Altötting in Erwartung von Benedikt XVI.:Überm Kapellplatz vibriert der Himmel

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Alles ist nun bedacht für den Papstbesuch, auch wenn eine gewisse geistliche Eigenständigkeit die Harmonie mit dem Bischof etwas getrübt hatte.

Hermann Unterstöger

Kürzlich fand sich unter den Kleinanzeigen des Alt-Neuöttinger Anzeigers, zwischen der Ankündigung einer Konkursversteigerung und dem Angebot eines hydraulischen Muldenkippers alias "Japaners", eine ganz eigenartige Annonce.

"Unsere Leute müssen katechetisch gerüstet sein": Der Passauer Bischof Wilhelm Schraml in Altötting. (Foto: Foto: dpa)

"Allein den Betern kann es noch gelingen . . .", hieß es darin etwas vage, und es folgte die Frage, wer denn gewillt sei, in der neuen Anbetungskapelle zu Altötting zusammen mit der Inserentin die Hilfe des Herrn für alle Anliegen der Kirche herabzuflehen. Als Bedingungen waren genannt: "Gnadenzustand, Liebe, Beziehung zum eucharistischen Herrn."

Die Frau, die das Inserat aufgeben hat, zeichnet am Telefon kein gutes Bild von der Welt, insbesondere von der bayerischen.

München sei eine im Grund verworfene Stadt und werde im Endkampf, der längst ausgebrochen sei, einen schweren Stand haben: zu viele Singles, zu wenig Moral!

Doch auch in Altötting, wohin aus der Böblinger Gegend zu ziehen sie vor fünf Jahren den Ruf verspürt habe, stehe es nicht zum Besten: Die Eucharistie werde nicht mehr reinen Herzens gefeiert, und selbst alte Leute neigten dazu, moralisch zu verfallen.

Gefragt, was denn allein den Betern noch gelingen könne, antwortet sie: "Das Schwert abzuwenden", und insofern scheint der Papst gerade zur rechten Zeit zu kommen.

Nun ist der Blick dieser Frau auf Altötting ein sehr spezieller. Die oberbayerische Wallfahrtsstadt, die in Papst Benedikts XVI. Pastoralreise eine bedeutende, dank der Örtlichkeit und der persönlichen Reminiszenzen des Papstes wahrscheinlich sogar einzigartige Rolle spielen wird, zeichnet sich nicht zuletzt dadurch aus, dass sie auf Katholiken der strengen Observanz, Glaubensbündler und latent sektiererische Gruppierungen eine starke Anziehung ausübt.

Der gemeine Altöttinger sieht das mit der spöttischen Duldsamkeit, die der jahrhundertelange Umgang mit leicht "Spinnerten" ihn gelehrt hat.

Die Kirche kann sich damit nicht begnügen und hat deswegen eine Flexible-Response-Strategie ganz eigenen Zuschnitts entwickelt. "Unsere Leute", sagt der Passauer Bischof Wilhelm Schraml, "müssen katechetisch gerüstet sein", also dem Unfug mit Wissen begegnen können, und Stadtpfarrer Günther Mandl plädiert dafür, die Mitte so breit zu halten, dass eins schon sehr extrem sein müsse, um nicht mehr dazuzugehören.

Passau - aa net aus der Welt

Um offen zu sein, so ist die Frage, wo die Mitte aufhört und die Häresie beginnt, derzeit nicht das Hauptproblem der Altöttinger.

Was ihre Duldsamkeit in diesen Monaten vor der päpstlichen Visite weit mehr in Anspruch nahm, ist eine Definitionsfinesse, die sich zunächst völlig unerheblich anhört und dennoch geeignet war, das Einvernehmen zwischen Hirt und Herde zu trüben, wobei mit dem Hirten Gott behüte nicht der Papst gemeint ist, sondern Bischof Schraml.

Diese Feinheit besteht darin, dass der Bischof auf dem Standpunkt steht, der Papstbesuch gelte seinem Bistum, der Diözese Passau, wohingegen es nach der überwiegenden Altöttinger Volksmeinung ihre Stadt ist, in die es den aus dem nahen Marktl stammenden Heiligen Vater vornehmlich zieht. Andernfalls, sagen sie, hätte er ja nach Passau fahren können - "is doch aa net aus der Welt".

In der Sache hat der Bischof Recht. Wenn trotzdem atmosphärische Eintrübungen aufkamen, dann deswegen, weil es die Altöttinger gewohnt sind, aufgrund ihrer 500-jährigen Wallfahrt so etwas wie geistliche Eigenständigkeit für sich in Anspruch zu nehmen, und weil der Passauer Bischof in kommunikativen Dingen oft eine unglückliche Hand hat.

Aus diesem Grund denken die Altöttinger, bei aller Hochschätzung für den jetzigen Wallfahrts-Administrator Alois Furtner, gelegentlich mit Wehmut an dessen Vorgänger Robert Bauer zurück.

Der hätte, sagen sie, Einmischungen aus Passau mit einem "Was will denn der Lausbua!" zurückgewiesen und sich diesen Ton auch leisten können, weil er ein derart gesegnetes Alter erreichte, dass ihn wahrscheinlich alle Geistlichen der Diözese, die Bischöfe eingeschlossen, an der Passauer Philosophisch-Theologischen Hochschule einst als Lehrer gehabt hatten.

Ein Nachklang dieses rauen Tones war kürzlich zu vernehmen, als der Bischof mit kleinem Tross in Altötting weilte, um der Presse die Aufbauten rund um den Papstaltar vorzustellen.

Das wurde eine schon deswegen gelungene Veranstaltung, weil sich Bischof Schraml einen Helm der mit diesen Arbeiten betrauten Baufirma, der "Multi Service Group" Bilfinger Berger AG, auf den Kopf setzen ließ und einige vorher angeheftete Nägel vollends in die rückwärtige Holzwand des Gewerks schlug, übrigens mit einem für katholische Bischöfe nicht alltäglichen Geschick.

Nichtsdestoweniger hatte sich sein Generalvikar Klaus Metzl beim Gang über den Kapellplatz von einem Passanten ein harsches "Ihr spinnt's ja alle mitanand!" anhören müssen, darauf aber nicht reagiert, möglicherweise weil er einst Kaplan in Altötting war und weiß, dass der Ärger über die Institution Kirche auch hierorts nicht an deren Glaubensgrundfesten geht.

Apropos Grundfesten: Es entbehrt nicht einer gewissen Tragik, dass der Dissens auf einer Glaubenssache beruht, über deren Stichhaltigkeit sich die Parteien im Kern einig sind, nämlich dass die Marienverehrung kein Wert für sich sein darf, sondern zu Jesus hinführen muss.

Die Devise Per Mariam ad Jesum war im Wallfahrtsort vielleicht manchmal im Hintergrund, aber nie strittig, und wenn Pater Willehald selig, ein ebenso frommer wie stimmgewaltiger Kapuziner, den Sodalen der Marianischen Männerkongregation zum Ende seiner Predigten ein schier endzeitliches "Durch Maria zu Jesus!" einhämmerte, zogen sie die grauen Köpfe ein, nickten zustimmend und sagten zueinander: "Mei Liaba, heut hat er's uns aber wieder gebn."

Zufriedener Liebfrauenbote

Um den Maria/Jesus-Bezug sinnfälliger zu machen, beschloss nun der Bischof, die Altöttinger Schatzkammer in jene Anbetungskapelle umzuwandeln, in der auch die eingangs genannte Beterin künftig zu wirken gedenkt.

Die Schatzkammer, ein Anbau der Stiftspfarrkirche, beherbergte bisher allerlei wallfahrtsbezogene Preziosen, darunter das traumhaft schöne und unschätzbar wertvolle "Goldene Rössl", eigentlich ein Marienaltärchen. Es ist den Altöttingern wie sonst kaum etwas ans Herz gewachsen, und so erhob sich denn ein heftiges Murren wider Passau.

Geholfen hat es nichts, denn der Bischof ist der Hausherr. Weil er überdies mit dem theologisch wasserdichten Argument operierte, dass der eucharistischen Anbetung das Vorrecht vor der Kunst zukomme, war schwer dagegenzuhalten, wollten die Gegner sich nicht dem Verdacht aussetzen, laue Christen zu sein.

Sie zogen sich denn auch auf den Standpunkt zurück, dass es gerade in Altötting an Orten der Anbetung nicht fehle, doch hebelte Passau das aus mit dem in der Tat schönen örtlichen Bezug: hier die Kapelle der Muttergottes, dort, nur etliche Meter weg, die neue Stätte der Anbetung ihres Sohnes.

Damit war, wie man landläufig sagt, der Käse gebissen. Dennoch liegt selbst in diesen letzten Tagen vor der Ankunft des Papstes noch so etwas wie ein Surren in der Luft. Obwohl die Anbetungskapelle ein Schmuckkästchen geworden ist und auch für den Kapellschatz inklusive Rössl würdige Präsentationsmöglichkeiten in Aussicht stehen, schwelt eine Verstimmung weiter, wie sie zwischen geistlichen Institutionen nicht sein müsste.

Die Rede ist vom Altöttinger Liebfrauenboten, einer altehrwürdigen katholischen Wochenschrift, deren Chefredakteur Peter Becker den Schatzkammerstreit so beherzt aufgriff, wie ihm das als einem Christen, Altöttinger und Kunstliebhaber geboten zu sein schien.

Das missfiel dem Bischof derart, dass er dem Journalisten übereck allerlei Rüffel zukommen ließ, was diesen wiederum bewog, dem Bischof einen Brief von sechs Seiten zu schreiben, den geharnischt zu nennen man nicht umhinkann.

Darin wurde unter anderem erörtert, warum die Schatzkammer ein durchaus "religiöses Institut" sei, die Passauer Rüge hingegen eine "degoutante Kampagne".

Tausend Meter Bütten

Wie es der Zufall - andere würden sagen: der Himmel - will, ist Becker und seinem Blatt nun von höchster Stelle Genugtuung widerfahren. Benedikt XVI. hat nie ein Hehl daraus gemacht, dass der den Liebfrauenboten gerne und mit Gewinn liest, und Peter Becker hat sich für diese exquisite Leser/Blatt-Bindung erst kürzlich damit bedankt, dass er, als die Altöttinger dem Papst die Ehrenbürger-Urkunde nach Rom brachten, seinerseits eine kleine Dokumentation beisteuerte, aus der hervorging, dass sich Vater und Mutter Ratzinger durch eine Heiratsannonce im Boten kennen gelernt hatten.

Kurz danach kam aus Rom ein Anruf, den wiederzugeben Becker so schnell nicht müde wird. Am Apparat war zwar nicht der Papst selbst, wohl aber dessen Sekretär Georg Gänswein. Der Papst, sagte er, sei untröstlich, dass der Bote nicht regelmäßig bei ihm ankomme, sondern immer wieder in den Weiten des vatikanischen Bürobetriebs versande.

Ob er, Becker, das Blatt der Zustellsicherheit halber nicht an Gänswein persönlich schicken könne? Welche Frage!

Der andere Kasus, dessentwegen die Altöttinger Luft vibriert, ist die Gesangsfrage. Altötting war immer auch stolz auf seine alte und respektable Musikkultur, ein Vermögen, für das die Gestaltung päpstlicher Feiern keine ernsthafte Herausforderung gewesen wäre.

Zum heute noch nagenden Bedauern der Sänger und Instrumentalisten stach auch bei diesem Spiel der Diözesantrumpf, mit dem Effekt, dass das Passauer Kirchenmusik-Referat die Sache an sich zog und bestimmte, was von wem zu singen sein würde.

Nicht dass die Altöttinger Musiker völlig verdrängt worden wären, das gewiss nicht, aber die, die in dem aus der ganzen Diözese rekrutierten Chor nicht zum Zug kommen, fühlen sich verkannt, wenn nicht mehr.

Umso größere Stücke halten sie neuerdings auf Gerold Tandler, den Altöttinger "Post"-Wirt, früheren CSU-Politiker und Kapellchor-Sänger, der in der Passauer Neuen Presse aussprach, was sie selber auch oft und oft sagen: "Das ganze Jahr über sind sie gut genug, und dann dürfen sie hier nicht dabei sein."

Tandlers Papsttreue tut das keinen Abbruch. Seit einigen Tagen steht im Bistro "Gabriel in der Post", einem neuen Etablissement seines Hotels, eine Art Holztisch mit eingebauter Papierrolle, tausend Meter Büttenpapier, das jedermann mit einem Gruß an den Papst beschreiben darf.

Im Übrigen herrscht in Altötting Gelassenheit. Vor zwei Wochen war der Bayerische Rundfunk in der Stadt, um eine päpstlich grundierte Folge der Reihe "Bayerntour" aufzunehmen.

Carolin Reiber, die für ihr rollendes "R" berühmte Moderatorin, passte sich zunächst den schwarzen Wolken über dem Kapellplatz an und sprach mit düster gesenkter Stimme, die ihr, wenn sie den Papst erwähnte, schier zu ersterben drohte.

Danach kam die Sonne heraus, und da wurde es auch auf dem Podium wieder fast fidel. Der Journalist Hannes Burger, der ein Gutteil seiner Jugend hier verbracht hatte, zeigte sich auf der Höhe seines Unterhaltertalents, als er erzählte, er selbst habe einst Priester werden und frischen Wind in die Kirche bringen wollen, doch sei der Gegenwind zu stark gewesen.

Ansonsten hätte er, wenn man ihn so frage, durchaus auch Papst werden können.

Für Bürgermeister Herbert Hofauer, dessen Sohn schon Benedikt hieß, als an einen Papst Ratzinger noch nicht zu denken war, sind diese Aufnahmen ein Termin unter vielen, und je mehr er davon absolviert, desto souveräner verkauft er sich und seine Stadt.

Auf Carolin Reibers mütterlich besorgte Frage, ob er denn gut schlafe, antwortet er: "Durchaus", und dass beim Stand der Vorbereitungen der Papst eigentlich jetzt schon kommen könne.

Gesprächsweise hört man am Ort nicht selten, dass Hofauer so etwas wie die alten Wanderkaiser sei, nur dass er eben nicht von ständig wechselnden Pfalzen aus regiere, sondern von Fatima, Lourdes, Loreto, Mariazell und Tschenstochau aus, jenen Wallfahrtsorten also, die sich mit Altötting zu den "Shrines of Europe" zusammengetan haben.

Tatsächlich hat er diesen seinen Wandertrieb gut im Griff, und über die Menge der im Rathaus geleisteten Arbeit gibt er im Internet Auskunft, in einem Tagebuch, das derzeit öfter denn je den Eintrag "Planungsstab Papstbesuch im großen Sitzungssaal" aufweist.

Licht zum Sonnenuntergang

Als 1980 Papst Johannes Paul II. nach Altötting kam, bereiteten sich die örtlichen Gastronomen, Bäcker und Metzger so gründlich darauf vor, dass sie auf ihren Sachen sitzen blieben, weil die Pilger meist mit eigenen Brotzeiten anreisten.

Das hatte etwas leicht Tragikomisches, insbesondere als ein mittlerweile verstorbener Bäckermeister angesichts unverkaufter Semmelberge ausrief: "Also, der Papst braucht ma nimma kemma!" Sitzt man in Hofauers Büro, um sich über die Organisation schlau zu machen, hat man das Gefühl, dass es diesmal glimpflicher abgeht.

Zwar dürfen die Leute nichts dabeihaben, was zum Wurfgeschoss taugt, weder Regenschirme noch Thermoskannen, und den Vereinen hat man - in Altbayern! - auch untersagt, ihre gefährlichen Fahnen zu den Gottesdiensten mitzubringen.

Ansonsten aber wollen die Sicherheitsbehörden ihr Regiment mit so viel Augenmaß führen, dass die familiäre Atmosphäre, die der architektonisch so herrlich geschlossene Kapellplatz immer schon hervorzubringen verstand, nicht übers Notwendige hinaus gestört wird.

Ist alles bedacht? "Durchaus", antwortet Hofauer auch darauf und wirft seinen Computer an. Das Organigramm der Vorbereitungen sieht aus wie ein weitverzweigter Baum, und von jedem Ast gehen wieder Zweige ab, Links zu diesem und jenem, und sogar der Sonnenuntergang am Papsttag ist eingespeist, damit die Lichter rechtzeitig angehen.

Am 11. September findet er um 18.46 Uhr statt, da ist der Papst laut Plan schon eine Minute in Marktl, seinem Geburtsort.

Mit mehr Recht als andere könnten die Bayern sagen: Wir sind Papst. Welch launige Eleganz bei so einer Identifizierung obwalten kann, zeigt der Altöttinger Schmiedemeister Josef Borst, der "Borst Schmied", wie er allgemein genannt wird.

Fast gleichzeitig seien sie zur Welt gekommen, sagt er, der Papst und er, und das im gleichen Landkreis.

Beide seien sie in die Oberschule gegangen, beide zur selben Zeit Luftwaffenhelfer geworden, beide vom Ami gefangen worden und beide nach der Entlassung auf einem Milchwagen nach Hause gefahren. "Danach", schließt Borst, "danach hat es sich allerdings auseinander entwickelt."

© SZ vom 5.9.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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