Arbeitswelt:Mein Kollege, der Roboter

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Angestellte befürchten, von Maschinen ersetzt zu werden. Doch den künstlichen Wesen fehlen zentrale Merkmale.

Von Helmut-Martin Jung

Das mehrere Meter große Rad mit seinen Aluminium-Lamellen dreht sich langsam, aber stetig an der Decke des schmucklosen Raums in einem ebenso nüchternen Industriegebäude. Laut ist es hier und zugig. An dem Rad trifft aufgeheizte Luft auf kalte Außenluft - die Anlage, ein gewaltiger Wärmetauscher, dient dazu, die Serverrechner in einem riesigen Rechenzentrum zu kühlen. Hier, bei Noris Networks in Nürnberg, ist einer jener Orte, an denen das Herz der Digitalisierung schlägt. An denen viele der staunenerregenden Projekte, die sich künstlicher Intelligenz (KI) bedienen, letztendlich berechnet und in greifbare Erkenntnisse umgewandelt werden.

Erkenntnisse, wie sie etwa Jörg Dittrichs Firma Orpheus Kunden wie Adidas oder Bayer bietet. Die Unternehmen verwenden Algorithmen der Nürnberger Firma Orpheus, um beim Einkauf Geld zu sparen. Die Software erkennt Auffälligkeiten in den Daten und schlägt Verbesserungen vor. Beispiele wie das Start-up aus Nürnberg gibt es mittlerweile mehr und mehr.

Deshalb fragen sich viele: Was wird passieren, in fünf, in zehn Jahren, wenn sich die Technologie immer weiter ausbreitet und auch Bereiche von der Produktion bis hin zu reinen Bürojobs wie etwa Controlling oder Personalwesen erreicht? Werden dann am Ende nur noch wenige menschliche Arbeitskräfte übrig bleiben, die überwachen, was Roboter und Software zuwege bringen?

Die Bandbreite der Vorhersagen dazu ist groß. Manche Studien sagen voraus, der Einsatz von KI werde bis zu 50 Prozent aller heutigen Jobs vernichten. Andere Berichte rechnen zwar auch damit, dass Arbeitsplätze wegfielen. Es würden aber auch viele neue entstehen - so sei es schließlich bei allen größeren technischen Umwälzungen gewesen, argumentieren sie.

In vielen Firmen, in denen KI bereits im Einsatz ist, hat die neue Technik bisher nicht dazu geführt, dass Arbeitsplätze wegrationalisiert wurden. Sie nimmt den Mitarbeitern Routinejobs ab, sodass die sich mit mehr Energie auf die Aufgaben konzentrieren können, die Maschinen nicht schaffen oder für die menschliche Fähigkeiten wie etwa Kreativität oder Empathie zwingend nötig sind.

Was KI in der Zukunft bewirken wird, lässt sich seriös kaum prognostizieren, es stecken zu viele Unbekannte in den Berechnungen. Wie etwa wird sich der demografische Wandel auswirken - braucht es nicht vielleicht sogar Automatisierung und künstliche Intelligenz, um den Rückgang der Geburtenzahlen auf dem Arbeitsmarkt zu kompensieren? Wie schnell wird die Entwicklung der KI tatsächlich vorangehen - kommt es wirklich zu einem Punkt, von dem an der Fortschritt dahinrast und den Menschen womöglich entgleitet?

Tatsache ist jedenfalls: Dass eine Firma wie Noris Networks einmal mehr als 300 Arbeitsplätze bieten würde, viele davon sehr gut bezahlt, das hätten sich vor 25 Jahren nur die wenigsten vorstellen können. Die Firma war damals, 1993, die erste, die Internetzugänge in Nordbayern anbot. Heute ist sie einer jener Dienstleister im Hintergrund, die es möglich machen, dass Unternehmen vom Potenzial der Cloud profitieren. Gemeint ist die viel beschworene Wolke aus Computern also, in der sich riesige Datenmengen speichern und vor allem mit Algorithmen der künstlichen Intelligenz auswerten lassen. Und die Cloud, sie wächst und wächst. In Nürnberg wird gerade neben der Firmenzentrale eine weitere Halle für Server gebaut, auch die Noris-Dependance in Aschheim bei München wird auf die doppelte Kapazität erweitert - weil die Nachfrage so groß ist.

Nicht alles, was unter der Rubrik KI läuft, fällt streng genommen wirklich darunter. Intelligenz - wenn auch keine mit der des Menschen vergleichbare - kommt dann ins Spiel, wenn die Systeme aus eigener Erfahrung und ohne das Eingreifen eines Menschen schlauer werden und selbständige Entscheidungen treffen.

Dabei nutzt derzeit nur ein Bruchteil der Firmen Cloud-Dienste oder gar künstliche Intelligenz. Je mehr Unternehmen aber KI-Projekte starten, desto mehr Rechenkapazität wird benötigt. Mehr als 50 000 Rechenzentren gibt es bereits in Deutschland, schon heute verbrauchen sie mehr als zwei Prozent der gesamten elektrischen Energie. Die Branche beschäftigt gut 200 000 Menschen. Vielleicht wären es sogar noch mehr, wären in Deutschland die Kosten für Strom nicht so hoch, wie der Branchenverband Eco beklagt. Für Hühnchenschlachtereien gebe es ermäßigte Stromtarife, für ihre energieintensive Branche aber nicht.

Entscheidend für die Frage, ob Deutschland und Europa die Defizite bei der Digitalisierung aufholen können, wird aber eher sein, ob die Politik die Rahmenbedingungen verbessert. Dazu müsste sie die vielen Versprechen einlösen, die bereits im Koalitionsvertrag gemacht wurden und nun durch die Initiative zur künstlichen Intelligenz erweitert wurden. Zeigen muss sich auch erst noch, ob die mehr und mehr zersplitterte EU es schafft, die 20 Milliarden Euro, die bis 2020 in KI-Projekte gesteckt werden sollen, sinnvoll zum Einsatz zu bringen.

© SZ vom 05.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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