Atommüll:Gegen die Zeit

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Die Suche nach einem Endlager für den deutschen Atommüll steht vor einem Dilemma. Denn die Bürger müssen daran beteiligt werden. Das kostet aber auch viel Zeit.

Von Michael Bauchmüller

Gleich vor den Toren Hannovers könnte es sein, in irgendeinem mächtigen Salzstock. Oder nahe Ulm, in einem gewaltigen Tonflöz. Oder aber in Nordbayern, im Fichtelgebirge. In den Granitfelsen dort ließe sich auch gut ein Endlager errichten. Irgendwo muss er schließlich hin, der deutsche Atommüll.

Keine Angst - alles rein hypothetisch. Dennoch wird es in den nächsten Jahren Bürger geben, die sich mit der günstigen Geologie ihrer Gegend konfrontiert sehen; deren Heimat plötzlich als denkbarer Standort für ein Endlager gilt. Und die nur hoffen können, dass dahinter Wissenschaft und nüchterne Abwägung stehen, nicht politische Opportunität - wie einst beim verhassten Salzstock Gorleben.

Die Endlagerkommission hat das Fundament für ein solches Verfahren gelegt. In der Nacht zum Dienstag hat sie mit nur einer Gegenstimme den Fahrplan für eine neue Endlagersuche verabschiedet. Er zeigt auf, in welchen Stufen die Suche verlaufen soll, welchen Ansprüchen ein Endlager genügen muss. Die Kommission hat eine Blaupause für die Beteiligung der Öffentlichkeit entworfen und pocht auf Klagerechte, damit sich Betroffene nicht erst dann wehren können, wenn die entscheidenden Weichen längst gestellt sind. Wer irgendwann das komplette Verfahren infrage stellen will, weil er ein Endlager bei Hannover, Ulm oder im Fichtelgebirge nicht hinnehmen will, wird unweigerlich auf die Vorarbeit dieses Expertenzirkels stoßen. Sein armdicker Bericht ist, wenn der Bundestag den Empfehlungen folgt, ab sofort die Legitimation aller weiteren Schritte.

Die Bürger müssen umfassend beteiligt werden. Das dauert

Das größte Dilemma dabei benennt der Bericht allerdings auch schon: Es ist das Dilemma zwischen Gründlichkeit und Zeit. Denn einerseits verlangt ein faires Verfahren eine umfassende Beteiligung von Bürgern bei jedem einzelnen Schritt. Andererseits könnte das Interesse der Öffentlichkeit an derart zähen Debatten oder langen Gerichtsverfahren über die Jahre erlahmen. Wissenschaft und Technik könnten sich fortentwickeln und alle Vorarbeit infrage stellen. So wird die Zeit zum größten Feind bei der Suche nach einem Endlager.

Die Uhr tickt schon, seit sich Bund und Länder auf einen neuen Anlauf einigten. Das war 2011. Doch in den fünf Jahren seither ist nicht viel mehr entstanden als der Kommissionsbericht. Mit Glück kommen die Gesetze dazu noch in dieser Legislaturperiode; erst dann kann die Arbeit beginnen. Schon jetzt gehen die düstersten Szenarien von 131 Jahren aus, bis ein Endlager gefunden und errichtet ist. Das wäre 2147.

Fatalerweise hat eigentlich kaum noch jemand Interesse an einer zügigen Lösung. Einst drängte die Atomindustrie darauf, das Müllproblem möglichst rasch loszuwerden. Doch seit sie die Verantwortung für ihre nuklearen Altlasten erfolgreich auf den Staat abwälzen konnten, kann es ihnen egal sein. Bund und Länder wiederum treiben nach aller Erfahrung die Suche nur voran, solange keine konkreten Regionen - also Wahlkreise - betroffen sind und keine Wahlen ins Haus stehen. Und unter den Bürgern machen nur diejenigen Druck, in deren Umgebung sich ein Zwischenlager befindet. Denn solange es kein Endlager gibt, wird der ganze strahlende Müll in Hallen aufbewahrt. Eine dauerhafte Lösung ist das weiß Gott nicht.

Es wird also neben dem neuen Verfahren auch eine verantwortungsbewusste Öffentlichkeit brauchen, die beim Atommüll nicht lockerlässt - selbst dann noch, wenn das letzte deutsche Atomkraftwerk längst abgeschaltet ist. Das verlangen auch die Kraft und die Stimme jener Umweltverbände, die bis heute jeden Kompromiss nur daran messen, ob er Gorleben von vornherein ausklammert oder nicht. Sie werden ein Endlager im Wendland am effektivsten verhindern können, wenn sie die Suche nach besseren Alternativen vorantreiben.

© SZ vom 29.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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