Antisemitismus:Kein Witz

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Böhmermann steht zu Recht in der Kritik. Er suchte die billigen Lacher unter dem Etikett des Tabubruchs. Und wurde so zu einem von vielen Beispielen des Alltagsantisemitismus.

Von Matthias Drobinski

Jan Böhmermann mag kein Antisemit sein; er behauptet ja nicht, dass Juden heimlich die Welt beherrschen und relativiert auch nicht den Holocaust. Trotzdem steht er nun zu Recht inmitten einer Antisemitismusdebatte. Der Comedian Oliver Polak beschreibt in seinem Buch "Gegen Judenhass", wie drei Kollegen ihn als Teil einer Showeinlage angeekelt von der Bühne werfen; wie ein "Fernsehmoderator mittleren Alters" ein Desinfektionsmittel hinter dem Sofa hervorholt und die anderen fragt: "Habt ihr ihm die Hand gegeben?" Jahre später ist er in der Talkshow des Moderators, der auf Twitter angekündigt hat, Polak käme, "weil der israelische Geheimdienst uns dazu gezwungen hat". Polak nennt in seinem Buch bewusst keine Namen, es soll um die Sache gehen. Den Namen aber hat nun die Wochenzeitung der Freitag veröffentlicht: Der Moderator mit dem Desinfektionsspray, das war Jan Böhmermann.

Die Sache, um die es Polak geht, hätte tatsächlich kein Outing gebraucht: Satire darf viel, sie muss an die Grenzen gehen und Grenzen verletzen. Sie muss aber auch wissen, wo sie das Satirische verlässt, wo sie nicht die angeblich Unangreifbaren angreift und die verletzt, die sich unverletzlich machen wollen; wo sie auf Kosten der Schwachen und der Minderheiten billige Erfolge haben möchte. Das aber geschah bei den Szenen, die Polak beschreibt. Der Witz dort hatte keinen doppelten Boden und keinen tieferen Sinn, er wollte nichts aufklären. Er suchte seine Lacher auf Kosten der Religion und der Lebensgeschichte des Verlachten; er höhnte über den Massengräbern der Ermordeten, unter dem Etikett des Tabubruchs. Er wurde so zu einem der vielen Beispiele des Alltagsantisemitismus, den Oliver Polak in seinem Buch anführt, als Abbildung und nicht als Anklage, wie er betont. Warum er noch nicht weg sei, fragt ihn einmal ein Zuschauer: "Der letzte Zug nach Auschwitz fährt doch gleich." Saukomisch.

Dass es unverbesserliche Nazis gibt, damit haben viele Juden in Deutschland mühsam zu leben gelernt; dass nun viele Menschen aus dem Nahen und Mittleren Osten gekommen sind, denen einiger Antisemitismus eingetrichtert wurde, damit lernen sie gerade mühsam leben. Was sie aber wirklich verletzt, ist dieser Alltagsantisemitismus, den nicht nur Polak beschreibt. Es sind die gedankenlosen Bemerkungen und zynischen Witze der ganz normalen Bürger, die ihnen den Boden unter den Füßen wegziehen - die Stereotype der Stammtischhocker wie der Studienräte, der Nachbarn und ja: auch der Journalisten, der Kabarettisten und Komiker. Es lässt sie die Israelfeindschaft bei manchen Linken wie die Verschwörungstheorien der Rechten verzweifeln. Der Antisemitismus ist tief ins kollektive Unterbewusstsein gegraben, zu tief, um einfach wegerzogen werden zu können; Aufklärung und Demokratisierung haben ihn zum Glück in den Keller des Unsagbaren und Skandalösen gedrängt. Dort aber lebt er weiter, sprungbereit; er kann bekämpft und doch nie wirklich besiegt werden. Deshalb ist die aktuelle Reaktion Böhmermanns auf das Outing noch bitterer, als die Entgleisungen der Vergangenheit es sind: Er könne leider nicht mitwirken an der "Umdeutung von ultrakrassen Ficki-Ficki-Comedykarrieren in schillernde, sensible Intellektuellenbiografien". So redet ein Zyniker, der vor allem eines sein will: unangreifbar.

© SZ vom 27.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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