Al-Qaida:Iraks Krieger exportieren den Terror ins Ausland

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Al-Qaida bekommt Zulauf von radikalen Dschihad-Anhängern. Experten machen diese Kämpfer für Terroraktivitäten in Nordafrika, in den Palästinensergebieten und im Libanon verantwortlich.

Tomas Avenarius

Der Kriegsschauplatz Irak hat als Exportnation wenig zu bieten. Die Ölförderung liegt am Boden, die Industrie auch. Ein "Produkt" aber verlässt das Land: gewaltbereite Militante. Erste Wellen Kampferfahrener schwappen aus Bagdad, Falludscha oder Mosul zurück in die Heimatländer der "Dschihadis". Die New York Times zitierte Experten, die diese Kämpfer für islamistische Terroraktivitäten in Nordafrika, in den Palästinensergebieten und im Libanon verantwortlich machen.

Der Re-Export der Dschihadis passt in die Al-Qaida-Strategie. Osama bin Ladens Vize Aiman al-Zawahiri propagiert neben dem Krieg gegen den "fernen Feind" USA den Kampf gegen den "nahen Feind" in Form autoritärer Regime in Nahost und Nordafrika wie etwa in Algerien. Nachdem der Bürgerkrieg dort fast beendet zu sein schien, scheint er durch neue Kämpfer befeuert zu werden.

Auch im Konflikt um die Palästinenserlager im Libanon spielen Irak-Rückkehrer eine Rolle. Die "Fatah al-Islam", die seit einer Woche im libanesischen Palästinser-Flüchtlingslager Nahr al-Bared gegen die libanesische Armee kämpft, wird von einem Mann aus dem Al-Qaida-Netz geführt.

Shakr al-Absi nennt sich einen Gefolgsmann von Bin Laden. Er ist ein Weggefährte von Abu Mussab al-Sarkawi. Der frühere Chef der al-Qaida im Irak wurde vor neun Monaten bei einem US-Luftangriff getötet.

Pnänomen Dschihad-Export ist nicht neu

Im Libanon haben sich die ehemaligen Irak-Kämpfer offenbar gezielt über Monate hinweg in sunnitischen Gebieten des Libanon und im Schutz der Palästinenserlager eingenistet. Das Phänomen Dschihad-Export als solches ist aber nicht neu.

Nach Ende des AfghanistanKriegs gegen die Sowjets 1989 kehrten Tausende "arabische Mudschahedin" zurück in ihre Heimatstaaten. Der Al-Qaida-Experte Abdel Bari Atwan beschreibt in seinem Buch "The secret history of al-Qaida" die Verbindungen zwischen Afghanistan-Kämpfern und Bin-Laden-Weggefährten.

Vom Krieg radikalisiert, bildeten diese Dschihadis eine transnationale Untergrundszene, in der Kämpfer jederzeit abrufbar waren, sei es für gelegentliche Anschläge oder für einen Untergrundkrieg gegen die autoritären Regime in ihren Staaten wie Ägypten, Saudi-Arabien, Algerien oder Jordanien. Viele zogen später in die Kriege nach Bosnien oder Tschetschenien. Von dort kehrten sie zusammen mit einer weiteren Generation jüngerer Kämpfer in ihre Heimat zurück.

Dasselbe wiederholt sich nun im Irak. Ein Beispiel sind die Palästinensergebiete. Jahrzehntelang hatte die säkular orientierte Fatah Jassir Arafats den Kampf gegen die israelische Besatzungsmacht geführt. Die Fatah wurde Ende der neunziger Jahre als Vorkämpfertruppe abgelöst durch die radikal-islamische Hamas. Beide Gruppen, so unterschiedlich in der Ideologie, haben eine "nationale Agenda": die "Befreiung" von Teilen Palästinas oder des ganzen Landes und die Bildung eines palästinensischen Staates.

Nun erwächst der radikal-islamischen Hamas eine militant-islamistische Konkurrenz: kleine, radikale Dschihadi-Gruppen. Die New York Times zitiert die International Crisis-Group: "Es gibt ein Sicherheitsvakuum, in dem sich alle Arten neuer Gruppen ausbreiten können."

In Gaza begnügen sich diese Gruppen nicht mehr mit populistischen Aktionen wie der Zerstörung von Internetcafés, in denen Gäste "unmoralische" Seiten anschauen, von Apotheken, in denen Viagra verkauft wird, oder von Orten, an denen es Alkohol gibt.

Die Entführung des BBC-Reporters Alan Johnston vor zwei Monaten etwa durch die "Islamische Armee" könnte von "Export-Dschihadis" verantwortet werden. Auch wenn Beobachter Kriminelle als Täter sehen, legt die Forderung der bislang unbekannten "Islamischen Armee" einen Zusammenhang mit al-Qaida nahe. Sie verlangt die Auslieferung des Predigers Abu Qatada, der in Großbritannien in Haft sitzt. Abu Qatada ist einer der frühen Weggefährten Osama bin Ladens.

Ziel ist das Kalifat

Auffällig ist, dass Gruppen wie die "Islamische Armee" im Gaza-Streifen zuvor nicht bekannt waren. Anders als die "Etablierten" von Fatah und Hamas fordern sie keinen Palästinenserstaat. Ihr Ziel ist ein Kalifat, ein regionaler islamischer Großstaat nach dem Vorbild des Nahost-Reichs des Propheten Mohammed.

Da Hamas nach weit mehr als einem Jahr in der Regierung keine Erfolge vorweisen kann, stellen solche Gruppen mit ihren populistischen Forderungen für die etablierten Islamisten eine politische Bedrohung dar. Gegen diese Dschihadis, so die New York Times, "wirken die Vertreter der Hamas moderat".

Das für al-Qaida typische "Franchise-System", das bei der zunehmenden Radikalisierung zugezogener Muslime in Deutschland, England oder Frankreich zu erkennen ist, funktioniert dabei offenbar auch in Nahost. Wahrscheinlich haben die meisten Kleingruppen in Gaza nur durch einzelne Ex-Kämpfer aus Afghanistan oder dem Irak indirekten Kontakt zur Mutterorganiation.

Was aber jederzeit zugriffsbereit steht, ist die globale Al-Qaida-Ideologie. Die wird übers Internet, über auf den Bazaren verkaufte Propaganga-Videos und über die auch in Europa arbeitenden islamistischen Prediger unters Volk gebracht.

© SZ vom 02.06.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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