Atomenergie:Kontinent der Spaltung

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Nirgends stehen so viele Kernkraftwerke wie in Europa, vielerorts werden neue geplant - doch ihre Bedeutung sinkt.

Michael Bauchmüller

Im Planen sind die Europäer Weltmeister. An insgesamt 40 Standorten erwägen sie derzeit den Neubau von Kernkraftwerken. An 14 von diesen Orten sind die Planungen schon konkreter, manchmal wurden sogar schon Bauanträge gestellt. Und mit dem neuen Projekt im Solothurn haben die Schweizer Nummer 15 hinzugefügt. Hier wird ernsthaft nachgedacht.

Das kritische Echo auf die neuen Vorhaben steht allerdings in schlechtem Verhältnis zu deren Relevanz. Fast überall ersetzen die neuen Kraftwerke bestenfalls alte Meiler, die demnächst außer Betrieb gehen. Denn weltweit kommt der nukleare Kraftwerkspark in die Jahre.

70 neue Reaktoren bis 2015?

Nach Schätzungen des Bundesumweltministeriums ist von den weltweit 436 Reaktoren schon jetzt ein Drittel mehr als 30 Jahre alt. Sollen sie komplett ersetzt werden, müssten entweder die alten Anlagen länger laufen oder viel mehr neue entstehen als geplant. "Zusätzlich zu den bereits im Bau befindlichen müssten 70 neue Reaktoren bis 2015 gebaut werden, um die Zahl der Kraftwerke konstant zu halten", schreibt der Pariser Kernkraftexperte Mycle Schneider in einer Studie für die Grünen im Europaparlament.

Der Neubau freilich ist nicht nur eine Frage des Willens, sondern auch eine des Geldes. Kernkraftwerke sind kapitalintensiv und auch für Anleger nicht ohne Risiko, insbesondere wegen der hohen, schwer kalkulierbaren Entsorgungskosten.

Ob der Betrieb eines Reaktors für Investoren tatsächlich interessant ist, diese Entscheidung dürfte den kommenden Jahren in Großbritannien fallen. Erst im Januar hatte sich London wieder für die Kernkraft geöffnet, Wirtschaftsminister John Hutton lud Europas Atomindustrie zum Neubau ein.

Die Sache hat nur einen Haken: Auf die sonst übliche staatliche Unterstützung dürfen die Betreiber nicht hoffen. So wird sich zeigen, ob die Kernkraft wirklich vor einer Renaissance steht - oder vor einem Abschied auf Raten.

De facto ging im vergangenen Jahr erstmals seit fünf Jahren die Stromproduktion der globalen AKWs um knapp zwei Prozent zurück. Teils waren Zwischenfälle wie in den deutschen Kraftwerken Brunsbüttel und Krümmel schuld, teils wurden Reaktoren, wie in Großbritannien, endgültig abgeschaltet. Zusätzliche Strommengen aus Bulgarien, China, Russland und den USA fingen den Rückgang nicht auf.

Milliardengrab Kernkraftwerk

Auch gingen im vergangenen Jahr weltweit nur fünf neue Kernkraftwerke in Bau. Davon befindet sich ein einziges in Europa, nämlich Block 3 des französischen Reaktors Flammanville. Die zweite europäische Baustelle, der dritte Block des finnischen Kraftwerks Olkiluoto, entpuppt sich als Milliardengrab für die beteiligten Unternehmen.

Allein Siemens, zuständig für die Turbinen des Kraftwerks, kalkuliert derzeit mit 500 Millionen Euro Verlust aus dem Projekt. Dabei sollte Olkiluoto das Vorzeigeobjekt der Europäer werden. Zum Festpreis gebaut, wollte das deutsch-französische Atomkonsortium Areva dort den Prototyp seines EPR-2 hinstellen, einen Druckwasserreaktor der neuen Generation. Er soll die Märkte erobern, wenn auch nun mit Verzögerung. In Flammanville übrigens ist derzeit ebenfalls Baustopp: Es gab Probleme mit dem Beton.

Dennoch bleiben vor allem die Industriestaaten beseelt von der Kernkraft. In Frankreich, Russland und den USA ist die Branche nicht unbedeutend. Und Aufträge für neue Reaktoren gibt es eben nicht allzu oft; umso wichtiger ist ein stetiger Eingang neuer Projekte.

Kernkraftkritische Deutsche stehen allein im Kreis der G-8-Staaten

"Wir stellen fest", so notierten die Energieminister der G-8-Staaten am Wochenende genüsslich, "dass eine wachsende Zahl von Staaten Interesse an Kernkraft-Programmen hat, um Klimaschutz und Energiesicherheit anzugehen." Freilich gebe es unterschiedliche Herangehensweisen, schrieben die Staaten mit Rücksicht auf die kernkraftkritischen Deutschen.

Die stehen im Kreise der G-8-Staaten inzwischen ziemlich alleine da. Bis vor kurzem fanden sie zumindest in Italien noch einen entschiedenen Gegner neuer Kernkraftwerke. Das allerdings hat sich mit der Regierung Berlusconi komplett gedreht.

Erstmals fasst nun auch die Regierung in Rom neue Reaktoren ins Auge, trotz des leidenschaftlichen Widerstandes ihrer Bürger. Selbst über den Standort hat die Regierung sich schon Gedanken gemacht. Nicht in Italien könnten diese entstehen. Sondern in Albanien.

© SZ vom 11.06.2008/buma - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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