Atomkraftdebatte auf G8-Gipfel:Die Welt, das Atom und das deutsche Wesen

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Deutschland steht beim Gipfel in Japan mit seiner Zurückhaltung gegenüber der Kernergie ziemlich alleine da. Dabei ist die deutsche Enthaltsamkeit richtig. Denn eine Atomkraft-Renaissance wäre auch eine Einladung an Schurken und Schurkenstaaten.

Heribert Prantl

Wahlkämpfe können ausnahmsweise, dann, wenn es um Kernfragen geht, Veranstaltungen sein, die Klarheit schaffen. Die Frage, welche Zukunft die Atomenergie in Deutschland hat, ist eine solche Kernfrage - und es ist Klarheit nötig.

Bundeskanzlerin Angela Merkel steht mit ihrer Zurückhaltung in Punkto Kernkraft auf dem G8-Gipfel allein auf weiter Flur. (Foto: Foto: dpa)

Die Frage, die beantwortet werden muss, ist von grundsätzlichster Bedeutung: Es geht nicht mehr nur darum, ob ein paar alte, längst abgeschriebene deutsche Atomkraftwerke länger als vorgesehen und damit höchst gewinnträchtig laufen sollen. Es geht auch nicht nur darum, ob die superben Gewinne, welche die Energieversorger auf diese Weise machen, allein den Aktionären oder auch den Verbrauchern zugutekommen sollen.

Es geht um die Frage, ob der "Ausstieg aus dem Ausstieg", der von der Union propagiert wird, ein Wiedereinstieg in die Kernenergie sein soll. Sollen also neue Atomkraftwerke gebaut werden? Wenn das Land Glück hat, wird dieses Thema ein Wahlkampfthema.

Die Wahrnehmung von Risiken ist dem gesellschaftlichen Wandel unterworfen. Es ist nicht ausgemacht, dass eine junge Generation noch die Einschätzungen ihrer Eltern teilt, die sich dem Anti-Atom-Kampf verschrieben hatten. Es ist gut möglich, dass den Jungen der Rigorismus der Eltern fehlt, der unter dem Eindruck von Tschernobyl entstanden war.

Deutsche Enthaltsamkeit als Akt der Prävention

Und es ist sicherlich so, dass eine jahrelange Kampagne der Atomindustrie Wirkung zeigt - die sich an atomfreundlicheren Umfrageergebnissen in Deutschland ablesen lässt. Aber solche Kampagnen sind Kartenhäuser; sie brechen zusammen, wenn es zu einer Reaktor-Katastrophe kommt. Erstaunlich ist weniger, dass Umfragen atomfreundlicher ausfallen als früher, erstaunlicher ist, dass das Land nach wie vor eher atomkritisch ist.

Auf dem G-8-Gipfel im japanischen Toyako vertritt die Bundesregierung daher auch in einer nun wieder atomeuphorischen Welt eine verhaltene Position, wie sie seit Rot-Grün in Deutschland Staatsräson ist. Damit steht Deutschland in Toyako ziemlich allein da.

Die Atomindustrie könnte also darüber lamentieren, dass offenbar wieder einmal Emanuel Geibel in Mode kommt; das war der Dichter, der vor 140 Jahren das Gedicht geschrieben hat, an dessen Ende die Zeilen stehen: "Und es mag am deutschen Wesen einmal noch die Welt genesen." Aber bei Atomfragen geht es nicht um deutschen Größenwahn, sondern um praktizierte Vernunft; und die ist keine Frage aktueller G-8-Mehrheiten.

Eine weltweite Renaissance der Kernenergie wäre eine Einladung an den Terrorismus; je mehr spaltbares Material es gibt, umso größer wird die Gefahr. Aber allein - was kann Deutschland ausrichten, wenn im übrigen die Welt mit Atomkraftwerken gepflastert wird?

Deutsche Enthaltsamkeit ist ein Akt der Prävention gegen die neuen Gefahren. Vorbeugung braucht ein Vorbild; sie setzt voraus, dass einer vorangeht. Wenn Deutschland also bei behutsamer Atompolitik anderen Staaten vorangeht und ihnen zuvorkommt, muss es sich nicht genieren.

© SZ vom 8.7.2008/dgr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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