Angst in Berlin:Der Schüler wird zum Feind

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Die Lehrer einer Berliner Schule sind verzweifelt: Sie können sich nicht mehr durchsetzen. Und fürchten sich im Unterricht.

Constanze von Bullion

Es war ein Aufschrei, und er klang, als sei eigentlich schon alles zu spät. Die Rütli-Schule in Berlin-Neukölln versinkt im Chaos, viele Schüler treten Türen ein, bewerfen Lehrer mit Kraftausdrücken oder ignorieren sie einfach, und wenn sie sich nicht im Unterricht prügeln, spielen sie womöglich mit Papierkörben Fußball.

"In vielen Klassen ist das Verhalten geprägt durch totale Ablehnung des Unterrichtsstoffes und menschenverachtendes Auftreten", hat die kommissarische Schulleiterin Petra Eggebrecht Berlins Schulsenator Klaus Böger (SPD) geschrieben.

Ihr Hilferuf war unüberhörbar und sorgt nun für eine aufgeregte Debatte darüber, was los ist in den Hauptschulen der Hauptstadt.

Mal wieder ist das so, muss man sagen, denn es ist keineswegs das erste Mal, dass eine Schule in einem der sozialen Brennpunkte von Berlin in die Schlagzeilen gerät.

Vor ein paar Wochen erst brachte eine Berliner Direktorin die Türkische Gemeinde gegen sich auf, weil sie ein Deutschgebot auf dem Schulhof verhängt hatte.

Nasen und Möbel gehen zu Bruch

Es sollte dafür sorgen, dass Jugendliche mit unterschiedlichen Muttersprachen zu einer gemeinsamen Verkehrssprache finden - und damit zumindest auf einem minimalen gemeinsamen Nenner kommunizieren.

Auch an anderen Berliner Schulen hat man versucht, das aufzubrechen, was in den einschlägigen Kiezen der Stadt zur Selbstverständlichkeit geworden ist: Schulen mit bis zu 90 Prozent nicht-deutschen Kindern, in denen sich die Gewissheit breit macht, dass diese wenig bildungsbegeisterte Klientel ohnehin nichts mehr zu erwarten hat von der Zukunft.

Schließlich gibt es Zahlen, die das zu belegen scheinen. Etwa jeder vierte Hauptschüler schmeißt vorzeitig die Schule hin, bei Migrantenkindern sind es sogar 30 Prozent.

Lehrer beklagen sich über miserable Sprachkenntnisse, über aggressive Schüler und Eltern, die auch bei wiederholten Anrufen der Schule nicht ans Telefon gehen.

Das Lamento ist nicht neu, und es gibt Berliner Pädagogen, die es nicht mehr hören können. Siegfried Arnz ist so einer, er ist Schulleiter der Werner-Stephan-Hauptschule in Tempelhof, einer nicht übermäßig feinen Gegend. Lange war sein Haus als "Kanakenschule" verschrien, in der Nasen und Möbel schnell zu Bruch gingen.

Der Schulleiter aber hat nicht aufgegeben; er hat seine Schüler eine Art Gelübde auf die Schulgemeinschaft ablegen lassen. Sie verpflichten sich, Konflikte ohne Gewalt zu lösen, höflich zu sein und keine Drogen zu nehmen.

Wer gegen das Gelübde verstößt, wird scharf bestraft. Offenbar hat der Direktor da einen Nerv getroffen, denn das Schulversprechen wird von vielen als Ehrensache betrachtet. Und auch, wenn es keine Wunder bewirkt - aus einer kaputten Anstalt ist wieder ein Ort des Lernens geworden.

Ganz anders ist das Panorama, das sich an der Rütli-Schule in Berlin-Neukölln eröffnet, deren Kollegium jetzt so verzweifelt um Hilfe gerufen hat.

Auch in dieser Schule, die äußerlich ganz ansehnlich und frisch renoviert ist, stammen die Schüler zu mehr als 80 Prozent aus Migrantenfamilien, vor allem die Zahl der arabischstämmigen Jugendlichen nimmt zu, klagt die kommissarische Direktorin.

Das führe dazu, dass Jugendliche aus türkischen Familien sich mit diesen einen "Machtkampf um Anerkennung" lieferten. Es fehle auch jedes positive Vorbild, schlimmer noch: "Der Intensivtäter wird zum Vorbild."

Also melden sich jetzt mehr Lehrer krank als Schüler, die Stelle des Konrektors ist seit Jahren unbesetzt, offenbar will keiner mehr hierher.

Es gibt auch - nach Jahrzehnten in einem Viertel, das von überdurchschnittlich vielen Zuwanderern bewohnt wird - keinen einzigen Kollegen mit nicht-deutschem Hintergrund.

Nicht aufgeben

Nun gibt es immer mehr kritische Stimmen: Der CDU-Innenexperte im Bundestag, Wolfgang Bosbach, hält die Rütli-Schule für ein "besonders extremes Beispiel, aber keinen Einzelfall".

Der CDU-Kreisverband Neukölln moniert, die Schulaufsicht habe den Brief der Lehrer bereits vor einem Monat erhalten, aber nichts unternommen. Die Polizeigewerkschaft in Berlin kritisiert "viel zu lasche Konzepte" in schwierigen Stadtvierteln und einen "fortschreitenden Realitätsverlust der Politik".

Die kommissarische Schulleiterin immerhin möchte jetzt raus aus dem Teufelskreis. Sie sagt auch, sie habe nie gefordert, ihre Schule einfach zu schließen. Ein Missverständnis, sagt sie.

"Wir brauchen Hilfe, und die bekommen wir jetzt." Mehr dürfe sie nicht sagen, der Schulsenator habe ihr Redeverbot erteilt. Von einem Maulkorb für Lehrer will Senator Böger dagegen nichts hören.

Weder die Schule noch ihre Schüler würden aufgegeben, versichert er. Die Lehrer bekommen nun Verstärkung durch einen arabischen und einen türkischen Sozialarbeiter, und vor dem Schultor sollen Polizisten wachen, zumindest ein paar Tage lang.

Während er das sagt, werfen Schüler der Rütli-Schule angeblich ziegelsteingroße Steine auf Journalisten vor der Tür - um ihren Ruf zu verteidigen.

© SZ vom 31.3.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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