Außenansicht:Für ein soziales Bretton Woods

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Die G-20-Staaten sollten 2017 unter deutscher Ägide ein Projekt gegen die Ungleichheit lancieren.

Von Bernard Spitz

Die Welt ist durcheinandergeraten - und die Weltwirtschaft mit ihr. Zum einen verweht der Wind des Populismus bekannte Parteigrenzen, er vertreibt Großbritannien aus Europa. Er weht bis hinüber auf die andere Seite des Atlantiks. Zum anderen sind da die verheerenden Wirkungen von Negativzinsen, fehlenden Investitionen und einer Massenarbeitslosigkeit, die vor allem die Jüngeren und die Älteren trifft.

Der Zusammenhang zwischen beidem ist unübersehbar. Das Phänomen reicht über die bloße Ablehnung der Regierenden hinaus. Es nährt sich aus Angst und Wut über allgegenwärtige Ungleichheit, und das in Zeiten rapiden technischen Fortschritts und der Globalisierung. Der Freihandel wird als Rückschritt empfunden, selbst dann, wenn internationale Unternehmen, die sich in Schwellenländern niederlassen, ihre Sozialmodelle dorthin exportieren. Einer breiten Masse von Verlierern, so die Wahrnehmung, steht eine kleine Gruppe von Gewinnern gegenüber.

Auch die Chefs internationaler Konzerne - etwa Muhtar Kent, Vorstandsvorsitzender von Coca-Cola - wenden sich gegen die unerträglich gewordene Ungleichheit und fordern, wirtschaftliche und politische Hebel zugunsten der Ausgeschlossen anzusetzen. Gleiches gilt für Einrichtungen wie die Industrieländerorganisation OECD oder den Internationalen Währungsfonds. Was nützt die Marktwirtschaft, sei sie auch das leistungsstärkste System, wenn nur eine Minderheit von ihr profitiert? Vor allem, wenn sich diese Minderheit nicht einmal durch außergewöhnliches Talent, Kreativität oder Risikobereitschaft hervortut?

Die Paradigmenwechsel, die unsere Welt erlebt, begeistern manche zwar. Aber sie ängstigen zugleich viele andere, wobei die Trennlinien geografisch sind, zwischen Generationen verlaufen oder auch vom Bildungsstand abhängen. In unseren Demokratien löst das verbreitete Angstgefühl zunehmend heftige Brüche aus. Nach dem Brexit-Votum in Großbritannien, der Wahl von Donald Trump in den USA und dem Referendum, das den italienischen Regierungschef das Amt kostete, muss sich die Serie populistischer Siege zwar nicht zwingend fortsetzen. Der Ausgang der Präsidentenwahl in Österreich ist hier hoffentlich ein gutes Omen für die 2017 anstehenden Wahlen in den Niederlanden, der Tschechischen Republik, in Frankreich, Deutschland und - nicht zu vergessen - in Italien. Doch sicher ist nichts mehr.

Man muss versuchen, den Lauf der Welt wieder positiv zu beeinflussen

Wir sollten nicht leichtfertig die Mahner abtun, die sich beim Blick auf Europa an die Dreißigerjahre erinnert fühlen. Selbst, wenn heute vieles anders ist - es gibt doch einige Gemeinsamkeiten: Wieder werden Sündenböcke gesucht, Eliten verteufelt, Fremde zurückgewiesen. Die aufflammenden Nationalismen und der Konflikt im Nahen Osten, der durch den islamistischen Fundamentalismus noch verschlimmert wird, führen vor Augen, wie unsicher die Geschichte ist.

Wenn sich in solchen Zeiten günstige Gelegenheiten ergeben, darf man sie sich nicht entgehen lassen. Mehr noch: Man sollte sich die Chancen bewusst schaffen, den Gang der Welt wieder positiv zu beeinflussen. Etwa so, wie es am Ende des Zweiten Weltkrieg geschah, als mit dem Bretton-Woods-System die Grundlage einer neuen globalen Finanz- und Wirtschaftsordnung gelegt und der Wiederaufbau vorangetrieben wurde. Warum sollten wir uns heute in einen neuen Zyklus des Misstrauens und Niedergangs fügen, an dessen Ende Elend und Krieg drohen?

Notwendig ist eine groß angelegte internationale Initiative. So eine Initiative ist möglich - und sie muss, um glaubwürdig zu sein, bestimmte Bedingungen erfüllen: Sie muss global ausgerichtet werden und sie muss gerecht sein. Sie muss Perspektiven bieten, das heißt, jedem Einzelnen ebenso wie den nachkommenden Generationen die Hoffnung auf ein besseres Leben geben. Ziel muss also eine ausgleichende Weltordnungspolitik sein, die Wachstum und Teilhabe schafft, indem sie das Soziale in den Mittelpunkt stellt.

Das richtige Forum, um diese Initiative anzustoßen, wären der Kreis der zwanzig größten Wirtschaftsmächte G 20 und die Vereinten Nationen. Getragen werden sollte sie von international anerkannten politischen Führungspersönlichkeiten wie Bundeskanzlerin Angela Merkel, dem argentinischen Präsidenten Mauricio Macri oder dem indischen Premierminister Narendra Modi.

Der G-20-Gipfel findet dieses Jahr in Deutschland statt. Er bietet die Chance, die nötige Neugestaltung der wirtschaftlichen Weltordnungspolitik einzuleiten, die soziale Dimension in das bestehende multilaterale System aufzunehmen und so ganz nebenbei die eigenen Beschlüsse stimmiger, transparenter und effizienter zu machen. Das entspricht auch dem Wunsch der Wirtschaft an die G 20, den die Unternehmen während eines Vorbereitungstreffens im vergangenen Dezember in Berlin formuliert haben. Die G 20 hatten die sogenannte soziale Dimension übrigens schon 2011 aufgenommen. Damals wurde beim Treffen der stärksten Wirtschaftsnationen erstmals ein Recht auf sozialen Schutz durch Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen anerkannt.

Von den G 20 kann also der Impuls ausgehen. Danach sind die Vereinten Nationen aufgerufen, sich die Sache zu eigen zu machen und im Rahmen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zusammen mit Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften voranzutreiben. Am Ende dann könnte eine Konferenz stehen, bei der Regierungschefs, Unternehmenslenker und Gewerkschaftsvorsitzende zusammenkommen, um zu besprechen, wie soziale und wirtschaftliche Belange miteinander versöhnt werden können - damit die Menschen Vertrauen zurückgewinnen und die Populisten ausgebremst werden. Die Zeit ist reif für solch eine neues, soziales Bretton Woods.

Was ist ein realistischer Zeitrahmen? Die G-20-Treffen in Deutschland und anschließend in Argentinien könnten das neue Bretton Woods auf den Weg bringen - und sich von 2018 an zwei Jahre für die Umsetzung geben. Sicher ist, dass wir den bisherigen Handlungsrahmen für internationale Wirtschaftspolitik verlassen und die Herrschaft der Experten aufgeben müssen. Moderne politische Führung darf weder zur Bürokratie verkommen noch darf sie zulassen, dass sich ein Chaos breitmacht, das am Ende nur Krisen und Unglück hervorbringt. Nur durch eine neue, ausbalancierte Zusammenarbeit von Organisationen und Staaten wird es gelingen, jene politische Antwort auf die neue Weltunordnung zu geben, die von den Menschen erwartet wird.

© SZ vom 20.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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