Anti-Rassismus-Demos:Mehr als Schwarz-Weiß

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Rassismus hat in den USA eine andere Geschichte als in Deutschland. Aber auch hier treibt der Tod des Afroamerikaners George Floyd sehr viele junge Leute zum Protest auf die Straße.

Von Andrian Kreye

Demonstranten am Römerberg in Frankfurt am Main bekunden ihre Solidarität mit den Anti-Rassismus-Protesten in den USA. (Foto: Boris Roessler/dpa)

"Man nennt Rassismus den gesellschaftlichen Krebs unserer Zeit", hieß es in der Oktoberausgabe des Courier Journals der Unesco im Jahr 1960. Viel hat sich seither getan. Die Bürgerrechtsbewegungen in den USA, Europa und dem Rest der Welt haben Rassismus geächtet und zurückgedrängt. 177 Länder haben die Konvention zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung ratifiziert - 1969 trat sie in Kraft. Und wenn der afroamerikanische Hollywoodstar Will Smith 2016 in einer Late-Night-Show sagt: "Rassismus ist nicht schlimmer geworden, er wird jetzt nur gefilmt", dann findet man auch Untersuchungen dazu, die das belegen.

Smiths Zitat wird derzeit im Internet herumgereicht. Im Kontext der weltweiten Proteste nach dem Tod des Afroamerikaners George Floyd, den ein weißer Polizist in Minneapolis bei einer Verhaftung erstickte, wirkt das, als wollte er Gewalt und Rassismus relativieren. Wollte er nicht. Doch was nutzt einem Afroamerikaner die Statistik, die besagt, dass staatliche Diskriminierungspolitik weltweit seit 1950 um die Hälfte abgenommen hat, wenn der Alltag brutal bleibt?

Rassismus hat in den USA eine über 400-jährige Geschichte, die in der Sklaverei wurzelt und nie ein Ende fand. Die Nachkriegszeit brachte eine soziale Großwetterlage, die mit Richard Nixons "Krieg gegen die Drogen" begann und mit Ronald Reagans wirtschaftsliberaler Politik so richtig Fahrt aufnahm. Seit der Rezession von 1981 folgte eine jobless recovery nach der anderen, es gab also mit jeder Boomphase der Wirtschaftszyklen wieder bessere Bilanzen, aber nicht mehr Jobs und vor allem keine guten mehr. Gleichzeitig verschärfte sich der Krieg gegen die Drogen mit härteren Strafen und Maßnahmen vor allem gegen Minderheiten.

In vielen Schwarzenvierteln kam hinzu, dass die Unruhen der Sechzigerjahre nicht nur weiße Anrainer, sondern auch den Einzelhandel vertrieben hatten. "Food deserts" entstanden, Ernährungswüsten, in denen es kaum frische Lebensmittel mehr gab, sondern nur noch Läden, die Fertiggerichte verkauften. Das führte in diesen Vierteln zu Übergewicht und Diabetes. Auch ein Grund dafür, dass dreimal so viele Afroamerikaner an Covid-19 starben wie Weiße.

Was das mit dem Rest der Welt zu tun hat, mit Deutschland? Weshalb so viele auch hier für George Floyd auf die Straße gehen? "Die USA sind der globale Bilderlieferant", sagt der Migrations- und Rassismusforscher Mark Terkessidis. "Es gib kaum ein stärkeres Bild, als die Staatsgewalt, die das Knie im Nacken eines schwarzen Mannes hat, der dann auch noch stirbt. Das ist ein einfaches Bild, in dem alles kulminiert."

In Deutschland sei Diskriminierung auch etwas, das sehr viel präsenter sei, als noch vor wenigen Jahren. Weil es eine junge Generation gibt, die sehr offen darüber spricht. Auch wenn deutsche Kinder und Jugendliche Diskriminierung seltener selbst erleben, so erfahren sie doch oft schon in der Schule von Freunden aus erster Hand, was das bedeutet. Und letztlich sei das in Deutschland wie in vielen Ländern auch ein Protest gegen den Populismus. Doch: "Die Gefahr besteht, dass, wenn wir das nur in Schwarz-Weiß übertragen, viele Erfahrungen übergangen werden", sagt Terkessidis.

In Deutschland ist die Vorgeschichte der Ressentiments und Diskriminierungen historisch äußerst komplex. "Der deutsche Imperialismus bestand nicht nur aus überseeischen Kolonien in Afrika, sondern war vor allem ein Expansionsprojekt nach Osten, bei dem das von Deutschland geleitete Mitteleuropa bis nach Afghanistan reichen sollte", sagt Terkessidis. Alle Länder dieses Kontinentalprojektes wurden als Ziel des deutschen Imperialismus auch als zweit- oder minderwertig betrachtet.

Darin wurzeln auch die Vorurteile gegen etwa Polen, Griechen oder Türken, die sich bis heute halten. "Wenn Sie heute Menschen polnischer Herkunft fragen, welche Erfahrungen sie gemacht haben mit Vorurteilen wie, dass Polen viel trinken oder Autoschieber sind, wenn Sie Menschen russischer Herkunft fragen, türkischer sowieso, oder auch arabischer, da gibt es einen Zuschreibungskatalog, der nichts mit der Hautfarbe zu tun hat."

Terkessidis ist beeindruckt, mit welcher Kraft die antirassistische Bewegung derzeit in Deutschland auf die Straße drängt. "Wenn ich das vergleiche mit 'Kanak Attak' und den Gruppen, in denen ich früher war, dann sind die jetzt gerade sehr kohärent in ihrer Organisation." So wird Floyd zu einem Katalysator. Was sich in diesen Wochen von Minneapolis aus weltweit erhebt, ist eine Bewegung, die sehr viel mehr will als Gerechtigkeit für einen Toten. Auf den Straßen formiert sich das Bewusstsein einer Generation in politischer Aktion, die weiß, dass für sie sehr viel mehr auf dem Spiel steht, als bei ihren Eltern.

© SZ vom 10.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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