Außenansicht:Gefährliche Volkstumspolitik

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Rudolf Adam, 67, leitete von 2004 bis 2008 die Bundes- akademie für Sicherheitspolitik in Berlin. Zuvor war er unter anderem Vizepräsident des Bundesnachrichtendienstes. (Foto: Gero Breloer/dpa)

Die Auftritte türkischer Minister zeigen: Wahlkämpfe aus dem Ausland sollten verboten werden.

Von Rudolf G. Adam

Vom Balkon des türkischen Generalkonsulats in Hamburg hielt der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu am 7. März dieses Jahres eine flammende Rede. Darin vereinnahmte er die in Westeuropa lebenden Türken als "Geschwister". Er sprach von mehr als 3,5 Millionen Türken in Deutschland: "Überall auf der Welt kommen wir mit unseren Volksgenossen zusammen! Türken in Schweden mögen schwedische Staatsbürger sein, aber sie bleiben unsere Volksgenossen! Niemand kann diese Bande mit Volksgenossen zerschneiden! Wir beugen uns nur vor Gott, sonst vor niemandem!" Davor eine wild johlende Menge, ein Meer von roten Fahnen: hemmungsloser Jingoismus und dröhnender Chauvinismus. Eine Volkstumsrede, wie sie Westeuropa seit 1945 nicht mehr erlebt hat.

Der Auftritt erinnerte in Duktus, Inszenierung und radikaler Schrillheit an längst vergangene Zeiten. "Wir Deutsche fürchten Gott und sonst nichts auf der Welt" hieß es 25 Jahre vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs im Deutschen Reich. Der Satz wurde dann zur Leitschnur Wilhelminischer Großmanns- und Großmachtsucht.

Das türkische Verfassungsreferendum vom 16. April 2017 gibt Anlass zur Sorge. Eine EU-Mitgliedschaft des Landes rückt in unabsehbare Ferne. Weitaus mehr Sorge noch macht die offene Volkstumspolitik der Türkei. Sie zerstört die Grundfesten weltoffener Gesellschaften und ihre Integrationsansätze. Mit solchen Tönen rechtfertigte Russland 2014 die Annexion der Krim.

Die Entwicklung war absehbar. 2008 hatte Präsident Recep Tayyip Erdoğan in Köln Assimilation als "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" denunziert und türkischstämmige Menschen vor zu viel Anpassung gewarnt. Drei Jahre später hatte er in Düsseldorf die Türkei zur Schutzmacht für alle Türken erklärt. Einige derartige Auftritte sind bisher auf kommunaler Ebene aus Sicherheitsgründen abgesagt worden. Diese Absagen hatten etwas Improvisiertes, Hilfloses. Waren es vorgeschobene Gründe? Weitere 15 Auftritte sind noch geplant. Das Saarland verbietet inzwischen solche Auftritte und beruft sich auf Artikel 47 des Aufenthaltsgesetzes, der die politische Betätigung von Ausländern regelt. Das Zaudern von Kanzleramt und Auswärtigem Amt gefährdet die Einheitlichkeit unserer Außenbeziehungen. Sollen Auftritte türkischer Politiker im Saarland verboten, in Nordrhein-Westfalen aber gestattet werden?

Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Beschluss vom 8. März klargestellt, dass ausländische Politiker, sofern sie in Deutschland ihre Amtsautorität in Anspruch nehmen, sich nicht auf Grundrechte berufen können. Versammlungsfreiheit genießen Deutsche (Artikel 8 Grundgesetz). Das Recht auf Meinungsfreiheit greift nicht, wenn die amtliche Autorität benutzt wird, um in einem fremden Land Propaganda zu betreiben. Es steht ohnehin unter Gesetzesvorbehalt (Artikel 5.2 Grundgesetz).

Was wäre, wenn Victor Orbán so "seine Magyaren" in Rumänien mobilisieren würde?

Die Reaktion anderer Länder fiel unterschiedlich aus. Die Niederlande versagten Çavuşoğlu die Landeerlaubnis und verwehrten Familienministerin Fatma Betül Sayan Kaya den Zutritt zum türkischen Konsulat in Rotterdam. Dänemark und die Schweiz verschoben geplante Ministerbesuche, Österreich erklärte derartige Besuche für unerwünscht. Im französischen Metz konnte Çavuşoğlu am 12. März auftreten und gegen Deutschland und die Niederlande wettern. Die Politiker dieser Länder beschimpfte er als Nazis, Faschisten und Rassisten. Die Schmähungen wurden von höchster Stelle in Ankara bekräftigt. Zur Zeit liefern sich Länder der EU und die Türkei ein wechselseitiges Spiel des Auf- und Abwiegelns.

Was ist das für ein Wahlkampf, in dem die Nein-Seite gar kein Gehör findet, weil ihre Wortführer im Gefängnis oder auf der Flucht sind? Der Rahmen der Debatte muss in Deutschland jedoch noch weitergezogen werden. Es geht ja nicht primär um die Türkei oder um das Referendum. Wollen wir überhaupt zulassen, dass Ausländer, die bei uns leben, von ausländischen Politikern als "ihre Bürger" angesprochen und aufgewiegelt werden? Wenn damit öffentliche Ordnung und gesellschaftlicher Frieden gestört werden? Wenn parteipolitische Fronten fremder Länder damit auch durch Deutschland verlaufen. Wenn Vorstellungen und Werte propagiert werden, die mit unserer Grundrechtsordnung unvereinbar sind? Wer diese Fragen jeweils fallbezogen beantworten will, wird unweigerlich gezwungen, Politiker, die bei uns sprechen wollen, zu bewerten. Damit macht er sich aber angreifbar. Es ist klüger, auf ein generelles Prinzip verweisen zu können.

Die Dimensionen des Problems werden deutlicher, wenn es auf andere Situationen übertragen wird: Wie würde die Welt reagieren, wenn Viktor Orbán so zu "seinen Magyaren" in Rumänien, der Präsident Albaniens Bujar Nishani so zu "seinen Albanern in Kosovo oder Mazedonien" oder Wladimir Putin so zu "seinen Russen" in Estland oder Lettland reden würde?

Ausländer sollen die Verbindung zu ihren Heimatstaaten individuell uneingeschränkt pflegen können. Sie müssen sich jedoch an die geltende öffentliche Ordnung und Gesetze halten. Sie dürfen keine fünfte Kolonne bilden. Und zwar nicht nur türkische Mitbürger. Mit der gleichen Entschiedenheit sollten wir uns dagegen wehren, dass ein französischer Wahlkampf, der Streit über den Brexit oder über die Unabhängigkeit Schottlands bei uns ausgetragen wird und uns zwingt, in diesen Fragen Position zu beziehen.

Eine prinzipielle Entscheidung ist gefordert. Ausländische Wahlkämpfe sollten grundsätzlich nicht auf deutschem Boden ausgetragen werden. Nur wenn wir eine generelle Entscheidung treffen, können wir vermeiden, in jedem einzelnen Fall zu einer wertenden Stellungnahme gezwungen zu werden.

Natürlich können sich ausländische Politiker im Einverständnis mit der Bundesregierung jederzeit an die gesamte deutsche Öffentlichkeit wenden. Es sollte ihnen jedoch nicht gestattet werden, gezielt "ihre" eigene nationale Klientel aufzuwiegeln und anzustacheln. Auch die EU-Mitgliedstaaten sollten in dieser Frage eine gemeinsame Linie finden. Um die viel zitierte europäische Wertegemeinschaft ist es schlecht bestellt, wenn ein Land eine Plattform zur Verfügung stellt, von der aus ein Dritter Nachbarn und Partner verunglimpft. Deshalb sollte die Bundesregierung möglichst rasch eine prinzipielle Stellungnahme entwickeln und hierfür einen EU-Konsens suchen. Diese Stellungnahme kann nur lauten: Wahlkampf im Ausland geht nicht. Auch nicht bei Freunden.

© SZ vom 16.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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