Aufgekündigte Regierungskoalition in Österreich:Der Bruch der Zwangsvermählten

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Die Leiden der "Neidgenossenschaft": Nach eineinhalb Jahren hat die große Koalition in Österreich ihr bisschen Gemeinsamkeit aufgezehrt.

Michael Frank

Einen Rekord kann die soeben gescheiterte Koalition in Wien für sich verbuchen: Keine Regierung in Österreich seit dem Krieg war so unpopulär. Mehr noch, die Regierung verkörperte geradezu die Neidgenossenschaft, als die sich Österreichs Gesellschaft manchmal selbstironisch sieht. Die Koalition aus Sozialdemokratischer Partei Österreichs (SPÖ) und Österreichischer Volkspartei (ÖVP) ist daran gescheitert, dass keiner dem anderen irgendeinen auch noch so bescheidenen Erfolg gönnen mochte.

Gescheiterte Zwangsehe: die Große Koalition unter Kanzler Alfred Gusenbauer (SPÖ) und Vizekanzler Wilhelm Molterer (links) der konservativen ÖVP. (Foto: Foto: dpa)

Die Koalition war schon vor eineinhalb Jahren mit Streitereien gestartet, obwohl die Bürger das Zusammenwirken der Großparteien mit Erleichterung begrüßt hatten. Denn das Bündnis der staatstragenden Parteien beendete die kurze Regierungs-Phase der nationalkonservativen ÖVP mit den Rechtsradikalen. Aber schnell stellte sich wieder das Gefühl der Beklemmung ein. Die tragenden Parteien kamen mit ihren neuen Rolle nicht zurecht.

Der Wahlkampf wird die Schuldfrage stellen

Die SPÖ stolperte unverhofft in einen Wahlsieg, der ihr das Kanzleramt und die Führungsrolle einbrachte, mit der sie letztlich aber keine prägende Politik entwickeln konnte. Der Führungsanspruch ließ sich nicht in die natürliche Autorität einer Kanzlerpartei ummünzen. Alfred Gusenbauer vermochte niemals den Chef-Bonus einzuheimsen. Die ÖVP wiederum war und ist von der Grandiosität ihrer Führungsarbeit in den Jahren zuvor derart eingenommen, dass sie bis heute ihre Niederlage als einen schweren Irrtum der Geschichte und einen Missgriff der Wähler ansieht.

Vizekanzler und ÖVP-Chef Wilhelm Molterer musste einigen Mut aufbringen, um die Koalition für beendet zu erklären. Die auf Stabilität und Harmonie versessenen Österreicher haben noch fast jedes Mal jene abgestraft, die vorgezogene Neuwahlen provoziert haben. So wird der Wahlkampf von der Frage beherrscht sein, wer schuld daran ist, dass vorzeitig gewählt werden muss.

Molterer ist in seinen Reihen keineswegs unumstritten. Im Hintergrund wartet längst der Kronprätendent in Gestalt von Landwirtschaftsminister Josef Pröll. Der kann bis zur Wahl im September aber nicht mehr in Position gebracht werden. Molterer ist also der natürliche Kanzlerkandidat. Um das zu werden, hat er auch seine eigene Partei überrumpelt.

Die SPÖ hingegen hat den Generationswechsel gerade noch rechtzeitig in Angriff genommen. Nach Gusenbauers Abschied kann Parteichef Werner Faymann, der Freund des Wiener Boulevards, immerhin erklären, seine SPÖ habe die Agonie überwunden und einen Neuanfang gewagt. Diese Behauptung ist geschönt: Faymann verdankt seine Inthronisierung erst als Parteichef und nun gleich auch als Kanzlerkandidat der schieren Verzweiflung und Ratlosigkeit in der SPÖ, die einfach nicht wusste, wie es hätte weitergehen sollen in der großen Koalition.

Furcht vor den Rechtspopulisten

Der jüngste Schwenk der SPÖ in der EU-Politik war ein typisch opportunistischer Verzweiflungsakt, mit dem sich die Partei der wachsenden Gruppe der Europa-Feinde empfehlen wollte. Vielleicht war sogar einkalkuliert, dass die ÖVP dies zum Anlass für einen Koalitionsbruch nehmen würde.

Der frühe Wahltermin im September verkürzt den Wahlkampf wohltuend. Der fällt weithin in die Ferienzeit, die den Österreichern heilig ist. In den verbliebenen Parlamentstagen könnte eine Mehrheit aus SPÖ, den Grünen und auch der FPÖ letzte Racheaktionen möglich machen. Pompöse Wahlversprechen wie die Abschaffung der Studiengebühren ließen sich so doch noch durchboxen. Davon profitieren wird am Ende aber nur die populistische FPÖ.

Die große Prüfung kommt erst nach der Wahl, wenn entschieden wird, ob jemand mit den rechten Schmuddelkindern zusammengeht - oder ob die einander herzlich verhassten Partner es in einer neuen großen Koalition versuchen müssen.

© SZ vom 8.7.2008/dgr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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