Wenn es an diesem Donnerstag zu einer Anhörung zu der Klage der Herero und Nama gegen Deutschland vor einem Bezirksgericht in New York kommt, dann dürfte auch dem Letzten klar werden: Die deutschen Bestrebungen, den Genozid offiziell anzuerkennen und eine mögliche Entschuldigung hinter verschlossenen Türen vorzubereiten, sind gescheitert. Zumindest wenn man an Aussöhnung und Entschuldigung moralische Kategorien anlegt und es als zentrale Aufgaben staatlichen Handelns begreift, Schaden von Deutschland abzuwenden. Der Schaden ist schon eingetreten, der Prestigeverlust enorm.
Mit der Einreichung der Klage am 5. Januar 2017 büßte Deutschland für die ganze Welt sichtbar die moralische Führerschaft ein. Dabei hatte der Bundestag 2016 die Messlatte für den Umgang mit historischen Massenverbrechen hoch gelegt, als er den Völkermord an den Armeniern anerkannte. Und es war kein geringerer als Bundespräsident Gauck, der der Türkei ins Stammbuchschrieb, dass die offene Bewältigung derartiger Verbrechen die Grundvoraussetzung für eine moderne, offene und demokratische Gesellschaft sei. Die New Yorker Klage lenkt nun den Blick darauf, dass Deutschland den Balken im eigenen Auge eben doch nicht so gut sieht.
Bis heute hat der Bundestag den ersten Genozid des 20. Jahrhunderts nicht anerkannt, und eine offizielle Entschuldigung gibt es auch nicht. Statt dieses Versäumnis unverzüglich nachzuholen, begann man, mit der namibischen Regierung zu verhandeln. Worüber genau, ist ebenso unter dem Deckmantel der Vertraulichkeit verborgen geblieben wie die Positionen der Verhandlungspartner. Die Zivilgesellschaft in beiden Ländern ist weitgehend ausgeschlossen, sodass man sich fragt, wie eine Aussöhnung ohne Beteiligung der Bürger möglich sein soll. Auch die Frage, wer eigentlich innerhalb der deutschen Gesellschaft bestimmt, was ein angemessener Umgang mit diesem Völkermord ist, drängt sich auf. Ist es die Regierung, allen voran das Auswärtige Amt, oder müsste das nicht ein gesamtgesellschaftlicher Prozess sein, Ergebnis einer politischen Debatte?
Die Bilanz der Gespräche fällt verheerend aus. Zu Beginn war das Wohlwollen groß. Deutschland traute man dank seiner Aufarbeitung der Verbrechen des Dritten Reiches auch hier zu, neue Wege zu gehen. In Namibia freute man sich ob der Bereitschaft, endlich über die Verbrechen zu sprechen und durch eine Anerkennung auch dazu beizutragen, dieses traumatische Kapitel endlich abschließen zu können.
Nach zwei Jahren Verhandlungen sind jedoch viele in Namibia verärgert, verhärten sich die Fronten immer weiter. Wurde zu Beginn des 21. Jahrhunderts noch die Summe von zwei Milliarden Euro genannt, wenn es um Reparationen ging, so war Ende 2017 von 75 Milliarden Euro zu lesen. Es wird schwierig sein, diese gestiegenen Erwartungen wieder einzufangen.
Zudem sitzt Deutschland in New York wortwörtlich auf der Anklagebank, beziehungsweise könnte bald dort sitzen. Wieso hat das deutsche Verhandlungsteam dies nicht verhindert, das anfängliche Wohlwollen ausgenutzt, um zu einem einvernehmlichen Ergebnis zu kommen, das zur Aussöhnung beiträgt? Wieso gab und gibt es von Anfang an Klagen über oberlehrerhaftes deutsches Auftreten, wo doch Demut angemessen gewesen wäre? Bei manchem Beobachter weckte das Erinnerungen an den Habitus der Kolonialherren.
Wieso brauchte man überhaupt Verhandlungen? Bei der Anerkennung des Völkermordes an den Armeniern ging es ohne. Hier sprach sich der Bundestag die Kompetenz zum historischen Urteil selbst zu, ja das fehlende Eingeständnis der Türkei, dass es sich um Völkermord gehandelt hat und nicht "nur" um ein "Massaker", wird weltweit als Genozidleugnung gebrandmarkt. Macht es Deutschland besser?
Deutschland wollte, dass die Herero und Nama auf Reparationsforderungen verzichten, und bot dafür Anerkennung und Entschuldigung. So verständlich aus deutscher Sicht der Wunsch nach Rechtssicherheit vor endlosen Forderungen sein mag, so wenig überraschend ist doch die Reaktion der Betroffenen, die einen Kuhhandel auf ihre Kosten befürchten. Zumal am Verhandlungstisch die namibische Regierung sitzt, deren Chefunterhändler zwar selbst Herero ist, aber nicht von seiner Volksgruppe gewählt wurde. Verzicht auf Forderungen kann es doch nur geben, wenn Vertreter der Opfer ihn aussprechen.
Das ist aber nicht die namibische Regierung, die zudem nur namibische Staatsbürger vertreten kann. Schließlich sind nicht alle Herero und Nama namibische Staatsbürger. Auch das ist eine Konsequenz des kolonialen Genozids, als viele außer Landes flüchteten, ja außer Landes getrieben wurden. Hier sei nur an den Vernichtungsbefehl General Lothar von Trothas erinnert, in dem es hieß: "Die Hereros sind nicht mehr deutsche Untertanen. Innerhalb der deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr erschossen..." Weiß die deutsche Seite nicht um die historischen Fakten, versteht sie nicht, dass man bei der Aufarbeitung eines kollektiven Traumas anders vorgehen muss als etwa bei Handelsstreitigkeiten? Herero und Nama hatten frühzeitig zu erkennen gegeben, dass sie sich in den Verhandlungen nicht ernst genommen fühlen und ihre Klage angedroht. Vergeblich!
Auch die Tatsache, dass es in New York nun zu einer weiteren Anhörung kommt, ist Folge einer deutschen Fehleinschätzungen. Bei den vorangegangenen Anhörungen war die Bundesregierung einfach nicht erschienen unter Berufung auf die Staatenimmunität, wonach hoheitliche Akte eines Staates nicht durch Gerichte eines anderen Staates überprüft werden können. Dass die Klage von Anfang an auch darauf abzielte, weltweite Aufmerksamkeit auf den Fall zu lenken, und so Druck aufzubauen, scheint den deutschen Verantwortlichen entgangen zu sein. Wie sonst konnte man erlauben, dass sich das Verfahren mehr als ein Jahr hinzog, bis sich Deutland dann überraschend doch zum Verfahren äußerte und dessen Einstellung beantragte. Das hätte man auch im vergangenen Frühjahr haben können.
Der Antrag wurde übrigens abgewiesen, wegen eines Formfehlers. Man hatte übersehen, dass man zuvor einen Versuch zur gütlichen Einigung mit der Klägerseite unternehmen muss. Das ist nicht ohne Ironie, ist es doch das Fehlen der Gesprächsbereitschaft, welche Herero und Nama mit zur Klage getrieben hat. Bis zum 9. Februar darf die deutsche Seite dies nun nachreichen. Wie sie das machen will, ohne zur Anhörung zu erscheinen, wird interessant zu sehen sein. Die Bundesregierung hätte es einfacher haben können - und billiger.