mit rechtsstaatlichen Instrumenten ist der Fall des Ombudsmannes Saša Janković. Er untersucht mutmaßlich illegale Aktionen des militärischen Geheimdienstes gegen einzelne politische Aktivisten und Politiker. Der Verteidigungsminister und die Mehrheit im zuständigen Parlamentsausschuss verweigern ihm die Auskunft, die ihm zusteht, und beschneiden seine Rechte. Plötzlich sieht er sich mit Angriffen wegen des Todes eines Freundes vor 20 Jahren konfrontiert. Der enge zeitliche Zusammenhang macht misstrauisch, denn die Diffamierung politisch Unbequemer ist ein beliebtes Mittel autoritärer Regime. Kein EU-Beitrittskandidat sollte sich diesem Verdacht aussetzen.

Auch rund um die Pressefreiheit stehen Fragen im Raum. Premierminister Aleksandar Vučić greift öffentlich das unabhängige - von der EU mitfinanzierte - Journalistennetzwerk BIRN an, nachdem es Korruptionsvorwürfe gegen seine Regierung im Zusammenhang mit der Vergabe eines öffentlichen Auftrags veröffentlicht hat. Zwölf Nichtregierungsorganisationen unterstützen in einem Brief die Journalisten und werfen der Regierung vor, den Kampf gegen die Korruption praktisch beendet zu haben.

Die EU-Mitgliedschaft bietet die Chance, den Westbalkan langfristig zu stabilisieren. Man muss gar nicht an die Jugoslawien-Kriege erinnern. Auch die derzeitigen Flüchtlingsbewegungen zeigen wieder, wie unmittelbar alles, was auf dem Balkan passiert, sich auf die jetzigen EU-Mitglieder auswirkt. Politische und wirtschaftliche Desintegration, wie etwa derzeit in Mazedonien, erhöht die Gefahr von Instabilität, Wanderungsbewegungen und letztlich auch bewaffneten Konflikten. Nicht-Handeln ist keine Option und wäre zum Schaden auch Deutschlands.

Die Stabilisierung wird aber nur funktionieren, wenn die EU ihre Bedingungen mit Härte, Ausdauer und der notwendigen Unterstützung durchsetzt. Dazu gehört die gutnachbarschaftliche Zusammenarbeit auf dem Balkan ebenso wie ein substanzieller Kampf gegen die Korruption und eine grundlegende Reform des Justizwesens. Bei anderen Balkanstaaten haben wir erlebt, dass der Kampf gegen die Korruption und die Reform des Justizwesens gut vorgespielt, aber nicht ernsthaft durchgeführt wurde. Das darf bei Serbien nicht wieder passieren.

© SZ vom 03.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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