Anwalt Senfft tot:Der juristische Ironimus

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Er gewann Prozesse für Hochhuth, Wallraff und Gysi: Heinrich Senfft, der große Verteidiger der Pressefreiheit, ist 88-jährig gestorben.

Von Franziska Augstein

Ironie wird meistens missverstanden: Die Leute denken, jemand meine ernsthaft, was er doch bloß ironisch sagt. Heinrich Senfft war ein Jurist, der seinen Beruf als Anwalt und Ironiker und gebildeter Literat ausüben konnte. Er hatte die Gabe, Schriftsätze so zu formulieren, dass ein jeder Richter die rechtliche Seite der Causa umso besser verstand, weil sie vom Rechtsanwalt Senfft in glanzvoller und nicht selten auch ironischer Prosa vorgetragen wurde.

Seinen Vater, der im Krieg starb, hat Heinrich Senfft nicht kennengelernt, seine Mutter dafür umso besser. Sie war eine überwältigende Femme fatale, die den großen Stilisten, Journalisten und Schriftsteller Friedrich Sieburg in ihr Netz gezogen hatte. Von ihm hat Senfft sich abgeschaut, wie man gut schreibt. Von den Leuten der 68er-Bewegung in Westdeutschland hat er sich abgeschaut, was er fürderhin für politisch richtig hielt. Er war ein junger Anwalt, und nun wusste er, was in seiner Hamburger Kanzlei zu tun war. Etliche seiner Prozesse sind legendär.

Der Schriftsteller Rolf Hochhuth publizierte 1978 in der Zeit einen Artikel, in dem er dem damaligen Ministerpräsidenten Baden-Württembergs, Hans Filbinger, Machenschaften als Nazi vorwarf. Filbinger klagte. Senfft vertrat Hochhuth und gewann. Schlussendlich musste Filbinger zurücktreten. Der Kaufhausbesitzer Helmut Horten, der sich mit den Nazis gut verstanden hatte, wurde von dem Schriftsteller Friedrich Christian Delius in einem Gedicht geschmäht. Delius wurde alsgleich verklagt. Senfft gewann den Prozess für seinen Klienten. Nicht zählen kann man die juristischen Auseinandersetzungen, die Senfft mit dem Springer-Verlag geführt und gewonnen hat. Besonders brisant war Springers Klage gegen Günter Wallraff, der 1977 seine Undercover-Recherchen in der hannoverschen Redaktion der Bild- Zeitung in einem Buch publizierte. Bei den vielen Prozessen, die sich daraus ergaben, behielt Senfft die Oberhand.

Den Journalisten und späteren Diplomaten Günter Gaus - er war der erste Vertreter der "Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der DDR" - nannte Senfft seinen besten Freund. Die beiden waren sich einig darin, dass die DDR ein schlechter Staat war, aber von vielen anständigen Leuten, Politiker inclusive, bevölkert. Bei dieser Meinung blieb Günter Gaus auch nach dem Ende der DDR, als die Hatz auf alle einsetzte, die mit dem SED-System etwas zu tun gehabt hatten. Das brachte den konservativen Sozialdemokraten Gaus in den Ruf, ein ganz Linker zu sein. Gaus sagte dazu: Seine Meinung sei immer die gleiche geblieben, nur die Sichtweise der Beobachter habe sich gewandelt. Dasselbe gilt für Senfft. Beide hatten keinerlei ideologische Richtmuster.

Nach dem Ende der DDR hat Senfft einige Ostdeutsche vertreten, die im geeinten Deutschland als Politiker Fuß fassen wollten. Dabei war sein prominentester Klient Gregor Gysi. Der hatte die Kritik auf sich gezogen, die an der verflossenen DDR geübt wurde. Senfft hat viele Prozesse für Gysi geführt - und weil Gysi nichts Böses nachzuweisen war, gewann er sie. Vor Jahren schon starb Senffts zweite Frau Marita, seitdem hat ihm das Leben wenig Freude gemacht. Nun ist der aufrechte, großartige Anwalt Heinrich Senfft im Alter von 88 Jahren gestorben.

© SZ vom 19.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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