Außenansicht:Ebola außer Kontrolle

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Alexander S. Kekulé, 60, ist Mikrobiologe und Direktor des Instituts für Biologische Sicherheits-forschung in Halle. Als Mitglied der Schutzkommission war er bis 2015 Berater der Bundesregierung. (Foto: OH)

Deutschland und Frankreich müssten gemeinsam eine weitere Ausbreitung der Krankheit im Kongo verhindern.

Von Alexander S. Kekulé

Im Osten der Demokratischen Republik Kongo wütet der zweitschwerste Ebola-Ausbruch der Geschichte. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) registrierte bisher 458 Fälle und 271 Tote, mit steigender Tendenz. Das Risiko einer weiteren regionalen Ausbreitung stuft sie als "sehr hoch" ein. Der Direktor der amerikanischen Seuchenbehörde CDC warnt sogar vor einer "Endemie": Die tödliche Viruskrankheit könnte sich so weit in der Bevölkerung verbreiten, dass die Infektionsketten nicht mehr zu unterbrechen sind - der Kampf gegen die Seuche wäre dann auf Jahrzehnte verloren.

Von 2013 bis 2016 forderte in Westafrika der bislang größte Ebola-Ausbruch 11 310 Tote, unter anderem weil die WHO und die Weltgemeinschaft zu spät reagierten. Immerhin schaffte es die Seuchenbekämpfung dadurch auf die Tagesordnung der großen Politik. Auf dem Gipfel in Elmau 2015 versprachen die Staatslenker der G 7 mehr internationale Unterstützung für den Kampf gegen Krankheitserreger. Die Bundesregierung kündigte eine Weißhelmtruppe an: Ein humanitäres Eingreifkommando sollte für Einsätze in Krisengebieten vorbereitet werden.

Als die WHO im August dieses Jahres den neuen Ausbruch registrierte, schien die Ausgangslage günstiger als je zuvor. Die Organisation bekommt inzwischen mehr Geld und hat ihre Strukturen für die Seuchenbekämpfung verbessert. Zudem sind seit Kurzem experimentelle Therapien und ein Impfstoff verfügbar. Und im Gegensatz zu Westafrika, wo die Krankheit zuvor nie aufgetreten war, ist Ebola für die Menschen im Kongo ein alter Bekannter. Die Gesundheitsbehörden der Hauptstadt Kinshasa haben das Virus, das hier 1976 entdeckt wurde, bereits neunmal erfolgreich bekämpft.

Doch Ebola ist nicht das einzige Problem, mit dem es die Helfer zu tun haben. Die Region im Grenzgebiet zu Ruanda, Uganda und Südsudan ist mit schätzungsweise zwölf Millionen Einwohnern und mehreren Großstädten teilweise dicht besiedelt. Hier lebt eine Vielzahl ethnischer Gruppen, von denen einige schon seit der belgischen Kolonialzeit verfeindet sind. Dazu kamen 1994 bis zu zwei Millionen Hutu aus Ruanda, die nach dem Genozid an den Tutsi von ruandischen und ugandischen Milizen verfolgt wurden.

Seitdem ist die Gegend um die östlichen Provinzen Nord-Kivu und Ituri nicht zur Ruhe gekommen. Mindestens 30 bewaffnete Gruppen berauben und terrorisieren die Bevölkerung, teilweise mit Unterstützung korrupter Regierungssoldaten. Sie schmuggeln in großem Stil Bodenschätze und Tropenhölzer in die Nachbarländer. Präsident Joseph Kabila wird nachgesagt, aus der Plünderung seines Landes privat Kapital zu schlagen und die betroffenen Regionen absichtlich im Stich zu lassen.

Das Misstrauen der Bevölkerung und Behinderungen durch illegale Milizen machen die Eindämmung der Epidemie denkbar schwierig. Am besten wäre es, alle Kontaktpersonen im weiteren Umfeld von Ebolakranken zu impfen. Diese Ring-Immunisierung funktioniert jedoch nicht, weil die Infektionen zu spät oder gar nicht entdeckt werden. Ebola ist bereits so weit verbreitet, dass bei mehr als der Hälfte der neu auftretenden Erkrankungen keine Verbindung zu bekannten Fällen besteht: Das Virus schlägt unvermittelt an neuen Orten zu, in einem unwegsamen Areal von der Größe Englands.

Um den Ausbruch zu stoppen, müssen neue Fälle und ihre Kontaktpersonen wesentlich schneller als bisher identifiziert und isoliert werden. Das geht nur mit zusätzlichen Behandlungszentren und einer Intensivierung der Aufklärungsarbeit, von den Großstädten bis ins letzte Dorf des äquatorialen Urwalds. Diese Aufgabe können nur professionelle und eingeübte Teams bewältigen.

Bei der US-Seuchenbehörde CDC gibt es solche Experten. Doch das Weiße Haus hat sie im Oktober aus dem Kongo abberufen - ganz im Sinne der neuen "America first"-Politik. So versuchen wieder einmal private Hilfsorganisationen wie "Ärzte ohne Grenzen", für die Weltgemeinschaft die Kastanien aus dem Feuer zu holen. Sie haben immerhin fünf Behandlungszentren aufgebaut und leisten, so gut sie können, die Hauptarbeit bei der Ermittlung von Kontakten und der Aufklärung der Bevölkerung. Doch das wird, wie beim Ebola-Ausbruch in Westafrika, nicht ausreichen. Der UN-Sicherheitsrat hat deshalb am 30. Oktober zu mehr internationaler Unterstützung aufgerufen. Auch Seuchenexperten warnen in zwei gerade erschienenen Fachartikeln, dass die Epidemie ohne zusätzliche Hilfe außer Kontrolle geraten wird.

Damit wäre eigentlich die Stunde der Weißhelmtruppe gekommen, deren Einsatzbereitschaft die Bundesregierung bereits Anfang 2016 vollmundig verkündete. Doch statt eines schlagkräftigen Einsatzkommandos gibt es, unter Federführung des Entwicklungsministeriums, nur fünf Büromitarbeiter und lose assoziierte Wissenschaftler, die nie für Einsätze in Krisengebieten trainiert wurden. Einzige Ausnahme ist das Europäische Mobile Labor am Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin, das bereits bei der Ebola-Epidemie in Westafrika im Einsatz war.

Doch mit Labortests und wissenschaftlicher Beratung alleine lassen sich gefährliche Krankheitserreger nicht eindämmen. Soziale Unruhen und bewaffnete Konflikte sind Wegbereiter und Folge von Seuchenausbrüchen. Epidemien in Krisenregionen (wie derzeit auch die Cholera in Jemen) werden in Zukunft eher die Regel als die Ausnahme sein.

Die humanitäre Zurückhaltung der USA und der Brexit des Vereinigten Königreichs, das bisher über die beste medizinische Auslandshilfe innerhalb der EU verfügte, machen eine für robuste Kriseneinsätze ausgebildete, europäische Weißhelmtruppe notwendiger denn je.

Für dieses Projekt wären Deutschland und Frankreich ideale Partner. Sie verbindet, seit den Zeiten von Robert Koch und Louis Pasteur, eine erfolgreiche Tradition in der Infektionsforschung. Auch im Katastrophenschutz gibt es bereits eine enge Zusammenarbeit. Schließlich könnte eine Spezialeinheit der Deutsch-Französischen Brigade, mit Mandat des UN-Sicherheitsrates und blauen Helmen, die Helfer in Konfliktregionen schützen und logistisch unterstützen.

Zur bevorstehenden Europawahl käme ein Signal der Kooperation und Entschlossenheit zur rechten Zeit. Wenn Kanzlerin Merkel und Präsident Macron den Startschuss geben, kann die deutsch-französische Weißhelmtruppe innerhalb weniger Monate einsatzbereit sein. Bis dahin ist das Ebolavirus im Kongo noch lange nicht besiegt.

© SZ vom 10.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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