Angela Merkel:"Falsche Versprechungen überlasse ich Schröder"

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Merkel: Natürlich gibt es auch mit elf Ministerpräsidenten der Union einen Dialog-Prozess. Aber dennoch prägt uns eine gemeinsame Grundüberzeugung, die sich im Programm in dem Satz ausdrückt, dass bei der Verteilung der Mehrwertsteueranteile zwischen Bund und Ländern dem Ziel der Senkung der Lohnzusatzkosten von den Ländern Rechnung getragen wird. Aber das heißt nicht, dass ich einfach den Ländern den Befehl erteilen kann, dieses oder jenes zu machen. Das kann es bei unserer föderalen Ordnung und den Amtseiden, die unsere Ministerpräsidenten geschworen haben, nicht geben.

Merkel, ddp

Merkel will nicht von der "privilegierten Partnerschaft" für die Türkei abrücken.

(Foto: Foto: ddp)

SZ: Bei der Mehrwertsteuerdiskussion in der Union gab es offenkundig konträre Interessen. Der bayerische Ministerpräsident hat deutlich gemacht, dass er andere Schwerpunkte will - nämlich die Konsolidierung der Haushalte. Das hat Ihre Position konterkariert.

Merkel: Nein, mit der Zustimmung zu unserem Programm haben die Ministerpräsidenten gezeigt, dass sie sich dem Gesamtziel, die Lohnnebenkosten zu senken, verpflichtet fühlen.

SZ: Wenn Sie gewählt werden, haben Sie eine recht komfortable Situation, was die Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat angeht. Werden Sie gleichwohl die Föderalismusreform vorantreiben?

Merkel: Auf jeden Fall. In Zeiten der Globalisierung müssen wir zu schnelleren Entscheidungen kommen. Und wir müssen wieder klare Verantwortlichkeiten schaffen. Diese Notwendigkeit besteht unabhängig von unserer Bundesratsmehrheit. Deshalb gehört das Thema sofort wieder auf die Tagesordnung.

SZ: Was passiert, wenn es für Schwarz-Gelb nicht reicht?

Merkel: Damit befasse ich mich nicht. Ich kämpfe für dieses Ziel, und das ist erreichbar.

SZ: Sie haben bereits gesagt, dass es mit Ihnen keine große Koalition geben werde. Heißt das, Sie würden sie auch nicht machen, wenn es mathematisch für Sie die einzige Möglichkeit wäre, zu regieren?

Merkel: Ich habe gesagt, ich will keine große Koalition, und es wird sie auch nicht geben.

SZ: Es gab mal in Deutschland eine Zeit, da konnte man relativ freimütig über Schwarz-Grün reden.

Merkel: Ich sehe dafür keine Basis.

SZ: Warum?

Merkel: Wenn man sich anguckt, welche Schwerpunkte die Grünen in den letzten sieben Jahren gesetzt haben, kann ich zum Beispiel bei der Energiepolitik nicht finden, dass das sich für den Strompreis am Standort Deutschland günstig ausgewirkt hat.

SZ: Aber Sie wollen die Ökosteuer doch auch nicht mehr abschaffen, das würde doch passen.

Merkel: Die Ökosteuer würden wir am liebsten sofort abschaffen, aber wegen des maroden Haushalts, den Rot-Grün hinterlässt, geht dies nur langfristig. Wir halten die Ökosteuer nach wie vor für eine falsche Idee. Nehmen Sie ein anderes Beispiel: Bei der Innovationspolitik sind die Grünen ganz wesentlich für sehr schlechte Forschungsbedingungen im Land verantwortlich.

SZ: Werden Sie im Wahlkampf vor der Gefahr einer Zusammenarbeit von SPD, Linksbündnis und Grünen warnen?

Merkel: Für mich hängen SPD, PDS, WASG und Grüne sehr eng miteinander zusammen, und es geht darum, unsere Alternative zu zeigen.

SZ: Sie werden also im Wahlkampf sagen: Wenn der Schröder es rechnerisch kann, macht er es auch mit den Linken.

Merkel: Ob Herr Schröder oder irgend ein anderer in der SPD das Sagen haben wird - die SPD regiert in Berlin und in Mecklenburg-Vorpommern mit der PDS, und das kann ich auch im Bund nicht ausschließen.

SZ: Können Sie uns bitte erklären, was eine privilegierte Partnerschaft der EU mit der Türkei ist - über das hinaus, was schon besteht?

Merkel: Mit der privilegierten Partnerschaft hätte die Türkei Beziehungen zur EU, die sonst kein anderes Land außerhalb der EU hat. Was den wirtschaftlichen Bereich angeht, wird jetzt zwar immer auf das vorhandene Assoziierungsabkommen verwiesen. Aber das hat einen Nachteil, denn seine Bedingungen werden von der Europäischen Union bestimmt, und die Türkei kann zustimmen oder es sein lassen. Innerhalb der privilegierten Partnerschaft wäre die Türkei hier gleichberechtigt. Zweitens könnte man bei der Kooperation im Forschungsbereich sehr viele Dinge gemeinsam machen. Und ein dritter Punkt wäre die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, bei der man die Türkei mehr einbeziehen könnte.

SZ: Wie verhindern Sie angesichts der viel größeren Erwartungen, die sich mit dem Ziel der vollen Mitgliedschaft verbinden, dass in der Türkei bei so einem Angebot eine nachhaltige tiefe Frustration entsteht?

Merkel: Die größte Enttäuschung wäre doch, dass wir jetzt zehn oder fünfzehn Jahre mit der Türkei verhandeln, um dann in vielen europäischen Mitgliedsstaaten Volksbefragungen zu haben, bei denen es nach jetzigem Stand keine Mehrheit gäbe. Deshalb wäre es redlicher, das an Gemeinsamkeit mit der Türkei zu vereinbaren, was auch der Bevölkerung in den EU-Ländern vermittelt werden kann.

SZ: Zum Irak. Die SPD sagt: Mit der Union an der Macht stünden wir jetzt in Bagdad.

Merkel: Das ist falsch.

SZ: Ganz so stimmt das nicht, Frau Merkel. Im Jahr 2002 hat der damalige Fraktionschef Friedrich Merz nach einer Rede von George Bush im Bundestag gesagt, man dürfe ein militärisches Eingreifen im Irak nicht von vornherein ausschließen. Deutschland könne dazu "im Rahmen unserer Fähigkeiten einen Beitrag leisten". Das kann doch nur so verstanden werden, dass es um einen militärischen Beitrag ging?

Merkel: Deutschland hat mit Rot-Grün einen Beitrag dazu geleistet. Das ist etwas anderes, als Soldaten in den Irak zu schicken. Das hat es mit Herrn Schröder nicht gegeben und gibt es mit mir nicht.

SZ: Was hat denn dann Friedrich Merz mit der Formulierung gemeint: "im Rahmen unserer Fähigkeiten einen Beitrag leisten"?

Merkel: Zum Beispiel Überflugrechte für die Amerikaner, die die Bundesregierung gewährt hat.

SZ: Aber das kann doch nicht mit "Fähigkeiten" gemeint gewesen sein.

Merkel: Natürlich geht es darum. Im Übrigen dürfen wir nicht vergessen, dass die Kapazitäten der Bundeswehr mit unserem Engagement in Afghanistan sehr gefordert sind. Also noch einmal: Auch mit uns hätte es keine deutschen Soldaten im Irak gegeben.

SZ: Wo stünden wir denn jetzt heute, wenn damals die Politik in Ihrem Sinne ausgefallen wäre?

Merkel: Die Auseinandersetzung ging um die Haltung in der Uno. Ich war stets dagegen, von vorneherein eine Position ohne Spielraum festzulegen. Der Krieg im Irak wurde so jedenfalls nicht verhindert, und was uns gelungen wäre oder nicht, weiß niemand. Wo stünden wir heute, wenn 1998 Helmut Kohl gewonnen hätte? Solche Fragen lassen sich nicht beantworten. Sie sind reine Spekulation.

SZ: Sie werden doch sagen können, wozu Ihre Außenpolitik hätte führen können.

Merkel: Die Frage stellt sich anders: Was wäre passiert, wenn Deutschland erklärt hätte, dass es den Weg der UN- Resolution damals mitgegangen wäre, die besagte, dass es ernsthafte Konsequenzen geben würde, wenn Saddam Hussein bestimmte Forderungen nicht erfüllt? Hätte das Hussein beeindruckt und hätte die Spaltung Europas verhindert werden können? Hätte dann auch eine europäische Gemeinsamkeit bei den Amerikanern Eindruck gemacht? Wir wissen es nicht, die Spaltung Europas jedenfalls hat keines der Ziele erreicht, die Herr Schröder im Sinn hatte.

SZ: Aber was wäre sonst passiert?

Merkel: Hätte, wäre, wenn ist sinnlos. Ich muss und will den Blick nach vorn richten. Und da zählt für mich europäische Gemeinsamkeit im transatlantischen Verhältnis.

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