Als Karadzic Präsident war:Der Krieg des Bauern gegen die Stadt

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Radovan Karadžić führte seinen Feldzug immer so lange mit brutaler Härte, bis die Nato und die Welt mit einem großen Gegenschlag drohte. Ein Besuch vor 13 Jahren bei dem Präsidenten der Republika Srpska.

Andrian Kreye

Als die Tür mit einem lauten Schlag aufsprang, verstummten alle. Sonja stand im Raum, die Tochter des damals amtierenden Präsidenten der Republika Srpska, Radovan Karadžić. Sie bebte vor Wut, brüllte im Kommandoton auf Serbisch. Eine ewige Minute lang brüllte sie, dann schlug die Tür zu ihrem Arbeitszimmer wieder zu.

Er war als verarmter Bauernbub aus den Hügeln von Montenegro als Fünfzehnjähriger nach Sarajewo gekommen: Radovan Karadzic. (Foto: Foto: dpa)

Die Dolmetscherin blickte zu Boden und flüsterte: "Frau Karadžić bittet darum, die Heimreise zu erwägen." Da konnte sich Drago aus Belgrad nicht mehr halten. Er schüttelte sich vor Lachen und sagte dann auf Englisch: "Die bittet um gar nichts. Sie hat gesagt, wenn es dir nicht passt hier, dann sollst du ihr einen lutschen, oder dich zurück nach Belgrad verpissen."

Dort hatte die Reise begonnen. Wie für alle Journalisten mit Warten. Es war der August 1995 und es herrschte Krieg. Den führte an diesem Punkt vor allem die Republika Srpska - gegen Sarajewo, die Nato, die UN, die Welt. Die Republika Srpska war nicht mehr als eine Ansammlung von Kleinstädten und Dörfern, mit dem Auto von Belgrad in wenigen Stunden erreichbar, und eines dieser Dörfer in den Bergen über Sarajewo, Pale, hatte Radovan Karadžić zur Hauptstadt seiner Serbenrepublik erklärt, die niemand auf der Welt anerkennen wollte.

Nicht einmal die Serben in Belgrad. Selbst die Grenzposten an der Brücke über die Drina lachten sarkastisch, als sie die Visa überprüften und ein trotziges "Willkommen in der Republika Srpska!" riefen.

Die Fahrt dauerte wirklich nicht lange. Drago war der einzige gewesen, der bereit war, Fotograf Nikos und mich nach Pale zu bringen. Eine Fahrt durch eine Landschaft, die an die Voralpen erinnerte. Selbst hinter der Brücke über die Drina war der Krieg nicht zu sehen.

Erst hinter Kilometer Fünfzehn begann das Grauen. Die menschenleeren Moslemdörfer, die Mauern der zerstörten Häuser mit den Brandmalen und Einschüssen. Kreidezahlen waren neben die Türen gemalt. Die markierten die Zahl der Opfer.

Am Berg Trebevic endete die Straße. Ein Wegweiser zeigte nach rechts: Sarajewo; nach links: Pale. Hinter dem Felskamm konnte man den zerschossenen Fernsehturm der belagerten Stadt sehen. In der Ferne hörte man das dumpfe Böllern der Artillerie.

Pale lag in einem hübschen Talkessel. Früher kamen die Menschen aus Sarajewo zum Skifahren hierher. Die Leute hier oben hielten sie für dumme Bergbauern. Nun waren die Hotels und Geschäfte geschlossen, die Straßen voller Militärfahrzeuge und Soldaten, nur der Markt war geöffnet. Bei einem Skilehrer konnte man unterkommen, der hatte noch Fremdenzimmer. Mit Blick auf den Granattrichter im sonst so gepflegten Garten.

Sonja Karadžić war für Gäste aus dem Ausland die erste Adresse. Sie residierte in einer hübschen Villa mit Garten. Sie fungierte als eine Art Informations- und Außenministerin. So genau wusste man das nicht, denn Radovan Karadžić hatte so viele Positionen mit Familie und Freunden besetzt. Seine Frau Ljiljana leitete das örtliche Rote Kreuz. Seine Tochter das Pressebüro. Nur sein Sohn Sascha war ein Nichtsnutz, der seinen Vater mit Saufgelagen in griechischen Feriendiscos blamierte.

Es herrschte angespannte Stimmung an diesem ersten Nachmittag in der Villa in Pale. In Sarajewo hatte eine Granate auf dem Marktplatz eingeschlagen. 37 Tote, viele Verletzte. Noch am gleichen Nachmittag sollte die Nationalversammlung der Republika Srpska tagen, im offiziellen Parlamentsgebäude, dem Hotel Bistrica, weit oben im Skiparadies Jahorina. Scharfe Serpentinen ging es durch die dichten Nadelwälder hinauf. Während der Olympischen Winterspiele im Jahr 1984 hatte man hier die Abfahrtsrennen der Frauen ausgerichtet.

Das Hotel Bistrica war ein asymmetrischer Betonbau mit orangefarbenen Wandelementen und einem großen Mehrzwecksaal, in dem die Nationalversammlung tagte. Soldaten standen mit Sturmgewehren auf den Sonnenterrassen. Auf den Sofas in der Lobby lümmelten sich grobschlächtige Kerle in Tarnjacken.

Es dauerte nicht lange, da liefen die Abgeordneten ein. Sie fuhren Kleinwagen und Golfs. Viele von ihnen trugen Strickjacken und Anoraks. Sonnenbrillen der Marke Ray Ban waren beliebt. Andere trugen Uniform, nur die Intellektuellen, die früher in Sarajewo gelebt hatten, die trugen Anzug und Krawatte.

Der Parlamentssaal unterschied sich nicht weiter von Konferenzräumen in anderen Dreisternehotels. Die Tische und Stühle waren wie in einem Hörsaal aufgereiht, vorne der Tisch der Vorsitzenden vor dem Staatswappen der Republika Srpska mit dem doppelköpfigen Adler auf rotem Grund. Dort nahm Momcilo Krajisnik Platz, der Sprecher der Nationalversammlung, ein mürrischer Herr mit tiefliegenden Augenbrauen. Es hieß er spekuliere auf Karadzics Job. Die Versammlung war rasch vollständig, nur Präsident Karadzic ließ sich Zeit.

Schweren Schrittes betrat er Minuten später die Lobby, umringt von Leibwächtern. Ohne Eile baute er sich vor der Kamera des bosnisch-serbischen Senders auf. "Wir können nicht verstehen, dass die Moslems ihre eigenen Leute umbringen", sagte er. Dabei schnarrte seine Stimme, die immer gleich arrogant und gelangweilt klang. Man habe mit dem Anschlag auf den Marktplatz nichts zu tun, sagte er.

Die Granate hätten die Muslime selbst in die Menge geschossen, um die Nato zum Handeln zu zwingen. Er wusste, dass seine Zuschauer verstanden. Seit Wochen flogen die Artilleriegranaten nun schon über die Bergkämme und schlugen in Pale ein. Der nächste Schritt konnte nur ein Luftangriff sein.

Dann stand er noch eine Minute da, das silbergraue, mittelgescheitelte Haar zu einer eitlen Mähne aufgebauscht. Wie ein Intellektueller, ein Dichter, Psychiater und kluger Kopf, als den man ihn beschrieb, wirkte er nicht. Sein Gesicht war grob, mit kantigem Kiefer. Man erkannte die einfache Herkunft. Er war ja nicht einmal ein Serbe.

Er war als verarmter Bauernbub aus den Hügeln von Montenegro als Fünfzehnjähriger nach Sarajewo gekommen. Er hatte Dichter werden wollen, studiert dann Psychologie. Und während die Universitätsstadt Sarajewo in den sechziger Jahren wie der Rest der Welt in der Aufbruchsstimmung der Hippiejahre schwelgte, blieb er der ärmliche Junge vom Land, der immer den gleichen Pulli trug. Erst als er seine Frau Ljiljana heiratete, schaffte er den Aufstieg. Die war aus allerbestem Hause.

Ganz ließ ihn seine Herkunft nie los. In den achtziger Jahren musste er ins Gefängnis. Später hieß es, die Kommunisten hätten ihn als Demokraten eingesperrt. Doch das war nicht ganz richtig. In Wahrheit hatte er als hochrangiges Parteimitglied siebzigtausend Dollar Subventionen abgezweigt, um in Pale eine Hühnerfarm zu bauen.

An diesem Augusttag trug Karadžić Anzug und Krawatte statt Uniform. Reine Taktik: An diesem Tag musste er zivile Einsicht simulieren. Und so verkündete Karadžić, man sei bereit zu verhandeln. Zwölf Stunden tagte die Nationalversammlung. Immer wieder sprach man von Verhandlungsbereitschaft. Auch Taktik: Karadžić führte seinen Feldzug immer so lange mit brutaler Härte, bis die Nato und die Welt mit einem großen Gegenschlag drohte. Dann steckte er zurück.

Am Abend höhnte der Nachrichtensprecher des bosnisch-serbischen Fernsehens noch: "Wenn wir weiter so siegreich sind, wir das viele Leichengift im Boden noch zum Umweltproblem." Und doch war die Stimmung gekippt. So brüllte Sonja Karadzic bei unserem Hinauswurf auch noch: "Da draußen wird auf uns geschossen, und sie beschweren sich bei mir über die Fotozensur?!"

Wir waren gerade in Belgrad angekommen, als CNN vom Gegenschlag berichtete. Mächtige Rauchpilze stiegen auf über Pale. Radovan Karadžić verkündete am gleichen Abend noch Kampfwillen: "Dies ist der Beginn des dritten Weltkrieges."

Seine Tochter Sonja nahm sämtliche Ausländer in Pale in Haft. Zwei Wochen lang dauerte das Bombardement - der größte Luftangriff in der Geschichte der Nato. Und der Wendepunkt des Krieges. Im folgenden Sommer verschwand Karadzic. Was bis vor zwei Tagen niemand wusste: nach Belgrad.

© SZ vom 23.07.2008/woja - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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