Außenansicht:Abschreckung, Verteidigung, Dialog

Lesezeit: 3 min

Michael Paul, 56, ist Senior Fellow in der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. (Foto: oh)

Das Problem Nordkorea können die USA nicht direkt lösen. Nötig ist eine Annäherung von Nord und Süd.

Von Michael Paul

Während seines Wahlkampfs verstörte Donald Trump die Verbündeten Japan und Südkorea. Er verlangte Beiträge für die Stationierung von Truppen und legte ihnen aufgrund der Bedrohung durch Nordkorea nahe, sich selbst mit Nuklearwaffen zu verteidigen. Als Präsident will er Abkommen neu verhandeln und Südkorea für das Abwehrsystem THAAD bezahlen lassen. China galt zunächst als Gegner in einem möglichen Handelskrieg. Ein Trump-Berater prognostizierte schon einmal einen Krieg zwischen den Vereinigten Staaten und China im Südchinesischen Meer.

Inzwischen hat sich Trump zur Verblüffung Japans mit dem chinesischen Präsidenten angefreundet. Er verstärkte die Spannungen mit Nordkorea und warnte vor einer "großen, großen Katastrophe", nur um wenig später zu erklären, dass er sich "geehrt fühlen" würde, den nordkoreanischen Machthaber Kim Jong-un zu treffen. Seither haben Verteidigungsminister, Außenminister und Vizepräsident Seoul und Tokio besucht, um sie der Allianz mit Amerika zu versichern. Aber die Ungewissheit bleibt. Pjöngjang hat in relativ kurzer Zeit erhebliche Fortschritte in der Atomrüstung erzielt, die nun auch Washington vor die Frage stellen, wie es die Bedrohung des eigenen Landes durch nordkoreanische Raketen verhindern will.

Das Regime soll inzwischen über waffenfähiges Material zum Bau von bis zu 20 bis 25 nuklearen Gefechtsköpfen verfügen. Bei Trägersystemen belegen die Raketentests vom Mai Fortschritte bei der Entwicklung einer Interkontinentalrakete. So wurde eine Mittelstreckenrakete getestet, aus deren Flugdaten eine Reichweite von mehr als 4500 Kilometer errechnet wurde. Dazu kam eine Antriebstufe, die als Teil eines neuen Raketentyps bewertet wurde. Eine weitere Mittelstreckenrakete wurde am 21. Mai von einem mobilen Transporter aus gestartet. Dabei handelte es sich um den zweiten Test einer Feststoffrakete ( Pukguksong 2/KN-15), die nun in die Massenproduktion gehen soll. Diese neuen Raketen bieten mehr Mobilität, Überlebensfähigkeit und Reaktionsschnelligkeit. Anders als Flüssigtreibstoffraketen können sie auch im betankten Zustand transportiert werden. Zudem sind sie binnen Minuten nach dem Abschussbefehl startklar und daher schwerer aufzuklären und abzufangen.

Die Entwicklung einer Rakete interkontinentaler Reichweite wird frühestens bis 2020 erwartet und würde dann die USA direkt bedrohen. Aber schon heute verfügt Nordkorea über Raketen, die Südkorea und Japan sowie bei entsprechender Reichweite auch den amerikanischen Stützpunkt auf Guam erreichen.

Was können die Vereinigten Staaten in der Situation tun?

Ein militärischer Einsatz könnte das Raketenprogramm nicht stoppen

Jede militärische Intervention wäre mit hoher Unsicherheit und vielen Risiken verbunden. Potenzielle Ziele wie Entwicklungsstandorte und diverse Startbasen sind weiträumig im Land verteilt; viele Anlagen und Depots sind unterirdisch angelegt und manche unbekannt. Alle Standorte sind durch Luftschläge oder Spezialkräfte kaum zeitgleich zu zerstören. Schließlich ist selbst bei massivem Waffeneinsatz und hohen Opferzahlen anzunehmen, dass eine militärische Intervention die Entwicklung nuklearwaffenfähiger Langstreckenraketen nur verzögern, nicht aber beenden kann.

Dagegen wäre eine Mischung von mehr Abschreckung und Verteidigung auch ohne direkte Gewaltanwendung möglich. Neben Sanktionen würden dabei konventionelle Mittel wie die temporäre Stationierung zusätzlicher Kampfflugzeuge und Bomber sowie Cyberoperationen und Raketenabwehr verstärkt. Denkbar wäre es auch, temporär taktische Nuklearwaffen zu stationieren.

Schließlich könnten die USA einen Dialog mit dem Ziel eines Rüstungskontrollregimes anstreben. Amerika würde dann verantwortungsvoll im Sinne des Atomwaffensperrvertrages agieren, sich mit den Verbündeten abstimmen und ein multilaterales Regime errichten unter Einbindung von China und der Teilnehmer der früheren Sechsparteiengespräche Japan, Südkorea, Russland. Statt weiterer Sanktionen erhielte Nordkorea wirtschaftliche Unterstützung. Im Gegenzug müsste Pjöngjang den Nuklearwaffenbestand auf dem derzeitigen Niveau einfrieren.

Nordkorea hat wesentliche Fortschritte in der Raketentechnik erzielt, aber bislang noch keine Interkontinentalrakete getestet. Dies werde auch nicht geschehen ("It won't happen"), sagte Trump, und Verteidigungsminister James Mattis erklärte, die USA könnten nicht warten, bis so eine Rakete entwickelt worden sei. Es gibt aber keine erfolgversprechende, unmittelbar wirksame Handlungsoption für die USA.

Der chinesische Präsident Xi Jinping hat schon kurz nach seinem Amtsantritt ein Zeichen für eine Neubewertung der regionalen Nachbarschaftspolitik gesetzt, als er 2014 zunächst Südkorea besuchte, ohne zuvor in Nordkorea gewesen zu sein. Bislang scheint Peking aber weiter bestrebt zu sein, den fragilen Status quo zu erhalten, in dem Nordkorea als Puffer gegen geostrategische Ambitionen der Vereinigten Staaten wirken soll. Zu großen Druck will China jedenfalls nicht auszuüben. Die Raketentests vom Mai zeigen, dass Pjöngjang um die unterschiedlichen geopolitischen Interessen weiß und die Grenzen bei der Waffenentwicklung ausreizt. Zugleich hat es bislang weder eine Langstreckenrakete getestet, noch einen weiteren Nukleartest durchgeführt.

Eine kluge Mischung von Abschreckung, Verteidigung und Dialog ist jetzt notwendig. Aber sind die USA unter Trump fähig, einen solchen Kurs einzuleiten und durchzuhalten? Jedenfalls hat sich Trump überraschend zurückhaltend und respektvoll geäußert, als er meinte, unter den richtigen Umständen Kim treffen zu wollen.

Vielleicht liegt die Antwort auf der koreanischen Halbinsel selbst: Wenn der neue südkoreanische Präsident Moon Jae-in in Abstimmung mit Washington die Initiative übernehmen und die "Sonnenscheinpolitik" seines Vorgängers Kim Dae-jung wiederbeleben sollte, könnten Fronten aufgebrochen und schließlich die Sechs-Parteien-Gespräche zum Abschluss eines Friedensvertrags reaktiviert werden. Ein Anfang wäre die Wiedereröffnung der Sonderwirtschaftszone nahe Kaesong. Eine große Vereinigung südkoreanischer Unternehmen, die in Kaesong tätig waren, hat bereits Anträge gestellt, um dort den Betrieb wieder aufzunehmen. Ein solch pragmatisches Vorgehen wäre Teil einer Politik der kleinen Schritte, die eine Wiederannäherung und schließlich Frieden befördern kann.

© SZ vom 16.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: