Altersversorgung:Ja. Nein. Vielleicht

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Die Koalitionsspitzen beschließen ein paar Eckpunkte zur Rente. Am Tag darauf präsentiert Arbeitsministerin Nahles ihre viel weitergehenden Vorstellungen. Worauf man sich nun einstellen muss.

Von Thomas Öchsner, Berlin

Es hat nur eine Nacht gedauert, und schon ist in der Regierungskoalition ein neuer Streit ausgebrochen. Donnerstagabend hatten sich Union und SPD bei einem Spitzentreffen geeinigt, den Rentenwert Ost auf das Westniveau anzuheben. Doch am Tag danach war bereits wieder unklar, wer die ganze Sache bezahlen soll. Darüber werde man nun noch einmal sprechen, hieß es am Freitagnachmittag in Koalitionskreisen. Zuvor hatte Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles ihr Rentenkonzept vorgestellt und verkündet: "Es ist das umfassendste Programm gegen Altersarmut, das jemals vorgelegt wurde". Was alles darin steckt, aber zunächst kein Gesetz wird, was die Koalitionsspitzen noch beschlossen haben und vermutlich tatsächlich umgesetzt wird - ein Überblick. Rente Ost, Rente West: Von 2025 an soll ein einheitliches Rentenrecht in ganz Deutschland gelten. Derzeit beläuft sich ein Rentenpunkt im Osten auf 28,66 Euro, im Westen auf 30,45 Euro. Ein Durchschnittsverdiener (im Westen derzeit 3022 Euro brutto pro Monat) sammelt in 45 Arbeitsjahren 45 Rentenpunkte. Der Rentenwert im Osten wird nun in sieben Schritten zwischen 2018 und 2024 an den Westwert angeglichen. Union und SPD sind sich einig, dass die Angleichung fünf Jahre später als im Koalitionsvertrag vorgesehen erfolgen soll. Die vier Millionen Ost-Rentner erhalten dann jeweils zum 1. Juli einen Aufschlag bei der jedes Jahr fälligen Anpassung der Rente. Zugleich wird ein Vorteil abgebaut, von dem alle sechs Millionen Arbeitnehmer im Osten profitieren: Ihre Löhne werden bei der Berechnung der Rente nicht mehr aufgewertet, wodurch sie für das gleiche Geld mehr Rentenpunkte sammeln können. Auch dies kommt schrittweise. Nach Angaben von Nahles sollen die Kosten von in der Endstufe 3,9 Milliarden Euro jährlich aus Steuermitteln bezahlt werden. Dem widersprach ein Sprecher von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU). Schäuble dringt weiter darauf, dies aus der Rentenkasse zu finanzieren.

Rente für Erwerbgeminderte: Für Neurentner, die aus gesundheitlichen Gründen frühzeitig aus dem Arbeitsleben ausscheiden müssen, wird die Erwerbsminderungsrente verbessert. Auch das ist fest beschlossen. Derzeit unterstellt die Rentenversicherung bei den Betroffenen, dass sie bis zu ihrem 62. Lebensjahr gearbeitet hätten, auch wenn sie viel früher arbeitsunfähig wurden. Nun wird diese Zurechnungszeit zwischen 2018 und 2024 auf 65 Jahre verlängert. Dadurch erhöht sich die monatliche Rente um etwa 50 Euro durchschnittlich. Die Erwerbsminderungsrente beträgt im Durchschnitt 730 Euro jährlich. Die schrittweise steigenden Kosten, in der Endstufe sind das drei Milliarden Euro im Jahr, werden aus der Rentenkasse bezahlt.

Riester-Rente: Derzeit gewährt der Staat eine Grundzulage von 154 Euro im Jahr für die geförderte private Altersvorsorge. Diese wird von 2018 an auf 165 Euro erhöht.

Freibetrag in der Grundsicherung: Wer auf die staatliche Hilfe im Alter oder wegen einer Erwerbsminderung angewiesen ist, muss das Geld bislang mit einer privaten oder betrieblichen Zusatzrente verrechnen. Das macht die eigene Vorsorge für den Ruhestand weniger attraktiv. Beschlossene Sache ist daher ein Freibetrag. Dazu heißt es im Rentenkonzept von Nahles: "Freigestellt wird ein Sockelbetrag von 100 Euro sowie ein weiterer Betrag in Höhe von 30 Prozent der übersteigenden Einkünfte aus einer zusätzlichen Altersvorsorge." So ließen sich gut 200 Euro im Monat als Freibetrag geltend machen.

Betriebsrenten: Das Konzept von Nahles und Schäuble will die Koalition rasch im Bundestag verabschieden. Es soll 2018 in Kraft treten. Ein Kernpunkt: Arbeitgeber sollen einen Zuschuss vom Staat von 72 bis 144 Euro erhalten, wenn sie für Geringverdiener mit einem Bruttolohn von bis zu 2000 Euro 240 bis 480 Euro jährlich in die betriebliche Altersvorsorge einzahlen.

Rentenniveau: Derzeit liegt es nach 45 Beitragsjahren bei 48 Prozent des Durchschnittslohns, vor Abzug von Steuern. Sinkt das Niveau, steigen die Renten langsamer als die Löhne. Bis 2045 könnte es auf unter 42 Prozent rutschen. Vorgeschrieben ist bislang, dass es bis 2020 nicht unter 46 und bis 2030 nicht unter 43 Prozent fallen darf. Nahles schlägt nun eine neue Haltelinie von 46 Prozent über das Jahr 2030 hinaus vor. Zugleich will sie den Beitragssatz von derzeit 18,7 Prozent nicht über 25 Prozent steigen lassen. Die Ministerin will dies durch einen "Demografiezuschuss" aus Steuermitteln finanzieren. Dieser würde 2030 bei gut vier Milliarden Euro liegen. 2040 wären es knapp acht Milliarden Euro. Die Union sieht hier aber keinen akuten Handlungsbedarf, obwohl CSU-Chef Horst Seehofer im Frühjahr die Debatte über das sinkende Rentenniveau befeuert hatte. Nahles sagte dazu, hier sei "eine Chance verpasst worden".

Selbständige: Diejenigen, die nicht anderweitig versorgt sind, sollen sich künftig in der gesetzlichen Rentenversicherung absichern. Die Union ist auch für eine Vorsorgepflicht, will ihnen dagegen selbst überlassen, wie sie für den Ruhestand vorsorgen. Nahles sieht bei ihrem Modell Ausnahmen und Übergangsregeln vor. Wer bereits mindestens 40 ist, wird von der Pflicht nicht erfasst. Gründer können sich im ersten Jahr von den Beiträgen befreien lassen. Läuft das Geschäft schlecht, lässt sich der Beitrag reduzieren. Die nächsten 30 Jahre würde die Vorsorgepflicht die Finanzlage der Rentenversicherung verbessern, danach käme es zu Mehrausgaben.

Solidarrente: "Wer ein Leben lang gearbeitet hat, Kinder groß gezogen und Angehörige gepflegt hat, muss im Alter mehr haben, als derjenige, der nicht gearbeitet hat, auch wenn er mal arbeitslos war", sagt Nahles. Um dies sicherzustellen, plädiert sie für eine neue Solidarrente. Anspruch haben darauf Geringverdiener, die trotz jahrzehntelanger Beitragszahlungen nur auf eine Rente unterhalb der Grundsicherung kommen. Deren Rente will Nahles so erhöhen, dass der ausgezahlte Betrag zehn Prozent über dem regional sehr unterschiedlichen Grundsicherungsbedarf liegt. Die Bedürftigkeit des Rentners wird dabei nicht geprüft. Allerdings wird das Einkommen des Partners gegengerechnet, soweit dies 1600 Euro monatlich übersteigt. Auch darüber will die Koalition noch einmal reden.

Das Echo auf die Vorschläge und Beschlüsse war geteilt. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hält es für "gut, dass in die Frage des Rentenniveaus Bewegung gekommen ist". Der DGB, die IG Metall und Verdi wollen aber eine höhere Haltelinie. Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer nannte die Pläne von Nahles "langfristig nicht finanzierbar".

© SZ vom 26.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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