Anwaltstag:Richter und Schlichter

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Auf dem 66. Deutschen Anwaltstag diskutiert ein ganzer Berufsstand über die Zukunft der Rechtsprechung. Ein Schwerpunkt sind Schiedsgerichte und Schlichtungsverfahren. Die Skepsis ist groß.

Von Wolfgang Janisch, Hamburg

"Streitkultur im Wandel", hat der Deutsche Anwaltverein über seinen soeben in Hamburg eröffneten 66. Deutschen Anwaltstag geschrieben - und das Motto mit dem warnenden Zusatz "Weniger Recht?" versehen. Wer die rechtspolitische Agenda verfolgt, der weiß, was damit gemeint ist: all jene neueren Tendenzen, Streitigkeiten durch Schiedsgerichte oder Schlichtungsstellen beilegen zu lassen, statt sie vor staatlichen Gerichten auszutragen. Dazu gehört etwa der Gesetzentwurf zur Ausweitung der Verbraucherschlichtung, den das Bundeskabinett vor zwei Wochen verabschiedet hat. Verbraucher sollen zum Schlichter gehen dürfen, statt wegen eines defekten Föhns oder einer mangelhaften Handwerkerarbeit bei Gericht zu klagen. Dazu soll die Möglichkeit zur Schaffung privater Schlichtungsstellen mit staatlicher Anerkennung geschaffen werden. Freiwillig, unbürokratisch und kostenfrei.

Der Anwaltverein begegnet dem durch eine EU-Richtlinie angestoßenen Projekt zwar grundsätzlich wohlwollend, wie sein scheidender Präsident Wolfgang Ewer versichert. Zugleich mischt sich darin eine Skepsis, die eine grundsätzliche und eine berufspolitische Seite hat. Die Grundsätzliche: Wenn immer mehr eigentlich juristisch angelegte Auseinandersetzungen durch Schlichtungsstellen erledigt werden, verdünnt sich das Recht - und die Maßstäbe erodieren. Berufspolitisch hat der Verband eine andere Sorge: Weniger Recht heißt weniger Fälle.

Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) hält die Sorge für unbegründet. Durch eine Ausweitung der Schlichtung würden viele Verbraucher überhaupt erst zu ihrem Recht kommen. "Wer sich bisher über ein mangelhaftes Produkt oder eine schlechte Dienstleistung geärgert hat, der hat ja nicht in jedem Fall das Gericht angerufen." Schon wegen der Kosten: Eine repräsentative Umfrage zeige, dass die Menschen im Durchschnitt erst ab einem Streitwert von 1950 Euro zur Klage bereit seien. Bei Verbraucherstreitigkeiten liege der Wert normalerweise deutlich niedriger.

Auch die frühere Verfassungs- und Europarichterin Renate Jaeger brach eine Lanze für das Schlichtungswesen. Das hat eine besondere Pointe: Die Juristin ist in ihrem Richterleben keinem Konflikt aus dem Weg gegangen, sie steht geradezu paradigmatisch für den Streit ums Recht. Seit einigen Jahren leitet sie freilich die Schlichtungsstelle der Anwaltschaft - und ist gleichsam geläutert. Schlichtung, sagte sie in Hamburg, sei ein Gewinn für die Gesellschaft. Und für den Verbraucher, der auf kurze Verfahren statt auf lange Prozesse bauen könne.

Voraussetzung ist für sie freilich die Unabhängigkeit und die fachliche Kompetenz des Schlichters - wofür es aber viele positive Beispiele gebe, etwa beim Ombudsmann der Versicherungswirtschaft. Mitunter könne der hoch spezialisierte Schlichter dem Richter oder Anwalt sogar überlegen sein. Entscheidend für den Rechtsstaat ist aus ihrer Sicht, dass man zu Gericht und zum Anwalt gehen kann - nicht, dass man diese Möglichkeit bei jedem Bagatellfall in Anspruch nimmt.

Die eigentliche Gefahr der Schlichtung liegt nach ihrer Einschätzung in ihrer mangelnden Transparenz. Weil solche Verfahren nicht öffentlich seien, komme den Tätigkeitsberichten der Schlichter maßgebliche Bedeutung zu: Sie seien auch eine Art rechtsstaatliche Problemanzeige - und damit letztlich eine Stärkung des Rechts.

© SZ vom 12.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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