Artenschutz:Die Kröt' uss dä Täsch'

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Juchtenkäfer, Großtrappe, Bachneunauge und jetzt auch noch der Schierlings-Wasserfenchel: Irgendwelche komischen Tier- und Pflanzenarten werden immer hervorgezaubert, um große Bauprojekte zu blockieren. So kann man das sehen. Aber auch ganz anders - und das aus gutem Grund.

Von Jan Heidtmann

Eine kleine Gemeinde bei Bonn, Mitte der Achtzigerjahre: Die Vertreter der Kommune sind zusammengekommen, fast alles gesetzte Herren, ein Grüner ist auch dabei, es gilt, eine heikle Angelegenheit zu besprechen. Soeben hatte man gemeinsam eine Kiesgrube begutachtet, die zugeschüttet und mit Tennisplätzen bebaut werden soll. Der Vertreter der Grünen formuliert Einwände, Fauna und Flora in der Grube, so etwas, da erwidert einer der Honoratioren in breitem Rheinisch: Er wisse, wie das jetzt laufe, jetzt komme "die Kröt' uss dä Täsch'". Die Kröte war in der Gegend lange das geflügelte Wort, wann immer Umweltschützer versuchten, ein größeres Bauprojekt zu verhindern, Tonlage: Da kann ja jedes Mistvieh kommen.

Rund 30 Jahre später erfährt die Kröte ganz andere Beachtung. Als Großtrappe hätte sie fast den Bau der ICE-Strecke Berlin - Hannover verhindert, für 12 Millionen Euro musste die Bahn Lärmschutzwände für fünf Dutzend der Riesenvögel bauen. Als Juchtenkäfer wurde sie zum Maskottchen der Gegner des Bahnhofs Stuttgart 21, zu dessen Schutz die Bahn aufwendige Auflagen erfüllen muss. Als Schierlings-Wasserfenchel zögert sie jetzt das Ausbaggern der Elbe weiter hinaus. Gerade wegen all der teuren Umstände, die sich der Mensch heute mit diesen Wesen macht, bleibt immer auch der Eindruck, das sei ein ziemlicher Irrsinn. Oder, um mit Bundeskanzlerin Angela Merkel zu sprechen, die die Verzögerungen beim Bau von Stuttgart 21 einst so kommentierte: "Bei aller Schutzwürdigkeit kann es nicht sein, dass Juchtenkäfer und Kammmolche herhalten müssen, um solche Großprojekte zu verhindern."

Es hat natürlich auch etwas Absurdes: Da sitzt die Krone der Schöpfung, in einem Fall in Gestalt mehrerer RWE-Manager, wälzt millionenschwere Investitions- und Baupläne für ein neues Kraftwerk sowie Hunderte Arbeitsplätze. Und muss sich dann von einem Feldhamster zeigen lassen, wo es langgeht. Der Ärger ist verständlich, doch ist er richtig?

Anders als vielleicht noch zu Zeiten der Kröte herrscht inzwischen weitgehende Einigkeit darüber, dass Tier- und Pflanzenarten vor dem Aussterben bewahrt werden sollen. Manche sind geschützt, weil sie ein wichtiger Teil eines Ökosystems sind; ihr Verschwinden würde dazu führen, dass andere Arten ebenfalls gefährdet werden. Anders als vor 30 Jahren, geht es in einigen Fällen aber auch um die letzten Wesen ihrer Art. Bei der Großtrappe ist das so. Deshalb hat sich Deutschland verpflichtet, diese Tiere zu schützen. Anders gesagt: Wenn sich Umweltschützer für das zugegebenermaßen unansehnliche Bachneunauge einsetzen, dann ist das kein Spleen überambitionierter Tierfreunde. Es geht darum, Gesetze einzuhalten, die unsere Umwelt insgesamt bewahren sollen. Selbst der Bundesverband der Deutschen Industrie sieht das so.

Und auch wenn das nach Urteilen wie dem zur Elbvertiefung anders klingen mag: Bislang hat kaum eine geschützte Art in Deutschland ein größeres Bauprojekt verhindert. Die Elbe wird noch ausgebaggert werden, Stuttgart 21 wird gebaut, der ICE zwischen Berlin und Hannover fährt, und auch der Kammmolch hat die A 49 in Hessen nicht gestoppt. Das Problem liegt eher in der Planung, das zeigen auch die Urteile zu den verschiedensten Projekten. Dort wird regelmäßig kritisiert, dass Behörden und Firmen den Artenschutz nicht genug berücksichtigten; Millionen an Mehrkosten hätten sonst eingespart werden können. Doch die Kröte gehört heutzutage eben genauso in die Investitionsplanung wie der Kinderspielplatz.

© SZ vom 11.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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