Außenansicht:Einbruch ins Innerste

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Die Zahl der Wohnungseinbrüche steigt. (Foto: dpa)

Immer mehr Wohnungen werden aufgebrochen - die Drohung mit höheren Strafen wird daran nichts ändern.

Von Christian Pfeiffer

Politiker rufen immer dann besonders laut nach härteren Strafen, wenn in den Schlagzeilen der Medien der Anstieg bestimmter Formen von Kriminalität massiv beklagt wird. Zum einen soll so die abschreckende Wirkung des Strafrechts erhöht werden. Zum anderen geht es darum, Stärke zu demonstrieren. Dieses von Kriminologen seit Jahrzehnten beobachtete Grundmuster der Kriminalpolitik hat kürzlich Unionsfraktionschef Volker Kauder wieder einmal bestätigt. Angesichts der in den letzten Jahren eingetretenen Zunahme des Wohnungseinbruchs fordert er, die Mindeststrafe für dieses Delikt von drei auf sechs Monate und die Höchststrafe von fünf auf zehn Jahre zu erhöhen.

Volker Kauder setzt sich damit in klaren Widerspruch zu einer weltweit von einer Vielzahl von empirischen Studien gesicherten Erkenntnis: Abschreckend ist nicht die Härte der Strafe, sondern die vom Täter vermutete Wahrscheinlichkeit, erwischt zu werden. Ein Einbrecher, der sein eigenes Risiko des Erwischtwerdens für extrem niedrig hält, interessiert sich nicht für die Höhe einer eventuellen Sanktion. Genau das ist aber unser Problem.

Eine vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen in München, Stuttgart, Bremerhaven, Hannover und Berlin durchgeführte Aktenanalyse zu 3668 angezeigten Fällen des Wohnungseinbruchs hat einen erschreckenden Befund erbracht. Von 100 Einbrüchen endeten gerade einmal 2,6 mit einer Verurteilung - und dies obwohl die Polizei noch bei 15 Prozent einen Tatverdacht bejaht hatte. Damit wurden 97,4 Prozent der Einbrecher geradezu ermutigt, ihre kriminellen Aktivitäten fortzusetzen. Ein ergänzender Datenvergleich der polizeilichen Kriminalstatistik mit der Strafverfolgungsstatistik bestätigt den Befund. 100 angezeigten Fällen des Wohnungseinbruchs standen im Jahr 2014 bundesweit nur 1,9 verurteilte Täter gegenüber. Die Zahlen belegen damit für diesen Bereich der Kriminalitätsbekämpfung ein krasses Versagen des Staates.

Der Diebstahl von Autos ist drastisch gesunken - aus einem einfachen Grund

Ein zweiter Vorschlag von Kauder lautet nun: 15 000 zusätzliche Polizeibeamte. Richtig eingesetzt, könnte eine solche Personalverstärkung um sechs Prozent durchaus das Risiko der Einbrecher etwas erhöhen, verurteilt zu werden. Wir haben deshalb anhand von Länderdaten des Jahres 2014 untersucht, ob sich eine hohe Personalstärke der Polizei positiv auf das Verurteilungsrisiko der Einbrecher auswirkt. Zur besseren Vergleichbarkeit sind hier nur westdeutsche Flächenstaaten einbezogen worden. Bayern weist dann pro 100 000 Bürger mit 326 Polizeibeamten den Spitzenwert auf, an letzter Stelle steht Rheinland-Pfalz mit 224 Beamten. Das Ergebnis unseres Datenvergleichs ist enttäuschend. Selbst in Bayern standen 100 angezeigten Wohnungseinbrüchen nur 3,4 verurteilte Einbrecher gegenüber, in Rheinland-Pfalz waren es 2,6.

Damit ist noch keineswegs gesagt, dass Kauders Vorschlag falsch ist. Sollten die 15 000 Polizeibeamten nur zur Aufklärung des Wohnungseinbruchs eingesetzt werden, könnten sie durchaus dazu beitragen, mehr Täter zu ermitteln. Aber wie so oft bei der Bekämpfung von Kriminalität, ist auch beim Wohnungseinbruch eine nachhaltige Reduzierung der Fallzahlen erst zu erwarten, wenn man die Prävention stärkt. Das zeigt ein Vergleich mit dem Autodiebstahl. Seit 1993 hat er vom Höchststand von 215 000 Fällen bis 2015 um 83 Prozent abgenommen - und dies, obwohl die Strafandrohung für den schweren Diebstahl nicht erhöht wurde. Der drastische Rückgang beruht vor allem darauf, dass die Autoindustrie durch neue Technik das Stehlen von Pkws nachhaltig erschwert hat.

Die Angst der Bürger spielt den Rechtspopulisten in die Hände

Zwar zeigt sich auch zum Wohnungseinbruch im Vergleich der 227 000 Fälle des Jahres 1993 zu den 167 000 des Jahres 2015 eine Abnahme um gut ein Viertel. Aber hier ist das Potenzial der technischen Prävention noch bei Weitem nicht ausgeschöpft. So ist der Anteil der gescheiterten Einbrüche zwischen 1993 und 2015 von 27,3 auf 42,7 Prozent angestiegen. Die engagierte Beratungstätigkeit der Polizei trägt also Früchte. Doch hiervon profitieren fast nur Wohnungseigentümer und solche von Einfamilienhäusern. Nach unserer Aktenanalyse handelt es sich aber bei 70 Prozent der Einbruchsopfer um Mieter. Diese überraschend hohe Quote ist die Folge davon, dass sich die Mehrheit der Wohnungseinbrüche in Großstädten und mittelgroßen Städten ereignet, wo 70 bis 75 Prozent der Menschen in gemieteten Wohnungen leben. Die aber sind traditionell schlechter gegen Einbruch geschützt.

Mieter sind nun einmal nur selten bereit, auf eigene Kosten die Wohnung sicherer zu gestalten. Sie profitieren deshalb kaum von den 50 Millionen Euro, die die Bundesregierung als Investitionshilfe für einen Ausbau der Einbruchssicherheit zur Verfügung gestellt hat. Die Politik ist deshalb aufgerufen, weit stärker, als sie das bisher getan hat, in die technische Prävention von Mietwohnungen zu investieren. Das aber kann nur gelingen, wenn alle Hauseigentümer - und damit gerade auch die von Mietwohnungen - gesetzlich dazu verpflichtet werden, Türen und Fenster sicherer zu gestalten. Damit die Belastung auch für Eigentümer von Altbauten erträglich ausfällt, wird sich der Bund hier allerdings stark beteiligen müssen.

Die Bürger zahlen seit Jahren zu viel Steuern und ermöglichen es damit dem Staat, neuerdings ein kräftiges Plus zu erwirtschaften. Deshalb erscheint es nur gerecht, wenn die Bundesregierung zur nachhaltigen Bekämpfung des Wohnungseinbruchs ein Investitionsprogramm von einer Milliarde Euro zur Verfügung stellt. Schließlich geht es hier nicht um die Bekämpfung normaler Diebstahlsdelikte. Der Wohnungseinbruch bedeutet für die Betroffenen eine besondere Belastung. Er verletzt die Privatsphäre, er zerstört die Geborgenheit der Wohnung, die wir für unsere psychische Stabilität dringend benötigen. Er erzeugt massive Ängste, die nicht nur die Opfer betreffen, sondern alle Menschen, die in schlecht geschützten Wohnungen leben. Viele von ihnen sind deshalb in Gefahr, den Law-and-Order-Parolen der AfD zu glauben, die gerade bemüht ist, mit markigen Forderungen die wachsenden Ängste der Bürger für ihre eigenen Ziele auszunutzen.

Eine Bundesregierung, die darauf mit einem tauglichen Präventionskonzept antwortet, hätte die große Chance, in einem wichtigen Politikfeld den Unterschied zu bloßen Sprücheklopfern deutlich herauszustellen und so verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen.

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(Foto: imago)

Christian Pfeiffer, 72, ist einer der bekanntesten Verbrechensforscher Deutschlands. Er leitet mehrere Projekte am kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen. Foto: imago

© SZ vom 06.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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