Atomwaffen:"Da braut sich ein gewaltiger Sturm zusammen"

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Der amerikanischen Abrüstungspolitiker Sam Nunn ist Mitglied einer Initiative für eine atomwaffenfreie Welt. Ein Gespräch über die nukleare Gefahr, die noch nicht gebannt ist.

Stefan Kornelius

Der frühere amerikanische Senator Sam Nunn kämpft seit Jahren gegen Atomwaffen. Mit seiner neuesten Initiative, die von ehemaligen US-Ministern unterstützt wird, setzt sich der Demokrat für die vollständige Abrüstung ein. Nunn erhielt am Mittwoch den Hessischen Friedenspreis.

Hat den Hessischen Friedenspreis erhalten: der frühere US-Senator Sam Nunn (Foto: Foto: Getty)

SZ: Haben wir eine Dekade bei der nuklearen Abrüstung verschlafen?

Sam Nunn: Fälschlicherweise haben viele Menschen angenommen, dass die nukleare Bedrohung nach dem Kalten Krieg abgenommen hat. Aber die Gefahren sind immer noch da: Es gibt Terrorismus und waffenfähiges Material, es gibt Informationen im Internet über den Bau einfacher Waffen, es gibt den Verlust des staatlichen Monopols. Dazu steigt der Bedarf an Atomenergie. Da braut sich ein gewaltiger Sturm zusammmen.

SZ: Seitdem es die Bombe gibt, hat man versucht, sie unter Kontrolle zu bekommen. Warum sollte es diesmal funktionieren?

Nunn: Viele halten das für eine Wunschvorstellung. Ich halte es für eine Wunschvorstellung zu glauben, dass wir 20 Jahre weitermachen können ohne eine Katastrophe zu riskieren. Wir müssen jetzt die Risiken reduzieren. Das geht nur mit einer großen Vision.

SZ: Was sind die wichtigsten Schritte?

Nunn: Erstens die Sicherung des Nuklearmaterials in aller Welt, damit es nicht in die Hände von Terroristen gelangt. Zweitens müssen die Nuklearmächte die Zahl der Waffen drastisch reduzieren. Drittens ist es für Russland und die USA höchste Zeit, ihre Einstellung aus dem Kalten Krieg zu ändern - die schnelle Abschussbereitschaft, kurze Vorwarnzeit, kurze Entscheidungsphasen. Viertens müssen wir die Produktion von waffenfähigem Spaltmaterial in aller Welt stoppen. Fünftens müssen wir uns in den USA an die Nase fassen und den Teststop-Vertrag ratifizieren. Wir müssen schließlich das hochangereicherte Uran für die zivile Nutzung unter Kontrolle bekommen. Und wenn wir die Atomkraft stärker nutzen, müssen wir verhindern, dass es mehr und mehr Anreicherungs-Programme in aller Welt gibt. Je mehr Länder anreichern, desto höher die Gefahr, dass Terroristen das Material erhalten. Im Kern geht es um die Idee des Nichtverbreitungsvertrags: Nuklearmächte müssen Schritt für Schritt ihre Arsenale abbauen, Nicht-Nuklearmächte dürfen keine Atomwaffen entwickeln, und die zivile Technologie muss allen zur Verfügung stehen.

SZ: Warum war das Problem von unserem Radarschirm verschwunden?

Nunn: Wir haben ein paar Sachen richtig gemacht. Es gibt viele Initiativen zur Kontrolle und zur Reduzierung von hochangereichertem Uran und der Waffen. Aber die Bedrohung wächst schneller als die Reaktion darauf. Wenn uns heute die Kontrolle der Waffen wichtig ist, dann müssen wir unsere Prioritäten ändern.

SZ: Der Einsatz von Nuklearwaffen ist für Großmächte strategisch unsinnig und moralisch verwerflich. Warum braucht es so lange, dies zu einer vernünftigen Abrüstungspolitik zu machen?

Nunn: Das ist das große Rätsel. Es gibt keine großen Panzerarmeen mehr, gleichwohl eine Erstschlagsdoktrin. Der Kalte Krieg ist vorüber, gleichwohl gibt es noch die kurzen Alarmzeiten. Russlands konventionelle Truppen sind geschwächt, deshalb fühlt es sich unsicher. Haben wir darüber geredet? Militär zu Militär? Bemühen wir uns um Transparenz bei den taktischen Atomwaffen, den Traumwaffen für Terroristen? Nein. Wir tun so, als wären wir noch im Kalten Krieg.

SZ: Womit kann man die nuklearen Möchtegerns zur Abrüstung bringen?

Nunn: Eine Antwort darauf wird es nur geben, wenn es Einigkeit zwischen den Vereinigten Staaten und den großen Mächten gibt. Wir müssen Russland und China davon überzeugen, dass Iran auch eine Bedrohung für sie ist. Wenn es Waffen entwickelt, wird es eine Reihe von anderen Ländern in der Region geben, die ebenfalls nach der Bombe streben.

SZ: Sollten die iranischen Anlagen zerstört werden?

Nunn: Die militärische Option sollte die letzte sein, ohne sie auszuschließen. Wir müssen alles Erdenkliche vorher machen: Sanktionen und direkte Verhandlungen, an denen die USA teilnehmen, ohne zuvor Bedingungen zu stellen.

SZ: Wie geht man mit den Ländern um, die den Nichtverbreitungsvertrag missachten - zum Beispiel Pakistan, Indien, Israel, Nordkorea?

Nunn: Das ist das größte Problem. Wenn wir das Material überall auf der Welt unter Kontrolle bekommen wollen, dann wird uns nichts anderes übrig bleiben, als mit den Ländern zu verhandeln.

SZ: Russland ist die Schlüsselnation für die USA in einer globalen nuklearen Abrüstungspolitik. Wie bindet man eine robuste Autokratie ein?

Nunn: Zunächst müssen wir eine Zusammenarbeit bei der Raketenabwehr ermöglichen, sonst wird es schwer sein, die anderen Themen überhaupt nur anzusprechen. Ist es dabei klug, neue Mitglieder frühzeitig in die Nato aufzunehmen und dafür Russlands Kooperation bei der nuklearen Abrüstung und in der Iran-Frage zu riskieren? Bundeskanzlerin Angela Merkel war klug, als sie darauf bestand, zunächst abzuwarten und zuzuhören. Russland muss sich allerdings auch fragen lassen, ob es seine Nachbarn mit einer Politik der Bedrohung nicht erst in die Arme der Nato treibt. Insgesamt sollten wir deshalb klären, ob wir Russland als Teil der europäisch-atlantischen Sicherheitsarchitektur verstehen. Wenn nein, dann können wir so weitermachen wie bisher.

SZ: Ihre Abrüstungsinitiative wird von 17 der letzten 24 US-Außen- und Verteidigungsminister getragen. Haben Sie was gutzumachen?

Nunn: Nicht nur Henry Kissinger, George Schulz oder William Perry haben verstanden, dass wir zwar gewissenhaft an der Reduzierung der nuklearen Bedrohung gearbeitet haben, dass wir aber auch einfach viel Glück hatten und es nicht zu einer großen Katastrophe kam. Wir, die wir durch den Kalten Krieg gegangen sind, müssen der nächsten Generation klarmachen, dass die Probleme nicht verschwunden sind.

© SZ vom 13.06.2008/aho - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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