Aktuelles Lexikon:Ursünde

Ist die Sklaverei Amerikas Ursünde? Das ist im übertragenen Sinn richtig, im theologischen nicht.

Von Josef Kelnberger

Die Sklaverei als Ursünde ("Original Sin") der Vereinigten Staaten von Amerika: Joe Biden, Präsidentschaftskandidat der US-Demokraten, benutzte ein eindrucksvolles biblisches Wort, als er bei seinem Besuch in der von Protesten heimgesuchten Stadt Kenosha über den Rassismus in den USA sprach. Rein theologisch betrachtet lag er damit aber nicht ganz richtig. Der Sündenfall im Paradies - Eva, von der Schlange verführt, bietet Adam einen Apfel vom "Baum der Erkenntnis" - steht für die Endlichkeit, Begrenztheit, moralische Hinfälligkeit und Erlösungsbedürftigkeit des Menschen. Die Ursünde, auch Erbsünde genannt, ist demnach dem Menschen nicht als persönliche Schuld zuzurechnen. Es war Kirchenlehrer Augustinus, der die Ur- oder Erbsünde zu einem wichtigen Bestandteil der Theologie ausgebaut hat; unter Berufung auf den Sündenfall sprach er dem Menschen einen freien Willen ab. Auch Martin Luther war vom sündhaften Zustand der Menschheit so überzeugt, dass er keine menschliche Anstrengung für fähig hielt, sich davon zu befreien. Joe Biden, ein bekennender Katholik, weiß wohl, dass die Sklaverei in den USA Menschenwerk war und dass nicht Jesus Christus die USA von der rassistischen Hinterlassenschaft der Sklaverei befreien wird. Das müssen die Amerikaner schon selbst tun.

© SZ vom 05.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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