Arbeitnehmer:Das Leben nach Nahles

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Nahles in Not – 2018 ist das Katastrophenjahr der SPD, die sich fragen muss: Sind wir überhaupt noch eine Volkspartei? (Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Mit der bisherigen Arbeitsministerin erlebten die Gewerkschaften fette Jahre. Nun drohen FDP und Grüne.

Von Detlef Esslinger

Wenn Veranstalter einen Politiker einladen, laden sie nicht den Menschen ein, sondern den Amtsinhaber. Eine Arbeitsministerin zum Beispiel gehört auf jeden Gewerkschaftskongress, und deshalb haben diese zwei Gewerkschaften selbstverständlich schon vor Monaten Andrea Nahles eingeladen. Inzwischen ist Nahles zwar nicht mehr Ministerin - das Ungewöhnliche aber ist: Bei der Einladung ist es geblieben. Am Sonntag spricht sie zur Eröffnung des Kongresses der IG Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) in Hannover, am Montag ist sie in Berlin beim Kongress der IG Bau zu Gast, ebenfalls zur Eröffnung. Nahles muss sein, sozusagen.

Bei beiden Treffen blicken die Gewerkschaften auf vier fette Jahre zurück. Andrea Nahles - IG-Metall-Mitglied und dort vor Jahren auch mal beschäftigt - setzte den gesetzlichen Mindestlohn, die Rente mit 63 und das Gesetz zur Tarifeinheit durch. Der IG Bau rettete sie zwischendurch die Sozialkasse, die nach einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts in Gefahr geraten war, und die IG BCE hatte schon deshalb einen kaum noch verbesserungsfähigen Draht ins Ministerium, weil es sich bei Nahles' Staatssekretärin um Yasmin Fahimi handelte, welche die Lebensgefährtin des Vorsitzenden Michael Vassiliadis ist.

Folgen nun vier magere Jahre? Am Wahlabend waren die meisten Gewerkschaftschefs erschüttert angesichts des Abschneidens der SPD. Fast alle sind sie Mitglied der Partei oder stehen zumindest dem eher linken Lager nahe. Robert Feiger, Chef der IG Bau, kleidete das Empfinden kurz darauf in die Worte: "Dieses Wahlergebnis bietet aus Sicht der Arbeitnehmer keinen Grund zur Freude." Das ist ein Satz, bei dem man sich fragt, über wen er mehr aussagt: über die Arbeitnehmer, von denen doch viele Millionen auch Union, FDP und Grüne gewählt haben - oder über Gewerkschafter, die immer meinen, was sie fordern, sei grundsätzlich im Interesse aller Arbeitnehmer? Feiger, auf den Satz angesprochen, sagt: "Wir haben jedenfalls keinen Anlass, unsere Position zu ändern." Indem er davor warnt, Errungenschaften von Nahles rückgängig zu machen, sagt er zugleich, dass er eine solche Politik zumindest nicht ausschließt. Die FDP hat den Mindestlohn auch immer deshalb kritisiert, weil er den Firmen angeblich einen Papierkrieg beschert. Feiger sagt: "In Wahrheit war jeder Unternehmer schon immer in der Lage, die geleistete Arbeitszeit seiner Mitarbeiter zu erfassen und zu dokumentieren."

Der Gewerkschaftschef sagt: "Lasst uns endlich wieder angemessen diskutieren."

Was das Verhältnis zur Union betrifft, sind die meisten Gewerkschafter gelassen; die Unwägbarkeiten sehen sie bei der FDP und den Grünen. Zur FDP müssen die Kontakte erst wieder aufgebaut werden. Immerhin, Verdi-Chef Frank Bsirske sagt, wenn man ihn danach fragt: "Ich werde das Gesprächsangebot von Christian Lindner aufgreifen."Bsirske zeigt sich ein wenig optimistischer als sein Kollege Feiger vom Bau. War die FDP 2013 nicht auch dafür bestraft worden, dass sie sich so kalt gegenüber den Schlecker-Frauen gegeben hatte, denen sie eine Transfergesellschaft verweigerte? Bsirske sagt: "In ihrer letzten Regierungszeit herrschte dreiste Klientelpolitik bei der FDP. Jetzt hat Lindner angekündigt, die FDP neu zu denken.

Man darf gespannt sein." Müsste man den eher Bsirske-fernen Teilen einer Jamaika-Koalition den grundsätzlichen Wert von Gewerkschaft vermitteln, könnte man sie auf eine Studie der DGB-eigenen Hans-Böckler-Stiftung hinweisen. Deren Ergebnis: Arbeitnehmer, die nicht nach Tarif bezahlt werden oder nur befristet angestellt sind, neigten mit deutlich höherer Wahrscheinlichkeit zur AfD als die anderen - weil sie das Empfinden haben, immer nur unter dem Diktat der Verhältnisse zu leben.

Umgekehrt gibt es aber auch grünenferne Teile in den Gewerkschaften - nicht Bsirske, er ist Mitglied dieser Partei; wohl aber etwa die IG BCE, die ja die Arbeitnehmer im Bergbau und der Energiebranche vertritt. Ihr Vorsitzender Vassiliadis (der ebenso wie Robert Feiger von der IG Bau nächste Woche wiedergewählt werden will) sagt immer, auch er sei für Energiewende und Klimaschutz. Trotzdem lief es lange Zeit ungefähr so, dass die Grünen ihm vorwarfen, ein Klimakiller zu sein, und er seinerseits die Grünen im Verdacht hatte, sich nicht für die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft zu interessieren, sondern sich in Übermoralisierung zu gefallen. Vassiliadis hat zwei Sätze dafür. Der erste: "Es ist zynisch, so zu tun, als ob die Bergleute in der Lausitz allein für den weltweiten Klimawandel verantwortlich sind." Der zweite: "Freunde, lasst uns endlich wieder angemessen und mit Vernunft diskutieren."

Man kann es auch so sagen: Freunde müssen sie erst noch werden. Und Nahles-Status werden sie ohnehin kaum erreichen.

© SZ vom 07.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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