Al-Qaida-Botschaft:Angebot eines Gejagten

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Bin Laden gibt vor, noch immer Herr über islamistische Terroristen zu sein - doch das ist zweifelhaft

Nicolas Richter

Nach mehr als einem Jahr hat sich Osama bin Laden wieder zu Wort gemeldet, das ist schon eine Nachricht für sich. Seit den Anschlägen vom 11.September 2001 ist er auf der Flucht, als meistgejagter Mann auf Erden.

Er versteckt sich mutmaßlich noch immer in den Bergen im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet, und doch ist er weiter in der Lage, Botschaften an seinen Haussender al-Dschasira in Katar zu übermitteln und sich - wenn auch immer seltener - globale Aufmerksamkeit zu verschaffen. Das Tonband ist Experten zufolge authentisch.

Die Al-Qaida-Spitze ist seit 2001 erheblich geschwächt worden, doch gefangen oder tot sind die beiden wichtigsten Männer, bin Laden und sein Vize Aiman al-Zawahiri, noch immer nicht. Kürzlich hat die CIA mit einem Luftschlag in Pakistan wieder erfolglos versucht, Zawahiri zu töten.

Das Angebot: Waffenstillstand zu fairen Bedingungen

Dass bin Laden sich nun gerade jetzt wieder zu Wort meldet, mag da wie Hohn erscheinen. Den Amerikanern jedenfalls trotzt bin Laden noch immer. "Der heilige Krieg geht weiter, Gott sei gedankt", sagte er. Der Widerstand der Gotteskrieger, so behauptet er, sei nicht gebrochen.

Doch ist bin Laden noch immer der Herr über diesen internationalen Terror? Er versucht zumindest, den Eindruck zu erwecken, er sei der Mann, der über Krieg und Frieden entscheiden könne. Den Amerikanern bot er diesmal sogar einen "langfristigen Waffenstillstand zu fairen Bedingungen" an. Das ist die bemerkenswerteste Botschaft dieser Bin-Laden-Aufnahme.

"Beide Seiten können in dieser Waffenruhe Sicherheit und Stabilität genießen, damit wir den Irak und Afghanistan aufbauen können". Bin Ladens Bedingungen bleiben vage, sie bestehen aber offenbar zumindest darin, dass die Amerikaner ihre Truppen aus beiden Ländern abziehen.

Bin Ladens Kampf gegen die USA begann mit seiner Empörung über die Stationierung von US-Soldaten in seiner Heimat Saudi-Arabien Anfang der neunziger Jahre, und aus seiner Sicht kann es keinen Frieden geben, solange sich auch nur ein US-Soldat im Nahen Osten aufhält.

Darauf kommt es aber nicht an, weil die USA niemals mit ihm verhandeln würden, das Weiße Haus wies sein Angebot denn auch sofort zurück. Schon einmal hat bin Laden eine Art Friedensabkommen angeboten, das galt den Europäern.

Die Drohung: Neue Terroranschläge

Damals lautete die einhellige Interpretation der Botschaft, dass der Al-Qaida-Chef den Westen spalten wolle, und freilich versucht er nun dasselbe mit Amerika: Angesichts des zunehmend unpopulären Irak-Einsatzes wendet er sich ausdrücklich an die Kriegsgegner in den USA, kritisiert Präsident George W. Bush und schildert drastisch die Leiden der US-Soldaten im Irak.

Da bin Laden selbst nicht damit zu rechnen scheint, die Amerikaner spalten zu können, droht er freilich gleich mit den nächsten Terrorakten in Amerika. Damit will er zeigen, dass er auch bei Anschlagsplänen noch mitbestimmt, was aber keineswegs bewiesen ist. Der 11. September mag sein Massenmord gewesen sein, doch der gewalttätige Islamismus hat sich seitdem verselbstständigt.

Aus der hierarchisch organisierten al-Qaida ist eine diffuse Bewegung geworden, die nicht mehr auf Befehle oder Geld des Bin-Laden-Umfelds angewiesen ist. Im Irak treibt Abu Musab al-Sarkawi weitgehend selbstständig sein Unwesen, und auch die Anschläge in Europa waren wahrscheinlich das Werk autonomer Zellen.

Als geistiger Pate und Inspirator dieser Bewegung allerdings steht bin Laden fraglos noch immer an erster Stelle. Nach seinen Worten ist die Bereitschaft der Extremisten, für den Dschihad zu sterben, ungebrochen. "Ihr verwehrt uns ein Leben in Würde, doch den würdevollen Tod könnt ihr uns nicht nehmen."

© SZ vom 21.01.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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