Europa steckt in der Krise, und es sind gerade die jungen Leute, die sie am meisten trifft. Die Jugendarbeitslosigkeit ist hoch, die Zukunftsaussichten sind düster. Wer nach der Jahrtausendwende geboren wurde, hat kaum Erinnerungen an ein Europa ohne Krise. Für diese Generation gibt es keine gute Zeit vor 2008, in die man sich zurücksehnen könnte, für sie existiert nur ein von Zerfall und Gegensätzen geprägter Kontinent. Und das ist nicht gerade eine Einladung, die Zukunft Europas aktiv mitzugestalten.
Bereits in der Generation jener, die heute Mitte zwanzig sind, ist das Frustpotenzial hoch. Der Blick auf Deutschland mit seiner niedrigen Jugendarbeitslosigkeit mag über die Dimension des Problems hinwegtäuschen, tatsächlich aber bricht in weiten Teilen der Europäischen Union (besonders im Süden und Südwesten, in Spanien, Italien, Griechenland und auf dem Balkan) die Generation weg, die so wichtig wäre für den Fortbestand der Union und ihrer Ziele. Wählen gehen? Wieso, es ändert sich doch eh nichts! Politisch aktiv werden? Wie denn, mir hört doch keiner zu und die Zeit brauche ich, um durch drei Minijobs für die Miete zu sorgen. Brüssel? Weit weg von meinem Leben, wenig Veränderung, viele Versprechen.
Was passiert, wenn diese Generation der Enttäuschten, Zurückgelassenen und oft schlicht Ignorierten Verantwortung übernehmen muss? Dann werden deren Angehörige das entweder gar nicht tun oder sie werden sich ganz auf lokale und regionale Dinge konzentrieren, denn das Bekannte verspricht jene Verlässlichkeit und jenen Schutz, der von Seiten der EU nicht mehr erwartet wird.
Gewiss: Es gibt in der Generation auch jene, die Europa lieben, die über das Erasmus-Programm im Ausland studiert haben, Freunde in anderen EU-Ländern haben, die mehrere Sprachen sprechen und vernetzt sind. Aber das ist nur der kleinere Teil einer Generation, die sich in zwei Lager zu spalten droht: "Generation Erasmus" und "Generation Entkoppelt", deren Angehörige oft ihre Heimatstadt nie verlassen haben, in prekären Arbeitsverhältnissen leben und für die "Stärke in Vielfalt", ein Hohn ist. Für sie ist das gemeinsame Europa reine Theorie, eine Vorstellung, an der sie selber keinen Anteil haben können, ein System, das sie links liegen lässt, ein Arbeitsmarkt, der mit seinen Anforderungen von Praktika, Empfehlungsschreiben und Topnoten unzugänglich ist. Wenn es diese Generation zerreißt, zerreißt es die EU gleich mit. Und danach kommen dann die Generationen, die sogar noch weniger Grund haben, die EU zu lieben.
Wenn Jugendliche viel reisen, können sich Vorurteile nicht so leicht festsetzen
Düstere Aussichten? Nur, wenn die Politik jetzt nicht entschieden handelt. Nach Brexit, Fast-Grexit, Flüchtlingskrise treten Politiker in Brüssel und in den nationalen Regierungen auf die Bremse. Die Logik dahinter: "Jetzt bloß nicht die Populisten weiter befeuern. Die Fortsetzung der europäischen Integration muss warten, bis die Krise ausgesessen ist." Es wäre der größte Fehler, den Europa machen könnte. Die jungen Menschen, die noch unentschieden sind, die noch auf eine Verbesserung hoffen, die noch nicht alle zum Front National und ähnlichen Gruppen übergelaufen sind, sie werden nicht mehr lange warten.
Dabei ist die Lage unübersichtlich. Wie kann man all diese Probleme - wenig Bezug zur EU, eine sich entlang sozioökonomischer Grenzen spaltende Generation, hohe Jugendarbeitslosigkeit - gleichzeitig und einigermaßen schnell lösen? Die Lösungen müssen direkt das Leben verbessern, alle jungen Menschen erreichen und junge Leute in Kontakt mit der Europäischen Union bringen.
Ein erster Ansatzpunkt könnte die Steigerung der Jugendmobilität sein. Nichts fördert Europa mehr als persönliche Begegnungen. Durch Mobilität lernen wir den Kontinent kennen, wir steigern unsere Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt, bauen Vorurteile ab und sind endlich aktiver Teil einer geeinten, grenzenfreien EU. Das wirkt besonders gut, wenn es junge Menschen sind, die reisen. Dann können sich Vorurteile gar nicht erst festsetzen, die Erfahrungen werden auf Jahrzehnte mitgenommen und angewandt. Die Berichte von Erasmus-Studierenden zeigen, wie sehr der Austausch das Leben junger Menschen verändert und ein europäisches Wir-Gefühl stärkt. Leider macht nur ein Bruchteil junger Leute Erasmus. Tatsächlich haben seit 1987 (also in knapp 30 Jahren) etwas über drei Million Menschen am Erasmus-Programm teilgenommen, was nicht mehr so viel erscheint, wenn man sich vor Augen führt, dass jedes Jahr um die 5,5 Millionen Bürger der Europäischen Union volljährig werden.
Wie also junge Leute breitenwirksam erreichen und mobilisieren? Eine Lösung könnte sein: #FreeInterrail. Die Idee dahinter ist einfach: Alle jungen Menschen bekommen zu ihrem 18. Geburtstag von der EU einen Brief mit einem Gutschein für einen kostenlosen Interrailpass. Damit erhalten junge Leute, unabhängig vom Elternhaus, ihrer nationalen Herkunft oder ihrer Jobsituation einen Zugang zu Europa. Finanzielle Unterschiede würden überbrückt, Austausch universal gefördert werden. Die Jugendmobilität und Jugendarbeitsmobilität würden steigen, was wiederum positive Effekte auf die Jugendarbeitslosigkeit und prekäre Beschäftigungen hätte.
Die Kosten dafür könnten durch eine Erweiterung des Erasmus- oder Transportbudgets der EU getragen werden. Gerade dadurch könnte die EU das Heft des Handelns wieder übernehmen und einen Beleg für die Ernsthaftigkeit erbringen, mit der sie die junge Generationen behandelt. So würde eine direkte Verbindung zu allen jungen Menschen der Union hergestellt.
Die #FreeInterrail-Idee entstand bei einem Gespräch mit dem österreichischen Schriftsteller Robert Menasse in Wien. Inzwischen haben ihn Abgeordnete aus mehreren Fraktionen des Europäischen Parlaments aufgegriffen. Als ich selber mit Interrail Europa erkundete, hat das meine Perspektive entscheidend verändert. Die Vielfalt und Freundlichkeit der Menschen auf meinem Weg haben mich persönlich berührt und mir die Vorteile eines geeinten starken Kontinents handfest vor Augen geführt. War ich vorher ein Europäer in der Theorie, so bin ich seit der Reise ein Europäer aus Erfahrung.
Eine solche Möglichkeit muss künftig allen jungen Menschen gegeben werden. Und auch wenn nur ein Teil junger Menschen diese Interrailpässe wirklich nutzen würde, wäre der Effekt für die EU dennoch phänomenal. Meiner Generation hätte ein solches Programm gutgetan. Auch deshalb gilt es nun, die nächste Generation mit #FreeInterrail einzubinden, zu fördern und auf ein gemeinsames Europa einzustimmen.